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Kultur: Homosexualität als Laster der Bourgeoisie Das Verhältnis der Stasi zu den Homosexuellen

1973 wollte eine Gruppe von ungefähr 150 Menschen in Ost-Berlin bei der Abschlussparade der 10. Weltfestspiele der Jugend mitmarschieren.

1973 wollte eine Gruppe von ungefähr 150 Menschen in Ost-Berlin bei der Abschlussparade der 10. Weltfestspiele der Jugend mitmarschieren. Sie hielten ein Plakat hoch: „Wir, Homosexuelle der Hauptstadt, begrüßen die Teilnehmer der 10. Weltfestspiele“ und bekannten sich zum Sozialismus. Dieser Beginn schwul-lesbischer Emanzipation wurde unterbunden, irgendwo hatte die Weltoffenheit doch ihre Grenzen. Homosexualität passte einfach nicht in das Bild vom neuen sozialistischen Menschen. Das Verhältnis der DDR und ihres Ministeriums für Staatssicherheit zu Homosexuellen hat der Berliner Historiker Günter Grau anhand von Stasiakten und Akten des damaligen Gesundheitsministeriums untersucht. Bald wird sein neues Buch zu diesem Thema, „Diktatur contra Subkultur“, erscheinen. In der Landeszentrale für politische Bildung hielt Günter Grau einen Vortrag über seine Forschungsergebnisse. Es schloss sich ein reges Gespräch mit dem Publikum an, das die Dinge zum Teil miterlebt hatte. Sexuelle Handlungen zwischen Männern stellte seit 1871 der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches unter Strafe. Er wurde in der BRD erst 1994 gestrichen. Die DDR ersetzte ihn bereits 1968 durch den Paragraphen 151, der lediglich homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen als Delikt ansah. Das bedeutete aber nicht, so Günter Grau, dass sich Toleranz breit machte. Homosexualität galt, wie schon in kommunistischen Kreisen vor dem Zweiten Weltkrieg, als Laster der Bourgeoisie, das im Arbeitermilieu nicht anzutreffen sei. Schwule und Lesben als aussterbende Überreste des Kapitalismus. Mit der Streichung des Paragraphen 175 meinte die SED, auch das „Problem“ Homosexualität gestrichen zu haben. Als im Lutherjahr 1983 auf fast jedem regionalen Kirchentag Infostände homosexueller Kirchengruppen vertreten waren und sich Ausreiseanträge mit dem Argument häuften, die DDR biete keinen Raum für diese Lebensform, begann eine systematische Bespitzelung. Doch nicht die Homosexualität, betonte Günter Grau, sei als Bedrohung des Staates eingestuft worden, sondern die politische Tätigkeit: „Alle Gruppen, die sich an die Öffentlichkeit wandten, wurden als PUT bezeichnet“ (politische Untergrundtätigkeit). Und, so die Logik der Stasi, ohne PUT kein PIT (politisch ideologische Diversion). Alte Klischees und Vorurteile waren verbreitet: Homosexuelle als potentielle Verbrecher, „Wärme“ oder „Aftershave“ als Codewort bei der Überwachung. Ziel der Stasi sei wohl die gerichtliche Verurteilung gewesen, so Günter Grau. Dazu kam es jedoch nicht, wahrscheinlich war die Frist bis zur Wende zu kurz, um aus den erspitzelten Banalitäten Anklagen basteln zu können. Sofern man keinen gesellschaftlich relevanten Beruf anstrebte, habe man als Schwuler oder Lesbe in der DDR ganz gut leben können, erzählte im Anschluss der Potsdamer Durian Haseluff. Doch die verschärften Polizeiaktionen, die Schwule wie Verbrecher registrierten, hätten Angst geschürt. Durian Haseluff war von 1988 bis 1995 Vorsitzender der HiP (Homosexuelle in Potsdam). Ende der achtziger Jahre wurden in vielen Städten der DDR homosexuelle Clubs und Vereine offiziell zugelassen. Heiner Carow durfte seinen Film „Coming Out“ drehen. Das sei, sagte Günter Grau, nur der Versuch gewesen, nicht aufzuhaltende Entwicklungen unter Kontrolle zu halten. So arbeitete etwa die Direktorin des Kulturhauses in Babelsberg, in dem der HiP ansässig war, mit der Stasi zusammen. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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