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Einprägsame Bilder. Die Inszenierung appelliert an Bilder, die manch einer bereits in sich trägt.

© Promo

Kultur: Holzschnittartige Klarheit

Mit einem theatralen Feuerwerk eröffnete „Heute: Kohlhaas“ das Theaterfestival „Unidram“

Es gibt Bilder, die sich einbrennen. Das Theater Agora aus St. Vith in Belgien ist bekannt für seine Fähigkeit, solche Bilderwelten zu entwerfen. Es eröffnete am Dienstagabend mit „Heute: Kohlhaas“, einer Co-Produktion mit dem Theater Marabu aus Bonn, das diesjährige 19. internationale Theaterfestival „Unidram“ im T-Werk. Doch bevor diese Bilderwelten auf das Publikum einstürmen konnten, wurde es mit Akkordeonklängen, ganz in der Manier des Volkstheaters, in den Zuschauerraum gelockt. Hier setzte sich diese heitere und Aufmerksamkeit heischende Einstimmung fort und selbst die traditionellen Eröffnungsreden der Gastgeber und Schirmfrauen bzw. -herren wurden diesmal von Trommelwirbel eingerahmt.

Die Inszenierung von „Heute: Kohlhaas“ brennt schon zu Beginn ein theatrales Feuerwerk ab. Eine unbändige Flut von Bildern und Texten, verschiedenen Theatergenres, dargeboten von Riesen und Zwergen, Kasperpuppen, Musikern und Clowns betäubte die Sinne. Und es ist nicht leicht, aus diesem perfekt emulgierten Gemisch gerade jene Einzelheiten herauszulösen, die wenigstens einen Bruchteil des Ganzen und die unvergleichliche Atmosphäre zwischen traditionellem Jahrmarkts- und heutigem Polittheater auch nur annähernd wiedergeben können.

Bleiben die Bilder. Gleich zu Beginn der Geschichte um den Rosshändler Michael Kohlhaas stellen sich drei Männer mit weiß geschminkten Gesichtern und grünen Mützen, jeweils einen Fuß auf dem gerade von ihnen zerschundenen Spielzeugpferd, in Positur und lassen sich ablichten. Wenig später wird eine junge schöne Frau – Kohlhaas’ Frau Lisbeth als Bittstellerin – von einem uniformierten Mann mit einer langen Stange sexuell belästigt und schließlich verwundet. Und von da aus ist es nicht mehr weit, bis zig Kasperpuppen von einem Mann mit einem an einen Baseballschläger erinnernden Stock zu Tode gebracht werden. Bis zum Schluss bedecken sie den Bühnenboden.

Solche Bilder prägen sich ein. Und das ist so, weil sie Bilder, die man bereits in sich trägt, mit theatralen Mitteln sowohl entschärfen als auch scharf stellen. Der inzwischen mehrfach prämierten Inszenierung von Claus Overcamp gelingen sehr häufig solche scharf stellenden Momente. Das geschieht mit einer faszinierenden Vielfalt der Mittel, besonders auffällig sind solche des Volkstheaters mit ihrer holzschnittartigen Klarheit. Da werden die Gräueltaten des Michael Kohlhaas – bei Kleist brannte er Wittenberg dreimal nieder – mittels einer angezündeten Schattentheaterprojektion gezeigt. Kasperpuppen agieren, als es darum geht, wie das Volk auf die Flucht des Junkers von Tronka reagiert. Und das Theater Agora wäre nicht Agora, wenn es das Publikum nicht ganz direkt beteiligen würde.

Der hochkochende Volkszorn gegen die Willkür der Herrschenden darf sich auch in Potsdam entäußern, in einer Art Jahrmarkts-Büchsenwerfen. Anstatt von Büchsen werden Polizistenkasperpuppen getroffen, während der Junker das Weite sucht. Diese Art von Beteiligung ermöglicht dem Publikum in Vertretung des Volkes eine spaßige und wirksame Art von Aggressionsabbau. Aber danach muss sich auch jeder Werfer fragen, wie weit er gehen würde, um eigene Interessen durchzusetzen. Die sich anschließende Beratung der hohen Herrn – die kongeniale Bühne von Céline Leuchter ermöglicht auch räumlich immer wieder ein Oben und Unten – zeigt wiederum als Schattentheater, was hier eigentlich gespielt wird.

Neben der textlich sehr reduzierten Kleist-Novelle wird auch noch eine andere Geschichte erzählt, nämlich als Spiel im Spiel, die der Wandertheatergruppe Loko Kaleki. Lola, Coco, Kaspar, Leon und Kinz – verkörpert wie auch sämtliche Kohlhaas-Rollen von Roger Hilgers, Eno Krojanker, Annika Serong, Matthias Weiland und Marie-Joëlle Wolf – ziehen als Geschwister oder Cousins und Cousinen durchs Land und neben Messerschlucken und Feuerspucken, Akrobatik und Clownerie haben sie noch viele andere Eigenheiten, die sich immer wieder zu Geschichten verweben. Sie verleihen mit ihrem clownesken, oft grotesken, manchmal slapstickartigen Spiel dem Ganzen jene Leichtigkeit und Verrücktheit, die es braucht, um die großen Wahrheiten auf den Punkt zu bringen.

Diese Kohlhaas-Inszenierung geht noch weiter und webt Texte des Anarchisten Erich Mühsam mit ein. Die moralische Überlegenheit des Michael Kohlhaas wird zum Schluss in einer Art Epilog ausgestellt. „Nicht Kopf, sondern Hut ab“ schreibt nach der Vorstellung jemand ins Gästebuch. Dem ist, was die Qualität der Inszenierung angeht, nichts mehr hinzuzusetzen.

Astrid Priebs-Tröger

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