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HINTERGRUND: Taube auf dem Dach

Katrin Bongard wollte immer alles, frei sein, wild sein, geborgen sein – wie die Helden ihrer Bücher

Zweiter Stock Gründerzeithaus Friedrich-Ebert-Straße. Da, wo die Innenstadt gerade anfängt aufzuhören. Vom großen Balkon, der fast schon eine Dachterrasse ist, schaut man hinüber zu einer mächtigen Kastanie im Innenhof. Als sie vor ein paar Jahren ausgeästet wurde, bekam Katrin Bongard Angst. Sie würden sie doch nicht fällen? „Da wohnen so viele Vögel drin“, sagt sie. In diesem Frühjahr nistet ein Taubenpaar sogar auf einem Fensterbrett ihrer Wohnung. Zuerst sind die kleinen Stöckchen immerzu abgerutscht vom schrägen Fensterblech. Katrin Bongard konnte das nicht mit ansehen und hat ihnen einen stabilen Untergrund für den Nestbau hingesetzt. Jetzt brütet das Paar. „Sind doch schöne Tiere“, sagt sie.

Katrin Bongard, Malerin und Autorin von Drehbüchern und Romanen für Jugendliche und Erwachsene, weiß, wie schwer Nestbau sein kann, erst recht in Potsdam. Sie wurde 1962 geboren und wuchs in Zehlendorf auf. Schon als Kind wusste sie: Irgendwann würde sie auf der anderen Seite wohnen. Wenn die Mauer weg wär. Nach der Wende dauerte es noch mal ein paar Jahre, aber 1997 fand sie mit ihrem Mann, dem Bildhauer Uwe Carow, ihren damals zwei Kindern und mit viel Glück diese große Altbauwohnung. Mittlerweile haben sie eine zweite Wohnung im Haus als Atelier und ein weiteres Arbeitszimmer für sie selbst dazu gemietet. Die Familie breitet sich aus. Dieses Mal allerdings ganz legal – nicht wie damals in den 1980ern, als beide zur Hausbesetzerszene gehörten. Katrin Bongard liebte die eineinhalb Jahre, eine dichte Zeit mit Studium, Demos, aber auch Ängsten und Sorgen um existenzielle Dinge. Aus diesem inneren Kriegszustand, sagt sie, habe sie begonnen, ihre Kreativität zu ziehen.

Das wilde, aber empfindliche Gewächs Kreativität sollte zwar wuchern, brauchte aber auch Halt. Ein Gerüst. Als sie und ihr Mann, beide WG-Bewohner, damals heirateten, geschah das auch, weil unkonventionelle Dinge für Bongard eine Herausforderung sind: Als Hausbesetzer heiratete man nicht. Und weil sie spürte: „Die Familie ist die Basis für ein wildes, freies Leben.“ Um reisen und schreiben zu können. Das Haus wurde mit den Jahren zum Zellkern einer Familie, in der alle drei Kinder Schauspieler geworden sind und die Eltern eigens dafür eine Agentur gründeten. 2012 kam der eigene Verlag dazu, Red Bug Books zum Vermarkten der E-Books. Die Printausgaben werden von großen Verlagen hergestellt, Bongard ist dabei eine unnachgiebige Verhandlungspartnerin. Es gehe schließlich um ihr Produkt, sagt sie selbstbewusst.

Dabei entwickelte sich das Schreiben zunächst langsam. Das erste Tagebuch, da war sie neun Jahre alt, glich eher einem Terminkalender. Erst als Teenagerin fand sie Zeit zum kreativen Schreiben. Lesen und Schreiben wurde zur Sucht, der sie aber zunächst keine Bedeutung zumaß. „Andere machten Sport, ich schrieb.“ Über Zufälle gelangte sie zum Drehbuchschreiben und sie war gut. Irgendwann dachte sie sich: Warum nicht ein Roman? Ein guter Roman werde schließlich nach fast denselben Prinzipien geschrieben. „Der Leser will sich in einer Geschichte geborgen fühlen“, sagt Bongard. Es brauche Dialoge, Wendungen und Überraschungen, aber Setting und Aufbau müssen den Leser durch die Geschichte tragen.

Dass sie für Jugendliche schreiben würde, habe einfach nahegelegen, sie hatte ja eine große Familie mit drei Kindern, die Inspiration lieferten. 2005 bekam ihr erster Roman „Radio Gaga“, ein Roadtrip mit einem jungen Mann, der einen Radiosender gründen will, den Peter- Härtling-Preis. Bongard war total überrascht. „Plötzlich war ich Autorin!“ Jetzt legte sie los, es folgte ein Jugendbuch nach dem anderen. Geschichten über Liebe, Schule und Familiendinge, Begegnungen von Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, Begegnungen im Urlaub oder im Filmbusiness, das sie ja kennt und das Glamourfaktor mitbringt. Sie möchte an den Themen der Jugendlichen dicht dran sein, auch der Umgang mit Medien oder Drogen gehört dazu. Ebenso schöpft sie aus ihrem eigenen Leben, aus Zufallsbegegnungen. Eines Tages könnte es auch die Taubenfamilie am Fenster in ein Buch schaffen oder das Wohnzimmer von Freunden. In „Lass uns Fliegen“ von 2016 ist die Babelsberger Villa von Volker Schlöndorff zu erkennen.

Drei bis fünf Stunden täglich schreiben ist ihr Ziel. Sie sitzt mal an diesem, mal an jenem Schreibtisch, es gibt genug in ihrer Wohnung. Gerne sitzt sie auf dem Balkon oder einem Café, dann fühle sich das Schreiben so herrlich leicht und lässig an.

Diese Lässigkeit ist hart erarbeitet. Weil sie immer an mehreren Projekten gleichzeitig schreibt, führt sie Notizhefte, in denen die Figuren, ihre Merkmale und Beziehungen zueinander genau festgehalten sind. Mit Klebezetteln baut sie sich zudem einen Fahrplan auf, der alle Handlungsstränge zeitlich einordnet. „Wenn das Gerüst stimmt, dann kann ich beim Schreiben wild durch die Luft fliegen.“

Immer wieder werde sie gefragt, wann sie endlich einen echten Erwachsenenroman schreibe. „Irgendwann bestimmt“, sagt Bongard, das wäre sozusagen die Haute Cuisine, während sie jetzt Fastfood produziere. „Aber sehr, sehr gutes!“ Mit dem Thema Jugendbuch ist sie noch lange nicht fertig. „Ich werde gerade richtig gut. Warum sollte ich damit aufhören?“

Katrin Bongard wurde 1962 in Berlin-West geboren, studierte Kunstgeschichte und Theologie und verstand sich zunächst als Malerin, bevor sie zu schreiben begann. Sie schrieb Drehbücher, unter anderem für „Löwenzahn“, später zunehmend Jugendromane. „Schattenzwilling“, „Pauls Blog“, „Junimond“ und „Flying Moon“ gehören zu den bekanntesten. Gerne schreibt sie Reihen, in den Fortsetzungen von „Loving“ und „Kissing“ geht es um Liebe und andere Abenteuer. Derzeit arbeitet sie wieder an einem Roman, der in Potsdam und Berlin spielt. Katrin Bongard und ihr Mann sind die Eltern der Schauspieler Isabel Bongard, Leonard Carow und Amber Bongard.spy

nbsp;Steffi Pyanoe

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