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High-Tech-Architektur. Jeder Stein des „falschen Gewölbes“ ist einzeln an einem Stahlkonstrukt aufgehängt, die Fugen sind mit LEDs hinterleuchtet.

© gmp/Marcus Bredt

Highlight am BER: Auszeit im „Raum der Stille“

Wenn an Ostern nur wenige verreisen, bleibt auch der „Raum der Stille“ am Flughafen Berlin Brandenburg leer. Zur Einkehr in der neuen Airport-Kapelle.

Der Flughafen Berlin Brandenburg birgt in seinem Herzen, genau in der Zentralachse des gesamten Flughafens im Terminal A, ein besonderes architektonisches Kleinod, den „Raum der Stille“. Bei ihm konnten die Architekten von gmp ein ganz anderes Thema anschlagen, den spirituell transitorischen Ort zwischen Himmel und Erde am physisch transitorischen Ort zwischen Erde und Himmel.

Ein Flughafen ist auch ein Ort existenzieller Grenzerfahrungen und extremer Empfindungen durch pulsierende Verkehrsströme, Informationsflut und Kakophonie, Hektik und nervöse Interaktion. Ein Flughafen ist darüberhinaus für manche Menschen ein Ort existenzieller Nöte, wo sie mit verstörend Neuem konfrontiert werden, wo sie Ängste entwickeln, wo sie Fremdheit, Verlassenheit oder Ungewissheit erleben. Oder wo sie mit Flugangst zu kämpfen haben.

Diesen Menschen soll mit einer Kapelle oder einem Andachtsraum ein Angebot gemacht werden, ein Fluchtpunkt für eine Auszeit, an dem sie Ruhe und innere Einkehr finden können.

Dabei ist heute nicht mehr nur eine christliche Kapelle gefragt, eine ökumenische vielleicht, sondern es gilt auch an die wachsende Zahl an Andersgläubigen zu denken. Der neutrale Andachtsraum wird deshalb üblicherweise „Raum der Stille“ genannt und soll allen Einkehrsuchenden offenstehen.

Am BER ist der „Raum der Stille“ im Zentrum platziert

Im prosaischen Großbetrieb eines Airports zählt ein Andachtsraum zu den „Non profit-„ und „Serviceräumen“, ist dort positioniert, wo Sekundärnutzungen für das Publikum zu finden sind, irgendwo im Bauch der Terminals, und deshalb oft nicht leicht zu finden. Nicht so im BER.

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Da ein Terminal in verschiedene Sicherheitsbereiche unterteilt ist, gibt es drei Standortoptionen: im öffentlich zugänglichen Bereich auf der „Landseite“ oder auf der „Luftseite“ in der Sicherheitszone. Dort wird ferner unterschieden zwischen dem „Schengen-Bereich“, von wo aus Flüge in den europäischen Schengen-Raum mit Reisefreizügigkeit abgehen, und dem zusätzlich abgegrenzten „Non-Schengen-Bereich“ mit strikten Personen- und Visakontrollen, der passtechnisch bereits als Ausland gilt.

Beim BER ist der Raum der Stille im öffentlichen Bereich für alle Besucher und insbesondere für die Bediensteten des Flughafens leicht erreichbar und wird auch häufig genutzt. Transitpassagiere benötigen allerdings ein Visum.

Die Flughafenkapelle ist kein eigenes Gebäude, sie ist Haus im Haus, ein archaischer Kultraum tief im Inneren eines High-Tech-Funktionsgebäudes.

Der Raum erinnert an eine Krypta

Wer die Tür durchschreitet, findet sich in einer anderen Welt wieder, in einem höhlenartigen Ambiente, ähnlich einer fensterlosen frühchristlichen Krypta, mit gedämpftem Licht, durch Okuli in den Gewölben mit Zenitlicht erhellt.

Im kleinen, quadratischen Empfangsraum brennt in einer axialen Nische eine Kerze unter dem in Erz gegossenen Wort „Stille“ in sechs verschiedenen (europäischen) Sprachen.

Eigentlich gibt es zwei Räume der Stille: zur Linken die christliche Kapelle, zur Rechten den multireligiösen, neutralen Andachtsraum. Ein dünnes, kaum sichtbares Bronzekreuz im Vorraum links und ein Quadrat im Weltenkreis im rechten Vorraum weisen den Weg in die jeweilige Cella. Die Ausstattung der Kapelle ist karg. Mittig im Vorraum auf einem Metallgestell leuchtet eine vergoldete Keramikschale als Taufbecken, es ist ein Stück aus der lebenslang fortlaufenden Porzellanserie „One Million“ der in Berlin lebenden Künstlerin Uli Aigner.

Im Andachtsraum stehen filigrane Stühle, den ebenso schlichten Ambo mit poliertem Bronzepult und den Altar mit Bronzeplatte hat Projektleiter Hans-Joachim Paap von gmp entworfen. Das Altarkreuz ist als Aussparung in die Wand eingeschnitten und indirekt hinterleuchtet.

Eigentlich sind es zwei Räume

Leerer noch erscheint der multireligiöse Raum auf der anderen Seite. Im Boden eingelassen ist wieder der Weltkreis mit Windrose in Bronze. Er zeigt Gläubigen die Richtungen nach Mekka oder Jerusalem. Jemand hat provisorisch ein Bild der Kaba auf einem Stuhl in der Ecke platziert.

In der Nische liegen einige Gebetsteppiche, die Mitarbeitern des BER gehören. Muslime sind die häufigsten Nutzer des Raumes.
Die aufs Äußerste getriebene Vereinfachung ist dazu angetan, jegliche Ablenkung zu vermeiden und trägt zur Kontemplation bei. Die Architektur erzeugt eine stoische, suggestive Atmosphäre. Sie besteht nur aus Ziegeln und Licht. Erde und Himmel, das Thema des Flughafens, ist gleichzeitig jenes des Raums der Stille.

Pyramidendach mit Okulus

Die urtümlich rohen Ziegel eines flachen Sonderformats bilden gleichzeitig Fußboden, Wand und Gewölbe. Die „Gewölbe“ über den quadratischen Räumen sind nach innen gestaffelte Pyramiden, „falsche Gewölbe“, wie die geschichteten Steindächer der apulischen Trulli. Doch der Schein trügt.

Die Steine dieser High-Tech-Archaik sind jeder einzeln an einem Stahlkonstrukt aufgehängt. Die Fugen sind offen und mit LED hinterleuchtet. Das Pyramidendach schimmert geheimnisvoll aus jeder Fuge, es scheint zu schweben.

Baukulturell ist der Raum das Gegenprogramm zum modernen Flughafen. Ein Rückgriff auf frühchristliche und orientalische Raumschöpfungen, die Erweckung tief im Unterbewusstsein schlummernder Erinnerungen und Empfindungen und die Geborgenheit im Uterus, oder vielleicht Kindheitserinnerungen an abendliche Adventsgottesdienste im Kerzenglanz, die eine besinnliche Atmosphäre herbeirufen.

So kommt der Besucher zur Ruhe und erlebt, wie das Zenitlicht, das in die dunkle Höhle fällt, Erleuchtung in das Erdendasein zu bringen scheint.

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