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Sucht sich selbst. Antek Liebmann (Godehard Giese) flüchtet vor einem Geheimnis in die Landschaft Frankreichs und borgt sich kurzweiligen Seelenfrieden in den Armen von Nachbarin Geneviève (Adeline Moreau).

© missingFILMs/promo

Kultur: Hier ist sie

Eine Begegnung mit Jules Herrmann, der Regisseurin des Films „Liebmann“

Von Sarah Kugler

Es ist eine Sammlung verlorener Dinge: Kaffeekannen, Radios, sogar Sofas. Sie alle warten in einem Trödelladen auf neue Besitzer; woher sie kommen, spielt keine Rolle mehr. Mitten unter ihnen: Antek Liebmann. Auch er ist verloren, niemand weiß so richtig, wo er herkommt, wo er hin will, weiß er selbst nicht genau. Außer Regisseurin Jules Herrmann – schließlich hat sie ihn erschaffen. Liebmann ist nicht nur der Titel ihres ersten Langfilmes, sondern auch die gleichnamige Hauptfigur. Ein Charakter, den sich das Publikum im Laufe des Films nur Stück für Stück erschließen kann, der sich aus vielen kleinen Puzzlestücken zusammensetzt. Liebmann (herausragend: Godehard Giese) kommt aus Deutschland nach Frankreich. Dort flirtet er mit der Nachbarin, wandert durch die Landschaft und beginnt eine Affäre mit einem jungen Franzosen. Nur langsam entschlüsselt sich dem Zuschauer seine ganze Hintergrundgeschichte.

Für Jules Herrmann hingegen war die Grundidee der Figur und somit auch die Geschichte des Films sehr schnell klar, wie sie am Dienstagabend im Thalia Kino im Rahmen der Potsdamer Premiere sagte. Ohnehin zögert die Wahlberlinerin, die ihr Regiestudium an der heutigen Filmuniversität Babelsberg absolvierte, nicht lange, wenn es um Entscheidungen geht. Von der Idee zu „Liebmann“ bis hin zum Dreh verging nur ein Monat, der Film selbst entstand in zweieinhalb Wochen.

„Ich kann sehr gut organisieren und planen, ich sage immer, ich wäre ein guter Vizepräsident“, sagt sie und lacht dabei. Vielleicht habe sie deswegen zunächst Betriebswirtschaftslehre in ihrem Heimatort Saarbrücken und in Dublin studiert. Danach arbeitete die 46-Jährige als Produktionsleiterin bei mehreren Filmprojekten mit. „Irgendwann bin ich allerdings nicht mehr damit klar gekommen, dass die Pläne ständig umgeschmissen wurden“, so Herrmann, die 2016 mit „Liebmann“ für den European Prix Fipresci nominiert war. Die Entscheidung für ein Regiestudium reifte, vor allem um das Handwerk Film zu lernen. Konkrete Ideen für Filme gab es zunächst nicht.

Und auch während des Studiums war es für Herrmann nicht leicht, sich auf den Prozess des Filmemachens einzulassen. „Für mich war das ein riesiges Nebelfeld, mir fiel es total schwer, Kreativität zu lernen.“ Glauben lässt sich das nur schwer, schließlich ist „Liebmann“ ein Film, der von vorne bis hinten mit fantastischen Ideen gespickt ist. Angefangen bei einem poetischen Prolog über das besondere Federkleid des Pfaus, bis hin zu Kapiteleinschüben, die sich stark vom Stil des restlichen Films abheben. Etwa wenn die Nachbarin Geneviève (zauberhaft: Adeline Moreau) in bonbonfarbenen Bildern einen Zauberkuchen backt oder wenn der Protagonist sich plötzlich in einer Szenerie à la Strindberg wiederfindet.

Tatsächlich denke sie heute in Atmosphären, habe jedoch selten die Einstellungen im Kopf. Die entstehen erst beim Dreh, sagt die Regisseurin. Doch bis Herrmann so weit war, aus den traditionellen Normen der Filmregeln auszubrechen, dauerte es eine Weile. Ihren Diplomfilm „Auszeit“ bezeichnet sie selbst als brav und fügt hinzu, dass es ihr während des Studiums auch am Selbstbewusstsein für Experimente mangelte. „Ich war nicht der Typ ,Hier bin ich’“, sagt sie.

Auch heute ist sie niemand, der sich aufdrängt, präsent ist sie trotzdem. Gefestigt wirkt sie in ihrer ruhigen Art, aber auch immer ein wenig nachdenklich. Tatsächlich sei sie noch immer ein ziemlich verkopfter Mensch, gibt sie zu. Aber irgendwann habe sie erkannt, dass sie in den althergebrachten Strukturen des Films nicht frei sein kann. Und frei sein, das möchte sie. „Für mich ist es essentiell, dass Kunst neue Lebenswelten öffnet“, so Herrmann. Mit „Liebmann“ habe sie sich deswegen absichtlich selbst ein Bein gestellt, wie sie sagt. Für sie sei es wichtig gewesen, einen Film zu machen, der den Zuschauer nachdenken lässt und nicht alles vorkaut. Dass sie damit nicht immer so erfolgreich sein wird wie mit „Liebmann“, der unter anderem auf der Berlinale 2016 lief, ist ihr durchaus bewusst. „Es ist schon hart, weil man unglaublich viel Arbeit investiert und oft weder finanziellen Lohn noch Anerkennung dafür bekommt“, so die Regisseurin. Doch sie habe sich für diesen Weg entschieden und die Arbeit sei ihr wichtig genug, um auch Durststrecken aushalten zu können. Ein nächstes Projekt gibt es noch nicht, doch durch „Liebmann“ habe sie Kontakte knüpfen können, die ihr wieder neue Wege ebenen können. Verloren gehen wird sie also nicht.

„Liebmann“ läuft täglich im Thalia Kino, Rudolf Breitscheid Straße 50

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