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Kultur: Heute Potsdam, morgen New York?

Arbeiten von Katrin Bongard und Uwe Carow in der Galerie Hüning & Reiprich

Arbeiten von Katrin Bongard und Uwe Carow in der Galerie Hüning & Reiprich Von Götz J. Pfeiffer Weder das Chelsea-Hotel, das Leonhard Cohen melancholisch besingt. Noch die hippen Chelsea-Girls von Andy Warhols Velvet Underground. Als sie an ihrem „Chelsea-Projekt“ arbeiteten, hatten Katrin Bongard und Uwe Carow nichts davon im Sinn. Und doch findet sich das Besungene eben dort, wohin auch ihr Sehnen geht. Wo Cohens Hotel steht, wo Warhols Musikanten die Mädchen sahen: zum New Yorker Stadtteil Chelsea. Dort ballen sich die Galerien. Dort ist die Kunstszene der amerikanischen Megacity heimisch. Dort möchten auch die beiden gebürtigen Berliner gerne ausstellen. So einfach, eigentlich belanglos ist die als Nicht-Konzept zu bezeichnende Idee der aktuellen Gemeinschaftsausstellung in der Galerie Hüning & Reiprich. Die Schauräume im Hochparterre unweit des Nauener Tors sah man einige Zeit ohne Ausstellung. Die Galeristinnen Sabine Hüning und Corinna Reiprich wussten nicht, wessen Werke sie hätten zeigen sollen. Jetzt haben sie sich für eine „Projekt-Galerie“ entschieden, stellen Interessierten ihre drei Räume mit White-Cube-Atmosphäre zur Verfügung. So sollen sich pro Jahr sechs bis acht Ausstellungen lose aneinander reihen. Dass Bongard und Carow, beide mit künstlerischen Erfahrungen in Berlin, ihre neuesten bildhauerischen und malerischen Arbeiten gerade hier ausstellen, hängt auch mit ihrem Umzug nach Potsdam zusammen. Dass sie gemeinsam ausstellen, hat zudem biographische Gründe. Seit rund 20 Jahren arbeiten der Bildhauer und die Malerin in gleichen Ateliers. Mitte der 1990er Jahre wirkten sie in der Installation „Lazarett“ erstmals zusammen. Dabei könnten das auf Formen im Raum konzentrierte Schaffen Carows und die Farben auf der Fläche erzeugenden Arbeiten Bongards unterschiedlicher kaum sein. Aus der farblosen Not des einen und der raumlosen Präsenz der anderen haben sie die gemeinsame Tugend gegenseitiger Ergänzung gemacht. Ihre Arbeiten streben „in gleichem Maß Sensibilität, Klarheit und Reflexion an“, sind beide überzeugt. In ihrem „Chelsea-Projekt“ zeige sich überdies das „Konzept einer transmodernen Kunst“, in der das Beste aus Moderne und Postmoderne weiter entwickelt werde. Wie der Ausstellungstitel sind das wortgewaltige und eher in Berlin als in Potsdam verbreitete künstlerische Ansätze. Hinter den klein- bis mittelformatigen Bronzen und Zeichnungen Carows, beim Betrachten der „Flechtbilder“-Serien von Bongard hätte man solch gedankenschwere Überlegungen kaum vermutet. Und wie vielen Ausstellungen mit derartigem Überbau hängt auch bei dieser Schau das Konzept wie ein Damoklesschwert über den Arbeiten, werfen die unzweifelhaft postmodernen Wortkaskaden einen Schleier vor das Ausgestellte, öffnen jedoch leider keinen Zugang. Aber will der Betrachter nicht zuerst etwas für die Augen, um dann immer mehr sehend und verstehend darüber zu reflektieren? Carows Figuren, die als „Stehender“, „Kleine Fliegende“ oder dreifach hängend in „Golgatha“ begegnen, können als Kleinplastik durchaus bestehen. Ausgearbeitet und fest sind seine Bronzegüsse. Überzeugend sind der Aufbau und die schollenartig aufgebrochenen Oberflächen, ansprechend die einfachen Gesten, unmittelbar die Präsenz der Figuren. Und wie durchsichtig bis ins Körperinnere der Bildhauer sie empfindet, beweisen die Torsi auf den „Teerzeichnungen“. Den plastisch wie farblich nirgends geschlossenen Bronzeoberflächen entspricht das verschieden stark aufgetragene, ungewöhnliche Zeichenmittel. Ihm hatte sich Carow kurz nach seiner Studienzeit an der Düsseldorfer Akademie bereits in mehreren Werkreihen zugewandt. Stärker noch als der Bildhauer stellt die Malerin ihr Arbeitsmaterial in den Mittelpunkt. Sie beschäftigte sich über mehr als zehn Jahre für einige Zeit immer wieder nur mit einer Farbe. Ein weiterer Schritt danach sind die ausgestellten „Flechtbilder“. Sie bestehen aus Leinwandstreifen, die in verschiedenen Farben bemalt, auseinander geschnitten und geflochten neu kombiniert wurden. Aus der Nähe ist nur wirres Farbfleckenchaos zu erkennen. Erst der Abstand lässt Strukturen und Korrespondenzen erkennen. In einem Bild sind mehrere Bilder miteinander verwoben. Wie die Arbeiten von Carow und Bongard ihren Weg von Potsdam nach Chelsea finden werden, bleibt dem Betrachter verschlossen. Auch mag er sich fragen, warum die Bronzen, die Anleihen bei Giacometti und Rodin verraten, die durchaus interessanten Teerzeichnungen, warum die malerischen Flechtarbeiten von Bongard, die Polke wie Richter nicht all zu ferne stehen, gerade in den USA gezeigt werden sollen. Was macht den transatlantischen Ort so erstrebenswert, dass er sogar verdient, zum Arbeitskonzept erhoben zu werden? Für die Galerie ist die Schau ein hoffnungsfroher, zweiter Anfang. Jetzt erwartet man hier weitere künstlerische Positionen, die sonst in Potsdam nicht zu sehen sind. „Das Chelsea-Projekt“: Bis 6. Oktober in der Galerie Hüning & Reiprich, Friedrich-Ebert-Str. 34.

Götz J. Pfeiffer

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