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Lebensecht und Kodderschnauze. Eva Weißenborn in „Lux - Krieger des Lichts“ (l.) und am Drehort von „Gundermann“.

© Cem Oeztok (l.) und Peter Hartwig/Pandora Film (r.)

Kultur: „Her mit den schrägen Alten“

Eva Weißenborn war einst Star am Hans Otto Theater, bald fährt sie im Andreas-Dresen-Film „Gundermann“ Bagger

Immer wieder wird sie nachts vom Theater eingeholt. Von Angstträumen gejagt. Ganz schnell muss sie dann eine Rolle übernehmen, doch im Textbuch sind nur Comiczeichnungen. Panik überfällt sie, dass sie ihren Text nicht zusammenkriegt. Manchmal schwebt Eva Weißenborn auch auf dem Kronleuchter über die Reihen im Deutschen Theater. Sie, mit ihrer Höhenangst – so weit oben Dunkle, brüchige Nachtgesänge auf eine ungestillte Liebe, der sie vor 14 Jahren den Rücken kehrte. Sie, für viele die Diva am Hans Otto Theater, die auch den Sprung nach Berlin ans Deutsche Theater schaffte, verschwand auf einmal von der Bühne.

Ja, sie hat auch danach weitergespielt: ab und an fürs Fernsehen, von vielen unbemerkt. Vor allem aber coachte sie Kollegen bei der in Babelsberg gedrehten Telenovela „Wege ins Glück“, die immer neue Vornamen bekam: Bianca, Julia. Jetzt kümmert sie sich um den Nachwuchs an der Berliner Schauspielhochschule „Ernst Busch“, dort wo sie selbst ihre ersten Schritte ging. Inzwischen ist Eva Weißenborn 45 Jahre im Schauspielgeschäft. Und endlich sehen wir sie wieder: ganz groß und wunderbar im Kino, als schräge Alte, lebensecht und sterbenskrank in „Lux – Krieger des Lichts“, dem Debütfilm von Daniel Wild. Im Sommer ist sie dann auch in Andreas Dresens „Gundermann“-Film zu sehen, als Baggerfahrerin und vertraute Kollegin des Rockpoeten. Eingehüllt in dicker Wattejacke saß sie hoch oben in der kleinen Kabine mitten im Tagebau bei Bad Muskau und war fasziniert von der unendlichen Weite. Sie spielte ihre Helga über einen Zeitraum von 20 Jahren und erhielt von der Maskenbildnerin so schöne Perücken, „dass selbst Claudia Schiffer vor Neid erblassen würde.“ Sie fühlte sich in der Gelassenheit und Ruhe Dresens gut aufgeboben. „Es war für mich ein sehr entspanntes Arbeiten.“

Für den Newcomer Daniel Wild war es eine Ehre gewesen, sie besetzen zu können. Ohne Casting, wie er beim Filmgespräch kürzlich im Thalia-Kino erzählte. Eva Weißenborn war beim Gespräch dabei, sah sich den Film aber nicht ein zweites Mal an. „Denn ich empfinde mich als Zumutung und denke nur: ,Weißenborn, du dumme Nuss. Hättest du das doch so oder so gesprochen.’ Doch beim Film kann man nichts mehr ändern. Darum bin ich lieber mit dem Regisseur schön essen gegangen.“

Auch Peter Hartwig war im Thalia dabei. Der Potsdamer Produzent von „Gundermann“ kennt Eva Weißenborn noch aus dem Theater. „Eine wunderbare, von mir hochgeschätzte Kollegin. Sie war die Ikone am Hans Otto Theater.“ Bei dem Wort Diva oder Ikone winkt Eva Weißenborn nur müde ab. Vielleicht „Provinzdiva“?!

Doch damals in der Zimmerstraße, in den 80-ern, spielte sie die größten Rollen, brachte Shakespeares Richard III. in vielschichtig kalter Präzision auf die Bühne. Ihre Traumrolle. Bösewichter und Hexen spielte sie schon als Kind im heimischen Wohnzimmer in Thüringen gern. Auch Heiner Müllers Gesellschaftsattacke „Wolokolomsker Chaussee“ durchzog sie mit einem Atem, der frösteln und hoffen ließ. Ebenso unvergessen ihr urkomischer Monolog „Beim Aufräumen“, bei dem kein Auge trocken blieb. Unzählige Rollen, große Abende. Doch der für sie schönste war einer, an dem sie nur eine winzige Rolle hatte: in Rolf Winkelgrunds Inszenierung „Der weiße Anzug“ von Alonso Alegria. „Dort flogen die Blumen vom Publikum auf die Bühne und wieder zurück und der Beifall nahm kein Ende.“ Sternstunden.

Der große Spiegel im Arbeitszimmer von Eva Weißenborn und ihrem Mann K. Dieter Klebsch, mit dem sie seit Studientagen das Leben teilt, wirft die Vergangenheit wieder hautnah und ohne Pathos auf den langen Tisch. Während wir die zigste Tasse schwarzen Tee aus feinem weißen Porzellan trinken und auf die apricotfarbenen Rosensträuße schauen, geht die Erinnerung zurück. Auf die Bühne. Bei aller Freude über die tollen Kinorollen, die sie jetzt hatte und die natürlich für mehr Bekanntheit sorgen als am Theater, ist und bleibt sie die Geliebte der abendlichen Schauspielkunst, wo man immer weiter feilen kann. „Anfangs war ich nie aufgeregt vor der Premiere. Doch je mehr ich von dem Beruf wusste und wie schnell man auch etwas versemmeln kann, umso aufgeregter wurde ich. Es liegen so manche Rollenleichen von mir auf der Bühne.“

Als sie mit der Ophelia in „Hamlet“ am Magdeburger Theater ihre Laufbahn begann, sprang sie noch wie wild auf der Bühne herum, trotz ihrer Schwangerschaft mit Tochter Anna. Sie wollte alles zeigen. Zehn Jahre später spielte sie die Ophelia erneut. Diesmal am HOT: abgespeckt, den Kern herausgeschält. Eva Weißenborn rang oft um jeden Satz, manchmal auch im Disput mit dem Regisseur. So wie mit Friedo Solter am Deutschen Theater, dem sie schließlich eine Rolle zurückgab. „Es hätte der Nagel zu meinem Sarg sein können. Aber er besetzte mich danach wieder.“ Reibung erzeugt Wärme, ist einer ihrer Lebenssätze. Ebenso wie ihre Überzeugung, dass sie immer Glück in ihrem Berufsleben hatte. „Manche, die Großes leisten, bleiben unentdeckt in ihrem kleinen Theater.“ Sie hatte Glück und wurde gesehen: erst von Uta Birnbaum, die sie im zweiten Berufsjahr nach Potsdam holte, dann von Rolf Winkelgrund, der ihr den Weg nach Berlin ebnete. Dort blieb sie, bis Intendant Thomas Langhoff 2001 gehen musste. Und mit ihm die meisten Schauspieler, die noch keine 15 Jahre dabei waren. Auch damit hadert sie nicht. So ist es eben am Theater.

Eva Weißenborn spielte freiberuflich weiter: in Wiesbaden, bis sie die Nase voll hatte von der Fahrerei. Da kam ihr das Angebot des Coachings in den nahe gelegenen Babelsberger Filmstudios gerade Recht. Nach acht Jahren gab sie die Arbeit bei der Telenovela auf, für die sie oft nur ein abwertendes Lächeln erntete. Aber sie hatte Respekt vor den Kollegen, die in Windeseile Texte lernen und täglich vor der Kamera stehen mussten. Und denen sie in Windeseile mit ihren Schauspieltricks zur Seite sprang.

Eva Weißenborn wird jetzt 64. Daraus macht sie keinen Hehl. Sie wird weiterarbeiten, wenn Arbeit kommt. „Wenn ein Regisseur alte schräge Typen hat, her damit! Die habe ich schon sehr gern. Für andere Frauen, die schönen, sind Iris Berben oder Veronika Ferres zuständig.“

Die Babelsbergerin macht das, was ihr Spaß macht und lehnt auch Drehbücher ab. „Man sollte zwar in dem Beruf demütig sein, doch auch Demut hat Grenzen. Und wenn keine spannenden Angebote kommen, dann mache ich es mir selber schön.“

Den roten Teppich vermisst sie nicht. Dafür genießt sie das Schnurren ihres schwarzen Prinzen, Nachbars Kater, und ein gutes Buch. Wie jetzt die Biografie über Bertolt Brecht. Und schon sieht man sie wieder als Seeräuber-Jenny vor sich, damals in der „Dreigroschenoper“ in der Enge der Zimmerstraße.

Der Film „Lux - Krieger des Lichts“ läuft noch einmal am morgigen Sonntag um 12.40 Uhr im Thalia

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