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Kultur: Hella wartet schon ...

Die Nibelungen neu erfunden – von Tarantula

Fast alles, was zwischen Himmel und Erde geschieht, liegt in Frauenhänden. So sehen es jedenfalls die jungen Akteure der Theatergruppe Tarantula, die am vergangenen Wochenende ihre Nibelungen-Adaption auf der Freilichtbühne des Offenen Kunstvereins zur Premiere brachte. Glück und Unglück sind hier zwei äußerst liebreizende Jungfrauen, angetan mit messingfarbener Seide und schwarzem Samt. Immer wieder treffen sie sich und streiten ständig darum, welche von ihnen die Oberhand behält. Unglück muss sehen, wo sie bleibt, denn Glück kann nicht verbergen, dass sie in den Helden Siegfried verliebt ist. Doch es kommt, wie es kommen muss. Am Ende freut sich die Dritte: Hella, die geheimnisvolle Hüterin des Totenreichs.

Um schließlich fast alle Protagonisten mit höhnischem Gelächter in die Unterwelt zu begleiten: Zuerst den Drachen Felix, dann den Helden Siegfried und ganz zuletzt auch die Königinnen Brunhild und Kriemhild. Die vielen namenlosen Kämpfer zwischendurch gar nicht mitgezählt. Bis hierher hält sich die Nibelungen-Adaption von Spielleiterin Ulrike Schlue (Mitarbeit: Jenny Bellmann) faktisch noch ziemlich genau an die berühmte mittelalterliche Vorlage. Doch die Interpretation der unzähligen bekannten Helden- , Frauen- und Kriegerfiguren geschieht bei einer Inszenierung dieser Kinder- und Jugendtheatergruppe des Offenen Kunstverein wie so oft mit phantasievoller Respektlosigkeit und wirklich ansteckendem Humor.

Die 21 elf- bis vierzehnjährigen Mitspieler hatten bei der Stückentwicklung manche originelle Idee. Der im wahrsten Sinne des Wortes aufgeblasene Siegfried wächst zusammen mit seiner toughen Schwester Gerda heran. Die verabscheut vehement das ihr zugedachte Strickzeug und spielt stattdessen lieber mit dem netten Drachenjungen Felix. Dass ausgerechnet er dran glauben muss, damit Siegfried unverwundbar wird, ist schon ziemlich tragisch.

Um Siegfried selbst ist es nicht wirklich schade, ist ihm doch vor lauter Kraft so manche „ritterliche“ Tugend abhanden gekommen. Und die anderen edlen Helden vom Hofe in Burgund? Sind nicht halb so geistreich und unterhaltsam wie die reimenden und singenden Köche Volker und Bruno. Oder der ständig heisere Zwerg Alberich, der in die Spanisch sprechende Königin Ute verliebt ist. Und nicht zu vergessen, die sich in der Aufführung tummelnden Götter des nordischen Sagenkreises Odin, Frigga, Freya und Loge. Letzterer andauernd und aufreizend mit zwei riesigen Zündhölzern spielend.

Ganz davon zu schweigen, dass der gesamte opulente Stoff hier in siebzig Minuten äußerst leichtfüßig über die Bühne geht. Inklusive rauschender Doppelhochzeit und ebensolcher aber ziemlich komplizierter Hochzeitsnacht. Ein geistreicher Augen- und Ohrenschmaus für die zahlreichen Zuschauer im lauschigen Sommertheater in der Potsdamer Innenstadt (Bühne: Sylvia Heilgendorff, Kostüme: Eva Kowalski), bei dem die jungen Akteure ihren Spielwitz wieder so richtig zeigen konnten. Ohne, die über allem schwebende, Unglück verheißende Ankündigung – Hella wartet schon – auch für das Publikum ganz vergessen zu machen. Am Ende gab“s rote Rosen und viel Applaus für die jungen Schauspieler und ihre vielen fleißigen Helfer.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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