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Autorin Helga Schütz.

© Andreas Klaer

Helga Schütz schreibt an Theodor Fontane: "Sellerieunverträglichkeit, stimmt das?"

Für einen Film über Fontane näherte sich Helga Schütz seiner persönlichen Korrespondenz: mit Begeisterung und Bedenken.

Sehr verehrter Herr Fontane,

Gratulation zum Zweihundertsten. Es geht ja hoch her dieses Jahr. Wissenschaft, Politik, großes Aufgebot. Neue Publikationen sonder Zahl. Nicht wenige Germanisten haben dank Ihnen ausgesorgt. Gratulation. Unser Interesse geht weit über Ihre Werke hinaus. Beeindruckend, was man alles über Sie herausgefunden hat. Sellerieunverträglichkeit, stimmt das? Wir wollen Ihnen im Jubeljahr einmal mehr auf die Schliche kommen.

Zum Fünfundsiebzigsten war das anders. Es gab Blumen und Präsentkörbe, aber Sie sahen doch viele, die nicht zur Feier gekommen waren. Auch einige neue Gesichter, neue Namen. Die preußischen Zeitungen würdigten. Man lobte Ihren Bummelstil und die ungemeine Sorgfalt des „lieben Alten“, allem, was nur im Entferntesten einem Gedanken ähnlich sieht, aus dem Wege zu gehen.

Nichts wollte Ihnen mehr gelingen

Um Ihren 163. Geburtstag herum hat das Fernsehen Ihnen zu Ehren einen Film gedreht. Mit Ihrer Berliner Adresse als Titel, „Potsdamer Straße 134c“ – dort in der dritten Etage haben Sie 26 Jahre gelebt, dort haben Sie die meisten Ihrer Romane geschrieben. Ein Foto zeigt Sie im Arbeitszimmer am übervollen Schreibtisch. Tintenlöscher, Briefbeschwerer, der kuriose Abguss der Hand von Moltke. 

Theodor Fontane an seinem Schreibtisch.
Theodor Fontane an seinem Schreibtisch.

© Theodor-Fontane-Archiv

Auf einem Foto sitzen Sie mit Ihrer Tochter Mete vor dem Haus auf den Treppenstufen. Ich hatte den Auftrag, Material für den Film zu sammeln. Wir wollten Ihr Leben von einem dunklen Punkt her erzählen. Sie waren sechzig, Sie steckten in einer Krise. Es wollte nichts mehr gelingen. Schreibblockade, Mutlosigkeit, Krankheit. Darauf der Rat Ihres Arztes, alles Begonnene, Stockende beiseitelegen, neu starten und zwar mit der Kindheit.

Ein autobiographischer Roman

Das war ein prima Rat. Sie nannten Ihre Erinnerungen einen autobiographischen Roman. In einem Kapitel schildern Sie ein Versteckspiel. Der Junge hinter einem Dachsparren im Heu beobachtet, wie die Spielkameraden suchen, das Herz klopft, erst triumphierend, dann erschrocken, weil die Kameraden immer wieder an ihm vorüberrennen. Weil sie ihn an seinem einsamen Ort nicht finden und schnell vergessen, weil sie schon mit Butterbroten versorgt sind, weil er unbeachtet geblieben war. 

Sie fragen sich, worin wurzelt da das Glück? Im Schreiben, im Verstecken. Die Idee verbirgt sich in Handlung, am Ende in einem Roman. Das Kind in der Dachsparrenhöhle im Heu.

Nachdem die Kindheit erzählt war, ging das Schreiben und damit auch das Leben leichter. Ein Bekenntnis zum Eigenen. Eine Unabhängigkeitserklärung. Auf diesem Fundament konnten die großen bekannten Romane gedeihen. Das vermeintliche Ende, ein doppelter Anfang. Kindheit und Alter in Korrespondenz.

Die Suche nach Ihren Spuren

Wir suchten nach Ihren Spuren. Zu Ihrem Grab führte damals kein Weg. Es lag dicht an der Berliner Mauer im Grenzgebiet. Die Potsdamer Straße unerreichbar im Westen.

Ein Roman-Manuskript konnten wir im Märkischen Museum finden, Lebenszeichen in Neuruppin. In Potsdam im Archiv sind wir Ihnen aber dann dicht auf die Pelle gerückt. Ich habe tagelang in Ihrer höchstprivaten schöpferischen Werkstatt gewühlt. In Kisten mit Postkarten, Briefen, Haushaltsbüchern, Zeitungsausschnitten, Entwurfszetteln.

Ich danke den vertrauensseligen Hütern der Archive, vor allem danke Ihnen. Und ich entschuldige mich.

Schließlich haben die Briefe von Ihnen bestimmte Adressaten. Sie haben die Papiere in gut versiegelte Couverts gesteckt. Manuskripte sind Geheimsachen. Nur für Vertrauenspersonen. Für Frau Emilie, Mete, Lektoren, Freunde.

Suchen macht Spaß. Finden beglückt

Zeit löst nicht jede Sitte. Noli me tangere. Erkenntnisgewinn?

Verzeihen Sie meine Anmaßung. Vielleicht habe ich Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Ich habe Ihre Gunst erhofft, denn ich fühle mich Ihnen verbunden. Ich bilde mir ein, man kennt sich, um Ecken, über Generationen. Dem jungen Dichter Gerhart Hauptmann haben Sie einmal Gutes getan. Sie haben sein Theaterstück, das Sie im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt gesehen hatten, gelobt, und mir, der Enkelin einer Schwägerin seiner Haushaltshilfe, hat der alte Hauptmann einmal freundlich einen Kalender geschenkt.

Nach Jahren gerechnet eine Generationenkette, ich glaube jedoch, alle meine Vorfahren bilden um mich einen Kreis. Suchen macht Spaß. Finden beglückt. Wie oft sind wir Ihnen nachgestiegen auf Ihren Wanderwegen durch die Mark Brandenburg. Auf der Suche nach Resten. Oder wir folgten auf einem Schiff der Weißen Flotte von Treptow aus ungefähr der Tour, die Sie mit der Segeljacht Sphinx auf Spree und Dahme unternommen hatten.

Sie waren schon überall

Eine Bemerkung, die Sie in einem Brief aus Rom gemacht haben, war uns damals ziemlich an die Nieren gegangen: Alles Unterwegssein sei müßig, wenn es nicht einen Beschreibungsstoff abgeben würde. „Nach dieser Seite hin war die kleine Fahrt, die ich (vier Wochen vor meiner Reise) von Köpenick nach Teupitz spreeaufwärts machte, unendlich ergiebiger als Venedig, Florenz und Rom zusammengenommen.“ 

Das tröstete und trieb gleichzeitig auf die Barrikaden. Na klar, Sie waren schon überall. Es war beglückend, Ihren Spuren zu folgen, erst einmal auf kleiner Fahrt bis Teupitz. Jetzt ist Fastenzeit, aber bestimmt am 30. Dezember kippe ich ein Glas des Dankes.

In Verbundenheit

Helga Schütz

Es schreibt heute: die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Helga Schütz, Ehrenbürgerin von Potsdam. Helga Schütz begeisterte durch Bücher wie „Jette in Dresden“, „Heimat süße Heimat“, „Sepia“ oder „Die Kirschendiebin“. 

>>Nächste Woche schreibt der Potsdamer Kultur- und Kunstwissenschaftler Gert Streidt, Direktor der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz.

Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich des 200. Geburtstages des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Helga Schütz

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