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Collagen auf Kanzleipapier. „Im Garten der Zahlen“ nennt Falko Behrendt dieses Werk. Als bevorzugtes Material für seine Kunst dient dem gebürtigen Torgelower seit etwa zehn Jahren altes hochgeleimtes Schreibpapier. Er besorgt es sich in Antiquariaten – alte Rechnungen, Briefe oder Abhandlungen.

© Manfred Thomas

Kultur: Heiter-gruselig

Bilder von Falko Behrendt und Skulpturen von Ev Pommer werden in der Galerie Ruhnke gezeigt

Er behält den Schlüssel für sein Märchenschloss in der Tasche. Gern lädt er Gäste an die lange Tafel, um Prinzessinnen, Hexen und Feen durch die Räume schweben zu sehen. Doch nur für ein Sternenfunkeln im Dämmerlicht. Falko Behrendt, der Märchenerkunder, bewahrt das Geheimnis, das jedem Zauber inne wohnt. Wer in seine Bilder tritt, sollte sich überraschen lassen von den wilden Verstrickungen, in denen sich Träume und Erinnerungen überlagern. Behrendt kennt sie alle: die Grimms und Hans Christian Andersens, und er liebt es bis heute, ihre Übersetzungen und Illustrationen aus Japan, China oder sonst woher zu betrachten. Als kleiner Junge tauschte er Schokolade, die ihm der Vater, ein Kaufmann, von Dienstreisen mitbrachte, oft gegen Märchen ein. Die las ihm seine Schwester vor, die sich gern bestechen ließ. Die Liebe zu diesen Geschichten aus Kindertagen währt bislang sein ganzes Leben.

Wer in der Galerie Ruhnke in Behrendts Adaptionen von „Jorinde und Joringel“ oder „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“ eintaucht, dem läuft auch schon mal der Schauer über den Rücken. Denn die Sprache der filigranen Liniengeflechte, farbigen Formen und collagenförmigen Zuschnitte fördert Ahnungen der Düsternis zutage. „Wir spielen, bis der Tod uns abholt“, zitiert Behrendt den Dadaisten Kurt Schwitters. Ja, er ist ein Spieler, der gebürtige Torgelower, Jahrgang 1951, der jetzt in Lübeck wohnt und immer neue Karten zückt. In jüngster Zeit die Collage. Das Kunsthaus in Lübeck spülte ihm altes Kanzleipapier ins Atelier und der Überbringer sagte: „Mach was draus!“ Das war vor etwa zehn Jahren. Seitdem schneidet und klebt, bemalt und radiert der Künstler altes hochgeleimtes Schreibpapier zu seinen eigenen Räumen der leisen Ahnung, die sich oft erst über Jahre verdichtet. Inzwischen spürt er es selbst auf: dieses lebensknisternde Papier, in Antiquariaten in aller Herrgotts Ländern. Rechnungen, Protokolle, Briefe, mathematische oder medizinische Abhandlungen. Schön, wenn sie vergilbt oder abgegriffen sind.

Manche dieser Papiere liegen ewig in seinem Regal, bis ihre Stunde der Wiedererweckung gekommen ist. „Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist“ zitiert Behrendt nunmehr den Chemiker Pasteur. Eines der medizinischen Blätter aus einem Krankenhaus wurde zu dem Märchenbild „Von einem der auszog “. Und es lehrt wirklich das Gruseln mit all den Geräten, die an Folterwerkzeuge erinnern. Er übermalte sie zum Teil mit Hunderten winzigen Mauersteinen: im meditativen Versinken während eines dreiwöchigen Italienurlaubs. Sein Grusel-Turm wird bekränzt von Blumen und einem Totenschädel und einem unter weißer Farbe beerdigten Kind. Was sich am Ende so spielerisch, heiter oder dramatisch präsentiert, als sei es aus dem Ärmel geschüttelt, ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses. „Ich arbeite nicht einer Überschrift entgegen, sondern lasse mich von mir selbst überraschen.“ Und so wird aus einer Kuh, die er vielleicht malen wollte, am Ende eine Brücke.

Sie passen bestens zusammen: Behrendts Märchen, Gärten, Häfen und auch Blumenradierungen, in der sich vor tiefschwarzem Untergrund eine Amaryllis in filigraner Eleganz leuchtend orange herausschält, und Ev Pommers heiter-traurige Skulpturen. Auch sie laboriert mit den verschiedensten Materialien, lässt sich treiben von dem Moment und der Intuition.

Während Behrendt zum festen Kreis der Ruhnke-Künstler gehört und auch schon zuvor in Potsdam vertreten war, sind die Arbeiten von Ev Pommer zum ersten Mal hier zu sehen. 1968 im brandenburgischen Wriezen geboren, blieb die Künstlerin nach ihrem Studium der Bildhauerei an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin wohnen. Dort arbeitet sie an ihrem großen Thema Mensch, ohne dass dabei tatsächlich menschliche Körper entstehen. Aber sie kennt ihn genau und findet nun unbewusst allgemeingültige Formen, die vertraute Gefühle herausschälen: schwungvolle Fröhlichkeit neben leiser Melancholie, kraftvolles Aufwärtsstreben neben müdem Fallenlassen. Es sind ganz feine zarte Gebilde, manche, wie „Little rain“, ängstlich unter einem Glasdeckel verschanzt. Anderen gelang die „Flucht“ nicht: Hauchdünne Verästelungen sind blutrot überzogen und deuten eine tiefe Wunde an. Aber so wie bei Falko Behrendt gibt es auch in ihren Arbeiten keine Gewissheit. Wir spüren im Fragilen vage die Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit. Pommer greift zu den in Bögen wachsenden Zweigen vom Essigbaum oder Holunder und lässt ihnen ihre Bewegung. Palmenrispen dienen ihr wiederum als Material, das sie in Kreisform biegt und mit weichem Stoff umhüllt. „Man fühlt einfach die Spannung dieses natürlich gewachsenen Materials.“ Auf den Philippinen dienen Palmenrispen als Besen. Bei ihr werden sie zu Poesie.

Es ist ein überzeugendes Konzept, das Galerist Werner Ruhnke verfolgt, wenn er in seinen Ausstellungen den Zusammenklang von Bildern und Plastiken sucht. „Mir kommt meine Galerie inzwischen leer vor, wenn ich keine Skulpturen habe.“ Das Zwiegespräch zwischen den Tröpfchen und Linien in den Gärten und Märchen von Falko Behrendt und den feinen Verästelungen in Ev Pommers abstrakt formulierten menschlichen Gesten erfolgt in leisen Tönen: Keiner erdrückt den anderen. Es herrscht eine heiter-ruhige Gelassenheit. Und manch märchenhafter Grusel.

Zu sehen bis zum 26. Februar 2017, mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung in der Galerie Ruhnke, Charlottenstraße 122

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