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Das Cover des neuen Albums im Suhrkamp-Look: "Mild Thing" der Potsdamer Stonerocker Stonehenge.

© Promo

„Heavy Prog“ im Suhrkamp-Stil: Immer ein bisschen krumm

„Heavy Prog“ im Suhrkamp-Stil: Die Potsdamer Stonerrocker Stonehenge haben mit „Mild Thing“ ihr zweites Album veröffentlicht. Porträt einer Band zwischen Tour-Euphorie und Probenraumverlust.

Gitarren von allen Seiten, röhrende Orgel-Solos und lange Instrumental-Passagen – mit diesem Sound und schweißtreibenden Live-Performances sorgt die Potsdamer Band Stonehenge seit Jahren zuverlässig für volle Häuser, zuletzt kürzlich beim offiziellen Record Release ihres zweiten Albums „Mild Thing“ im Archiv Potsdam. Auf CD und im Internet auf Bandcamp ist das Album zwar schon im Herbst erschienen, aber erst jetzt ist auch die Schallplatte fertig – und Vinyl ist nun mal der Goldstandard im Stonerrock, der den Psychedelic Rock der 1960er-Jahre mit dem Metalsound von Black Sabbath vermählt.

In der sehr lebendigen deutschen Stonerszene haben Stonehenge einen gewissen Underground-Status, den die Band durch das neue Album noch einmal untermauern dürfte – auch wenn sich die Potsdamer langsam von ihrem Stoner-Image befreien möchten: „Wir selber sprechen lieber von ‚Heavy Prog’ statt von Stonerrock“, sagt Sänger und Gitarrist Enrico Semler, der auch in der Progressive- Rock-Band Eat Ghosts spielt. „Wir hören ja nicht nur Stoner, sondern auch Sachen wie Jazz oder Hip-Hop“, ergänzt Schlagzeuger Ole Fischer, der ebenfalls noch in einer Prog-Band spielt, nämlich Transpanda. Und tatsächlich haben Prog-Elemente – komplexe Strukturen, Laut-Leise-Dynamik, Tempowechsel, viele Breaks – schon immer eine wichtige Rolle bei Stonehenge gespielt.

Der Bruch mit Stoner-Klischees zeigt sich schon an dem auffälligen Cover von „Mild Thing“, das keine psychedelischen Motive zeigt, sondern komplett schwarz gehalten ist und mit dem violetten Schriftzug „S.T. Onehenge“ und dem Untertitel „Belletristik – Taschenalbum“ auf das ikonische Design der Suhrkamp-Taschenbücher verweist. „Erst haben wir überlegt, uns an den Reclam-Heften zu orientieren, aber das Cover vom ersten Album war ja auch schon gelb“, sagt Semler.

Das hieß „Bunch of Bisons“, erschien 2013, und hatte einen Mann mit Bisonkopf auf dem Cover – besser lässt sich der Wandel vom ersten zum zweiten Album kaum illustrieren. Denn auch wenn die Riffs auf „Mild Thing“ nach wie vor so wuchtig sind wie die besagten Megalithen des Bandnamens, ist die Produktion transparenter geworden, es gibt mehr ruhige Passagen, die Songs sind dynamischer und kontrastreicher geworden. Nach wie vor dominieren die Instrumental-Parts, etwa im düsteren „Ole in Het Spoohuis“, das auf ein Kindheitserlebnis von Fischer verweist: „Ich war mit meiner Familie in einer Geisterbahn und bin in einer Kurve aus dem Wagen geflogen. Nach einer Weile habe ich dann ein Licht am Ende des Tunnels gesehen – das war ein Mitarbeiter mit Taschenlampe, der mich dann rausgeholt hat“, erzählt Fischer.

Gegründet wurden Stonehenge 2009. „Wir haben damals halt viel klassischen Stonerrock wie Sleep gehört und da dachten wir, bei Stoner muss irgendwie ein Stein im Bandnamen sein“, sagt Semler. Fischer stieg 2010 ein und verließ dafür die Band Liquid Silk – ungewollt: „Ich spielte noch in einer anderen Band und meine Eltern wollten, dass ich in nicht mehr als zwei Bands spiele.“ Schon mit den ersten Probeaufnahmen auf Myspace konnten Stonehenge viele Hörer überzeugen: Prompt wurden sie in Berlin gebucht und spielten 2010 im Astra als Vorband von My Sleeping Karma, einer der wichtigsten deutschen Stoner-Bands neben Colour Haze. Mit Michael Paukner am Bass, Johannes Walenta an den Keyboards, Fischer am Schlagzeug und Semler an der Gitarre war die Besetzung komplett. Zusammen bannte man die durch viele Live-Auftritte gereiften Songs auf das Debüt, auf dem sich Stonehenge präsentierten wie eine krautrockige Version von Kyuss mit vielen komplexen Breaks – Heavy Prog eben. „Wir wollten es immer ein bisschen krumm machen“, sagt Semler.

Eine Mischung, mit der Stonehenge schon etliche Bühnen von Polen bis in die Niederlande gerockt haben. Demnächst sind sie wieder auf Tour: Für Ende März/ Anfang April sind Konzerte in Rostock, Halle, Berlin, Jena und Bremen geplant, auch ein paar Auftritte in Frankreich stehen auf dem Programm. Der Zeitpunkt ist nicht ganz freiwillig gewählt, denn ab dem ersten April haben Stonehenge keinen Probenraum mehr. So wie rund 30 anderen Bands und Musikprojekten aus Potsdam war Stonehenge zum ersten Januar der Mietvertrag im Proberaumkomplex in der Ahornstraße gekündigt worden. Übergangsweise teilt sich Stonehenge nun bis Ende März einen Raum in der Ahornstraße mit Liquid Silk und Cesspit, die genau wie sie Teil des Musikkollektivs Brausehaus sind. Wie es danach weitergeht, ist unklar.

Auf den Hausbesitzer Jörg Thiede ist die Band nicht gut zu sprechen: „Für mich war das ein abgekartetes Spiel“, sagt Fischer. „Erst bekommen wir im September die Kündigung, und Mitte Dezember bekommen wir plötzlich das Angebot, einen Knebelvertrag für weitere drei Jahre zu unterschreiben, mit 70 Prozent höherer Miete.“ Darauf ließ sich die Band nicht ein, sie wählte die dreimonatige Übergangsfrist zu den alten Konditionen.

Zusammen mit den anderen Mitgliedern des Brausehauses hatten Stonehenge ihrem Ärger im Dezember mit einem offenen Brief an die Stadt Luft gemacht, denn bezahlbare Proberäume sind in den vergangenen Jahren immer mehr aus Potsdam verschwunden und Ausweichmöglichkeiten gibt es derzeit kaum. Das gelte auch für die 35 Container, die vor Kurzem in Rehbrücke aufgestellt wurden: „Das ist für uns keine Alternative“, stellt Fischer klar. „Wir haben uns die schon angeschaut: Es gibt keine Dämmung, man muss mit Gas heizen, man kann die Leute im Nachbarcontainer reden hören – wie soll das erst werden, wenn wir mal richtig laut spielen?“ Und das können Stonehenge definitiv.

Stonehenge: Mild Thing. 6 Musikstücke, 40 Minuten. Erhältlich über www.bandcamp.com. Die CD kostet 8, die Vinylplatte 13 Euro.

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