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Harry Mohr-Schau im Kunstraum Potsdam: Brillanter Dödelkopf

Der Kunstraum zeigt eine Schau zum Potsdamer Künstler Harry Mohr – ein Jahr nach dessen Tod.

Ist das ein Keith Haring, der da steht? Eine Niki de Saint-Phalle? In Wahrheit sind die Arbeiten, die seit heute im Kunstraum des Waschhaus zu sehen sind, weder von dem vom Graffiti inspirierten New Yorker Künstler, der die 1990er-Jahre optisch mitprägte, noch von der für ihre üppigen Frauenskulpturen bekannten Französin – sondern vom Potsdamer Harry Mohr. Zumindest mit dem ersten dieser beiden Weltstars der Kunst verbindet ihn – außer einer oberflächlichen Werkähnlichkeit – auch sein zu früher Tod. Vor ziemlich genau einem Jahr, Anfang November 2014, starb Harry Mohr mit nur 64 Jahren.

Dass so schnell eine umfassende Werkschau gezeigt werden kann, hängt vor allem mit dem Kunsthistoriker Andreas Hüneke zusammen, der Mohr lange kannte – eigentlich, seit Mohr 1982 nach Potsdam gekommen war. Damals hatten sie sich über den Verband Bildender Künstler getroffen. Dabei war Mohr eigentlich Autodidakt, er hat nie eine Akademie besucht. „Er fing während seiner Armeezeit an zu kritzeln, um der Enge, den Befehlsstrukturen, zu entfliehen“, sagt Andreas Hüneke beim Rundgang durch die Galerie. Auch danach blieb Kunst für ihn immer ein bisschen Therapie, ein Mittel, um sich gegen die Zumutungen des Lebens zu wappnen. „Gerade in seinen späten Arbeiten – damals war seine Frau schon schwer krank – haben trotzdem noch diese positive Ausstrahlung“, so Hüneke.

Eben die ist es auch, die an den früh an Aids gestorbenen Keith Haring oder Niki de Saint Phalle erinnert – auch wenn Harry Mohrs Arbeiten bei genauerem Hinsehen etwas ganz anderes, eigenständiges sind, fern von jedem faulen Anlehnen an Vorbilder. Daran ist nicht nur seine überbordende Phantasie schuld, mit der er eine kaum zu überblickende Fülle von Techniken und Stilen produziert hat. Linolschnitte und Radierungen, dann wieder mischte er Ölfarben mit Lacken, was die Farben zart verlaufen ließ, Ölfarben mit Wachs, was wieder andere Effekte erzielt. Vielmehr gründet dieses ganz eigene Wesen seiner Arbeiten in einer Art unbekümmerter Ernsthaftigkeit. Dieses Probieren, Tasten, Suchen, das hat vielleicht auch etwas mit seiner schieren Erzähllust zu tun.

Da ist etwa dieses Monster, zusammengerollt wie ein Embryo, rotglühend in einem rosafarbenen Leib. „Geistesblitze eines Dödelkopfs“ heißt es. Auf den ersten Blick eher abstraktes Farbspiel, aber wenn man näher rangeht, steckt es voller Geschichten. Deshalb wohl erinnern so viele seiner Bilder auch an große Kinderbuch-Illustratoren, wie etwa Reinhard Michl. Oder die Radierungen: Da stimmt noch die feinste Linie – aber eben auch die gesamte Komposition. Auf „Doppel Moppel“ etwa, das ein Jazzkonzert mit Conny Bauer, dem berühmten Jazzposaunisten zeigt, flirrt weißer Glitter durch das Bild, als würde die Musik selbst die Luft zum Tanzen bringen. Überhaupt spielt Musik in Mohrs Bildern oft eine Rolle – und die Literatur. Als Bulgakows „Der Meister und Margarita“ in der DDR der Renner war, schuf er eine ganze Grafik-Serie dazu.

Bei diesem wilden, irgendwie immer ein wenig anarchischen Herangehen Mohrs ist eigentlich klar, dass er sich auch intensiv mit „Art Brut“ – also der Kunst psychisch Kranker, Gefangener oder Kinder beschäftigte – obwohl die in der DDR wenig verbreitet war. „Er selbst hatte Schiffbau gelernt – wie er gelernt hat, so diffizil zu drucken, ist mir ein Rätsel“, sagt Andreas Hüneke.

Um 1989 herum wurde Mohr dann in seinen Werktiteln zunehmend politisch. „Welch Bruder ging uns da verloren“, heißt eines, „Was haben die da zu suchen“ ein anderes. In letzterem Werk stehen sich zwei Gruppen gegenüber, es könnten ebenso gut Baum- wie Menschengruppen sein. Windgebeutelt, drahtig und schief die eine Seite, stolz und gerade die andere. 1991 dann besetzte Mohr mit anderen Künstlern zusammen eine ehemalige Stasi-Villa in der Geschwister-Scholl-Straße. Im Hof fand er – vom Regen völlig aufgeweichte – Berge geschredderter Akten. Wieder neues Material für den spielwütigen Mohr. Erst formte er aus dem matschigen Material Skulpturen – die er aber misslungen fand und nach einer ersten Ausstellung wohl wieder zerstörte. Dann begann er, neues Papier aus dem Aktenmatsch zu schöpfen, neue, leere Blätter, die er wieder bemalen konnte. „Schwamm drüber“, heißt eines. Es ist ein Segen, dass Andreas Hüneke und der Kunstraum sich jetzt mit aller Macht dagegen stellen, dass irgendwann auch der Schwamm der Geschichte über Harry Mohrs komplexes Werk geht: Zur Ausstellung erscheint auch ein umfassender Katalog – es wird der erste zu Harry Mohr sein.

Die Ausstellung ist ab heute und noch bis 22. November im Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse, zu sehen.

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