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Hans Otto Theater Potsdam: "Pension Schöller": Im Schnupfwinkel der Komödie

Mit „Pension Schöller“ gönnt sich das HOT Unterhaltung pur – und eine Auszeit vom Spielzeitmotto.  

Kennen Sie „Hamnet“, „Wannenstein“, nicht zu vergessen den „König Nier“? Wenn nicht, kleiner Tipp: Es handelt sich um Werke der Weltliteratur. Wenn ja, dann haben Sie am Freitag vielleicht „Pension Schönner“, pardon: „Pension Schöller“ im Hans Otto Theater gesehen, den Schwank von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs. Und wenn dem so war, dann werden Sie Eugen noch im Ohr haben, den angehenden Schauspieler, der sich – noch – als Buchhändler tarnt, aber gar nicht so heimlich seinem eigentlichen Traum entgegenstrebt, trotz aller scheinbaren und vielmehr noch hörbaren Hindernisse. Der sich das Hemd vom Leibe reißt, die Arme weltumgarndend aufsperrt und brüllt: „Nasst mich den Nöwen auch noch spien!“

Hannes Schumacher spielt diesen Eugen, und er spielt ihn mit aller gebotenen Hingabe. Am Ende wird er verdientermaßen den meisten Applaus abkriegen, er hat ja auch den besten Gag in „Pension Schöller“ abbekommen. Der Sprachfehler dieses armen, aber unerschütterlichen Eugen ist herzerschütternd einfach und ungemein effektiv. Er zeigt über einen winzigen, aber wesentlichen sprachlichen Twist, wie nahe hochtrabender Bühnensprech und Dada, Literatur und Unsinn zusammenstehen: Es trennt sie genau ein Buchstabe. Wie instabil muss eine Welt sein, die sich mit dem Verdeher nur eines Lautes auf den Kopf stellen lässt! 

Die Zuschauer freuen sich an Eugens ständigem Versagen

Und wie grausam die schadenfreudig lacherdurchschüttelten Menschen in ihr, die wir als Zuschauer da unten im Parkett sitzen und uns an der hoffnungslosen Beharrlichkeit dieses Eugen freuen. An seinem ständigen Versagen und lächerlichen Selbstbewusstsein – und sicher auch am bildungsbürgerfreudigen Wiedererkennen der Texte, die Eugen da heruntersprudelt, den klassischen Kanon durch den Sprachfleichschwolf kurbelnd.

Graumsamkeit und eine Welt, die sich vom einen Moment zum nächsten in ein Irrenhaus verwandeln kann – um solche Dinge mag es in dem 1890 uraufgeführten Schwank unterschwellig gehen. Nicht umsonst hat Frank Castorf 1994 die Posse mit Heiner Müllers „Schlacht“ verknüpft, einer sprachlich strengen Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Immerhin kommt ja auch ein Kriegsgeschädigter vor, der ständig Gewehre rattern hört und in der hier verwendeten Bearbeitung von Jürgen Wölffer seine eigene AK-47 auch schnell mal zieht. 

Die bequemen Sitzkissen der Bürgerlichkeit werden durchgeschüttelt 

Vordergründig aber geht es in „Pension Schöller“ um Unterhaltung pur, und genau daran hält sich die Potsdamer Regie von Jan Jochymski. Zweieinhalb Stunden lang werden die bequemen Sitzkissen der gutbürgerlichen Welt gut durchgeschüttelt; am Ende aber ist alles wieder gut und man sitzt so bequem wie vorher. 

Was dazwischen an Handlung geschieht, lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Philipp Klapproth (Jon-Kaare Koppe), ein Gutshofbesitzer aus Kyritz an der Knatter, will daheim am Stammtisch glänzen und dafür in Berlin ordentlich was erleben: am besten ein paar Irre. Sein Neffe Alfred (David Hörning) soll ihm die vermitteln, und weil er dafür Onkels Geld bekäme, improvisiert er, verkauft dem Onkel eine gewöhnliche Pension – die „Pension Schöller“ – als eine Irrenanstalt. Der Onkel amüsiert sich dort, unter anderem mit beschriebenem Eugen, und fährt wieder zurück an die Knatter. Daheim wird er von den angeblichen Irren heimgesucht und selber ganz wirr dabei. Am Ende singen alle zusammen ein Lied („Wir haben alle eine Vogel“), auf dem Nachhauseweg muss sich niemand gruseln. 

Live-Musik und Café-Bühne

Damit das Wohlfühlprogramm reibungslos heruntergeschnurrt werden kann, hat die Regie ein paar wesentliche Zutaten mitbekommen. Erstens einen hervorragenden Musiker (Jeremias Koschorz), der live an Keyboard und Flügel für den musikalischen Puls des Abends sorgt: mal Wagner, mal Rolling Stones, mal Jacques Brel, oft nur angespielt, immer punktgenau. Zweitens eine konventionell gebaute Café-Bühne (Stefan Heinrichs), in der man trefflich hin- und her, hoch- und runter rennen kann, inklusive beschwingter Drehtür. Diese spuckt, drittens, wirkungsvoll ein Ensemble aus, das in bester Komödienlaune die Bewohner der „Pension Schöller“ gibt. 

Auftritt der „Irren“, wie Klapproth glaubt: Da ist René Schwittay als Professor Bernhardy, ein Tropenforscher in Kniestrümpfen mit adrettem Hüftschwung und ordentlich Selbstbewusstsein, Meister über Musik und Beleuchtung. Da ist Bettina Riebesel als Josephine Zillertal, pink gewandete Schnulzenschriftstellerin und auf der Suche nach einem neuen Helden (in Klapproth findet sie ihn). Da ist Henning Strübbe als Ex-Soldat mit Riesenbrille, gelenkig wie eine Gummipuppe und von einer Schlacht in „Sie wissen schon wo“ seelisch spürbar gezeichnet, im Sinne von ständig drohendem „piff-paff, spritz-spratz“. 

Und da ist Familie Schöller: Jörg Dathe als Pensionbesitzer Schöller, ein selbst gekrönter Operettenkönig, der wichtige Sätze singend vorträgt und für seine Lieder Szenenapplaus bekommt. Besagter Eugen ist sein Neffe, nur vor Klapproth blüht er allerdings zu beschriebener Größe auf. Vor dem Onkel versteckt er sich lieber in einem „Schnupfwinkel“, notfalls eine Zimmerlampe.

Am Ende tobt der Saal

Zwei Frauen geben in diese Selbstbehauptungsposse von übergroßen Egos wohltuende Portionen kluger, kühler Erdigkeit: Alina Wolff als Schöllers Tochter, Tresenkraft in der Pension, Berliner Schnauze und Strippenzieherin der „Schöller“-Farce. Und Nadine Nollau als die Schwester von Philipp Klapproth. Sie bewahrt Haltung im schlimmsten Durcheinander, ist Provinzpomeranze und doch ganz Dame. Jon-Kaare Koppe als Philipp Klapproth schließlich hat hier seine große Stunde. Ist erst aalglatter Provinzkönig, mit großem Gespür für Pointen und süßen Sarkasmus, später dann ordentlich derangiert. 

Mit „Haltung“, dem Spielzeitthema der ersten Spielzeit von Bettina Jahnke, hat das alles zwar nichts zu tun – aber wer fragt schon danach, wenn der Saal am Ende tobt. Vor der Komödie am Ku’damm, wo die „Pension Schöller“ jahrelang erfolgreich gespielt wurde, muss sich dieser Abend bestimmt nicht verstecken.

Nächste Vorstellungen am 2., 7., 8., 21. und 31. Dezember im Großen Haus

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