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Beim Benefizabend "Gemeinsam für das Sprechen" Anfang März war auch Nina Gummich im Hans Otto Theater dabei.

© Erna Schielden

Hans Otto Theater plant zweiten Benefizabend für die Ukraine: Vom Kämpfen an der Kulturfront

Benefizabende, Residenzpläne, Übersetzungen: Wie das Hans Otto Theater ukrainische Künstler:innen unterstützt – und sich dabei mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert sieht.

Potsdam - Vor zwei Jahren waren am Hans Otto Theater Auszüge aus dem Stück „Zimmer Nummer 7“ von dem ukrainischen Dramatiker Dmytro Ternovyi zu sehen. Es thematisierte den Krieg, der damals schon in der Ukraine wütete, aber noch nicht ins Bewusstsein der Menschen hier, im „Westen“, vorgedrungen war. Erzählt wird von zwei schwer Verwundeten in einem Krankenhaus. Er, Ukrainer. Sie, Russin. Ein versöhnlicher Text.

„Zimmer Nummer 7“ war im Rahmen des Festivals Next Stage Europe zu sehen, das am Hans Otto Theater angedockt ist. Dmytro Ternovyi war damals nicht in Potsdam, schickte aber einen Gruß aus Charkiw, wo er ein Theater leitet. 

Ärger über deutsche Arroganz

Das war 2020. Der Krieg in der Ukraine war fern. Im Mai 2022 ist er so omnipräsent, dass auch deutsche Intellektuelle, die sonst wenig mit der Ukraine zu tun haben meinen zu wissen, was gut ist für das Land. Christopher Hanf, Dramaturg am Hans Otto Theater, macht diese „deutsche Arroganz“ wütend. Er ist für das Festival zuständig – sowie der Kopf hinter der Benefiz-Veranstaltung für die Ukraine Anfang März. Und er plant eine zweite am 21. Mai. 

Christopher Hanf fühlt sich wohl im Hintergrund, aber wer verstehen will, wie das Theater auf den Krieg in der Ukraine reagiert, kommt an ihm nicht vorbei.  Mitte März hat das Hans Otto Theater gemeinsam mit anderen Theatermacher:innen einen Brief unterzeichnet, in dem es hieß, es gelte jetzt, „ukrainische Theaterkünstler:innen in unseren Häusern zu empfangen, zu beherbergen und aufzuführen“. Inwiefern hat das HOT bis jetzt Wort gehalten? 

Regisseur Andrij May lehrt bald an der Filmuni Babelsberg

Noch nicht alles ist spruchreif, sagt Hanf. Es gebe Kontakte zum Leftbank Theatre in Kiew, für eine mögliche Kooperation zu späterem Zeitpunkt. Konkreter ist die Abmachung mit dem Regisseur Andrij May. An der Babelsberger Filmuni beginnt er am 1. Juni einen Lehrauftrag. 

Auch fünf junge Schauspieler:innen aus der Ukraine sind dort untergekommen, am 21. Mai sind sie dabei. May will mit den Student:innen ein Projekt erarbeiten, das im September am HOT gezeigt werden soll. Eine weitere Idee ist, May für einige Monate als Director in Residence an das Theater zu holen. Das aber ist ein „noch ungelegtes Ei“.

Die erste Benefiz-Veranstaltung am Hans Otto Theater fand keine Woche nach dem 24. Februar statt, dem Beginn des Angriffskrieges. Damals hatte Hanf von einem „Resonanzraum für die eigenen Ohnmachtsgefühle“ gesprochen. Die Veranstaltung am 21. Mai sieht er anders. Sie soll Künstler:innen aus der Ukraine eine Plattform geben – und auch ukrainische Geflüchtete in Potsdam anzusprechen. Es wird simultan übersetzt. 

Förderung einer jungen Dramatikerin

Den Rahmen liefert das Lesungsprojekt „Das Gefühl des Krieges“, beteiligt sind 17 deutschsprachige Theater. Die Idee: Bühnen promoten Texte von Autor:innen, denen der Krieg ihre Bühne geraubt hat. Einen Text von der Dramatikerin Polina Pushkina hat das HOT zusätzlich übersetzen lassen. 

Pushkina wurde 2001 in Donezk geboren. Ihre Muttersprache Russisch hat sie abgelegt. Sie spricht nur noch Ukrainisch. Auch die Flötistin Daria Fomina und die Pianistin Anhelina Yermakova, beide geboren in Charkiw, werden am 21. Mai spielen. Maria Viksnina, geboren in Saporischschja, wird auf dem Saiteninstrument Torban zu hören sein. 

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„Verbunden bleiben. Stimmen aus der Ukraine“ ist der 21. Mai überschrieben. Anders als der Vorgänger im März versucht das Theater nicht mehr, ukrainische und russische Stimmen nebeneinanderzustellen. „Das geht nicht mehr“, so Christopher Hanf. Dennoch gelte es, verschiedene Positionen auszuhalten. „Es gibt Texte von ukrainischen Autor:innen, mit denen ich große Schwierigkeiten habe“, sagt er – und bezieht sich damit ausgerechnet auf Dmytro Ternovyi, den Autor des versöhnlichen „Zimmer Nummer 7“. 

Die russische Kultur der ukrainischen untergeordnet?

Es gehe jetzt nicht darum, „Verbindungen mit der russischen Kultur wiederherzustellen“, schreibt Ternovyi in einer Theaterzeitschrift, „sondern darum, sie vollständig und unwiderruflich zu brechen.“ Die russische Kultur sei „in vielerlei Hinsicht der europäischen und auch der ukrainischen Kultur untergeordnet.“ Dass sie in einem „Sklavenland“ überhaupt entstanden sei: „ein Wunder“. Seine Forderung: ein völliger Boykott russischer Kultur. 

Das ist eine Position, mit der man als deutsches Stadttheater nur hadern kann. Aber Ternovyi ist nicht allein, so Hanf. Einen stark antirussischen Affekt beobachtet er bei allen ukrainischen Autor:innen, die er kennt. 20 bis 30 sind das. Heißt das aber, dass man als Stadttheater da mitgehen, etwa einem Text eine Bühne geben muss, in dem gefordert wird, Schulen mit dem Namen Puschkins umzubenennen?

Christopher Hanf sagt: Nein. „Es entspricht unserem Auftrag als öffentliche Institution, keine Freund-Feind-Dichotomie aufzumachen.“ Gleichzeitig weiß er: Alle ukrainischen Künstler:innen, die er kennt, verstehen sich als Kämpfer im Krieg. Nur nicht an der Waffe. Sondern an der Kulturfront.

Benefizabend „Verbunden bleiben“, am 21.5. um 19.30 Uhr in der Reithalle

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