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„Hamlet“ bei den Schirrhofnächten: Gefühl, das auf den Punkt kommt

Potsdam - Laut knallen die Schwerter aufeinander. Es klirrt.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Laut knallen die Schwerter aufeinander. Es klirrt. Immer wieder holen die Arme zu heftigen Schlägen aus, wehren gegnerische Hiebe ab, während die Füße sich schnell über die Bühne bewegen. Fast tanzen sie, spielerisch sind die Gefechte zu Beginn noch. Spitzen sich immer weiter zu, bis sie am Ende im fulminanten Finale, in der Entscheidung von Leben und Tod enden. In der „Hamlet“-Inszenierung des Neuen Globe Theaters, die am vergangen Donnerstagabend Premiere auf den Potsdamer Schirrhofnächten feierte, ist es der Kampf, der den Ton bestimmt.

Perfekt durchchoreografiert von Stuntperformer Kai Fung Rieck, stehen die Duelle symbolisch für die emotionale Reise, die der Protagonist des Shakespearschen Dramas durchläuft. Und die ist nicht gerade einfach: Nur wenige Tage nachdem Hamlets Vater, der König von Dänemark, gestorben ist, heiratet die Mutter schon dessen Bruder und bittet Hamlet, auch nach der Trauerzeit am Hof zu bleiben. Der willigt widerwillig ein, vertreibt sich die Zeit sich mit Kumpel Horatio und Hofberatertochter Ophelia, bis ihm eines Tages der Vater im Traum erscheint und ihm eröffnet, dass er vom eigenen Bruder ermordet wurde. Er lässt Hamlet mit dem Befehl zurück, seinen Tod zu rächen – und treibt ihn damit in ein düsteres Schicksal.

Ensemble vollbringt eine Glanzleistung

Es ist bekanntermaßen kein leichter Stoff, den sich Regisseur Kai Frederic Schrickel da ausgesucht hat, doch es gelingt ihm, die Geschichte so geradlinig zu erzählen, dass kaum ein Verirren in den langen Versen möglich ist. Das mag vielleicht auch an der zeitgemäßen Übersetzung von Maik Hamburger liegen – vor allem aber hat Schrickel das Drama gezielt auf die zwischenmenschlichen Konflikte komprimiert und so ein Stück geschaffen, das sich nicht so fern unseres Erlebnishorizontes bewegt. Hier geht es nicht um jahrhundertealte Kriege oder politische Ränkelspiele, sondern um den Verfall eines jungen Mannes, der am zu großen Leistungsdruck der Gesellschaft scheitert, Mitmenschen mit in sein Unglück zieht und schließlich an seinem Leben zerbricht. Darsteller Saro Emirze spielt diesen Hamlet mit einer Intensität, die an die Nieren geht und trotzdem niemals zu viel ist. Der niemals nervt in seiner Verzweiflung, dem kindlichen Wahnsinn, dem er am Ende verfällt. Ein Wahnsinn, der sich auch in den Kampfszenen widerspiegelt. Ist Hamlet am Anfang des Stückes noch ein unbedarfter Student, der aus Spaß lachend mit seinem Freund Horatio ficht, steht ihm schon im ersten Kampf mit Onkel Claudius eine gewisse Verbissenheit ins Gesicht geschrieben. Wenn er dann schließlich zum Duell mit Laertes antritt, ist er nicht mehr er selbst. Den Kampf nimmt er kaum ernst, überdreht, fast belustigt wehrt er die Hiebe ab. Selbst in diesem Stadium des gegangenen Geistes versteht es Emirze noch, den Menschen Hamlet zu zeichnen und einen Hoffnungsschimmer durchblitzen zu lassen, dass vielleicht doch noch alles gut wird am Ende. Überhaupt vollbringt das Ensemble – das ganz nach Shakespearscher Tradition nur männlich besetzt ist – eine Glanzleistung in diesem Hamlet.

Ganz großes Gefühl

Thomas Kellner gibt seine Ophelia so mädchenhaft zart und zerbrechlich in ihrem Schmerz um verlorene Liebe und Familie, so berührend entrückt in ihrem darauffolgenden Wahnsinn, dass es kaum auszuhalten ist. Wie wandelbar Kellner ist, stellt er auch dadurch unter Beweis, dass er die Rolle des Rosencrantz mit nüchtern christlicher Männlichkeit verkörpert. Als Königin Gertrud spielt Andreas Erfurth ein ganz anderes, nüchternes Frauenbild, das er souverän, manchmal sogar ein wenig ironisch durchzieht. Wunderbar ist auch Dierk Prawdzik als Laertes, der mit seiner hünenhaften Gestalt in enger Kleidung an Marvel-Superhelden erinnert, dabei aber hinreißend verzweifelt um seine Schwester trauert. Es geht also ums ganz große Gefühl in dieser Inszenierung, was vor allem durch die feine, auf den Punkt gebrachte Regiearbeit so gut funktioniert, die nie ganz vergessen lässt, dass hier Theater gemacht wird. Wenn etwa Polonius-Darsteller Sebastian Bischoff seine Gehhilfe auf einmal zusammenklappt und von der Bühne rennt oder Hamlets Vater als Erscheinung erst in den Vorhang schwindet, um dann auf der Stelle kehrt zu machen und von der Bühne zu stürmen, entsteht eine fast witzige Distanz zu dem ernsten Dramenstoff, die kurz aufatmen lässt. Weil „Hamlet“ bei Schrickel obendrein ein Stück im Stück ist, erinnert auch Horatio-Darsteller Till Artur Priebe nach seinem zu Tränen rührenden Endmonolog ganz schnell daran, wo sich das Publikum hier eigentlich befindet, wenn er sein nüchternes „Wer da?“ ausruft – und das Ensemble trocken antwortet:„Die Schauspieler!“ 

„Hamlet“ wieder heute und morgen Abend um jeweils 19 Uhr auf dem Schirrhof in der Schiffbauergasse

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