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Etwas Tee zum Dilemma? Hamlet (Alexander Finkenwirth) liegt am Boden, Ophelia (Zora Klostermann) eilt mit Heißgetränken, um zu trösten.

© HL Böhme/HOT

"Hamlet" am Hans Otto Theater in Potsdam: Hamlet im Hormon-Rausch

Alexander Nerlich inszeniert „Hamlet“ am Hans Otto Theater in Potsdam. Trotz eines vielversprechenden Anfangs endet das Stück lächerlich. Und lässt den Zuschauer ratlos zurück.

Potsdam - Die Pubertät ist keine leichte Zeit. All diese Irrungen und Verwirrungen der Gefühle, dazu das ständige Pumpen der Hormone. Wenn dann auch noch Papa stirbt und Mama es mit dem Onkel treibt, herrje, herrje, herrje, wie soll man da bloß noch die Welt verstehen. Ein nicht ganz unbekannter junger Mann, der versucht, in diesen Verwirrungen den Überblick zu behalten, hört auf den Namen Hamlet, ist wohnhaft in Dänemark und von höchstem Geblüt.

Dieser „Hamlet“, geschrieben von William Shakespeare, kann in diesem seinem letztendlich doch nur vergeblichen Versuch, zu verstehen, zu begreifen und zu durchschauen, was Mensch und Welt zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch so antreibt, für den Zuschauer zu einer Offenbarung werden. Weil er im Extremen eine Zerrissenheit mit einer Deutlichkeit offenlegt, die schmerzhaft wie ein Spiegel auch das eigene Daseinsdilemma zeigt. Das ist ja das Große und Schöne am Theater, dass es immer und immer wieder Geschichten erzählt, die so fremd und fern wirken, dann aber durch das Wie des Erzählens uns ganz nah kommen, im besten Fall sogar zu etwas von uns werden. Alexander Nerlichs Inszenierung von „Hamlet“, dessen Premiere am Freitag im ausverkauften Hans Otto Theater zu erleben war, gelingt das leider nicht. Dabei fing alles recht vielversprechend an.

Doch dann gehen mit Hamlet die Hormone durch

Auf großer leerer Bühne beginnt das bekannte Treiben um die anfängliche Geistererscheinung und Hamlets Wiederkehr aus Wittenberg, wo er für Studienzwecke weilte, zurück an den dänischen Königshof. Und wie er da so steht, mit Mantel und Mütze, unbeholfen, hilflos und trotzig, während sein Onkel Claudius, nun der König, über die Notwendigkeit des Weitermachens spricht, also an die fragwürdige Vernunft der üblichen Abläufe appelliert, da lässt Alexander Finkenwirth seinen Hamlet all das Leid, all die Zweifel, all die Wut und all die Hilflosigkeit spüren, einfach, indem er nur dasteht. Und wenn er dann von Claudius und seiner Mutter Gertrude in die Mitte genommen wird und für einen Moment eine Illusion von Versöhnung und möglicher gemeinsamer Zukunft entsteht, dann lächelt sein Hamlet so liebenswürdig kindisch-blöd, so herrlich ehrlich unbeholfen, sodass man spürt, dass da etwas aufblühen will, das etwas Großes zu werden verspricht. Doch dann gehen mit Hamlet die Hormone durch und in den kommenden Stunden wird auf diesem zarten Pflänzchen herumgetrampelt, dass am Ende kaum noch eine Erinnerung bleibt.

„Voller Wendepunkte und Identitätsbrüche“: Das Interview mit Alexander Nerlich zur Aufführung lesen Sie hier.

Der Hamlet in der Potsdamer Inszenierung, das wird schnell klar, ist ein Jungspund, noch grün hinter den Ohren, dafür aber großmäulig, was das Zeug hält. Und so wie er da tobt und wütet, krakeelt und brüllt, hat man sich schnell an ihn und sein Gepolter gewöhnt, nimmt ihn nicht wirklich ernst. Die Hormone halt, dazu die verzwickte Familiensituation. Lasst den Jungen mal. Das muss ja irgendwie raus. Der beruhigt sich schon wieder. Das Traurige an diesem Abend: Man denkt das die ganze Zeit.

Fast leere Bühne als unwirklicher Ort

Nun ist der „Hamlet“ kein Mickerbürschen der Theaterliteratur. Der Kerl hat mit der Zeit schon viel durchgemacht auf der Bühne. Dementsprechend hoch liegt die Latte. Doch selbst wenn man versucht, sich von diesem Hintergrund zu lösen – es hilft an diesem Abend nicht.

Regisseur Alexander Nerlich hat für seinen „Hamlet“ dessen Vorgabe, sich von allem zu lösen, um nur noch zu spielen und so kaum noch manipulierbar zu sein, in den Mittelpunkt gestellt. Hamlet, der seinen eigenen Kopf als Bühne begreift und um unangreifbar zu werden, hinter die Spiegel unserer Wahrnehmungen treten will. Eine starker Ansatz, der sich auch in der fast leeren Bühne von Wolfgang Menardi spiegelt. Ein dunkler, unwirklicher Ort, dessen Rückwand im Spielverlauf immer wieder zu einem verwirrenden Spiegelkabinett wird und in dessen Mitte sich etwas arg bedeutungslastig alles vergeblich im Kreise dreht. Auch Menardis Spiel mit den Kostümen – die Männer entweder in geschäftsmäßigen Anzügen oder in dem, was hipstermäßig als lässig gilt; die Frauen mal im plump-erotischen Hosenanzug oder wie Püppchen ausstaffiert gezeigt – sorgt für eine subtile Note. Doch all das nützt nichts, wenn das Spiel nicht stimmt.

So wie Hamlet brüllt, wäre er ohne Abendbrot ins Bett geschickt worden

Hamlets Monologe, die so tief in Fleisch und Seele schneiden können, zerplatzen schon am Bühnenrand wie Seifenblasen. Der Dialog mit Ophelia, an dem sie zerbrechen soll? Nur ein lautstarker Witz zweier Jugendlicher, denen ihre Geilheit zu schaffen macht. Und die Auseinandersetzung mit seiner Mutter in deren Schlafgemach, wo Hamlet ihre Abgründe offenlegt? So wie er hier brüllt und pöbelt, hätte er ein paar hinter die Ohren verdient und wäre ohne Abendbrot ins Bett geschickt worden. Mehr nicht! Man kann nur den Kopf schütteln darüber, wie wenig Feinheiten Alexander Nerlich diesem Hamlet erlaubt. Und immer wieder muss man sich fast schon kneifen und fragen, ob das tatsächlich der Regisseur ist, der mit dem „Urfaust“ erst vor einem Jahr eine so grandiose Inszenierung dem Hans Otto Theater, seinen Schauspielern und dem Publikum geschenkt hat.

Das vielleicht Traurigste an dieser Inszenierung ist, dass man weiß, dass die Schauspieler es viel besser können. Ob Alexander Finkenwirth als Hamlet und Wolfgang Vogler als Claudius, ob Zora Klostermann als Ophelia oder Meike Finck als Gertrude, sie alle lassen das immer wieder aufblitzen. Bernd Geiling als Polonius sorgt dann fast schon ein wenig für Versöhnung, auch Dennis Herrmann und Philipp Mauritz als Rosenkranz und Güldenstern.

Am Ende dann das berühmte Gemetzel, Jüngelchen Hamlet tobt im Blutrausch. Das wirkt nicht glaubhaft, sondern leider nur lächerlich. Der Rest ist Ratlosigkeit.

Wieder am Samstag, dem 7. Februar, 19.30 Uhr, und Sonntag, dem 8. Februar, 15 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse.

Dirk Becker

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