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Kultur: Hänsel und Gretel – staubfrei erzählt

Auch die dritte Aufführung von Engelbert Humperdincks Märchenoper in der Biosphäre war ausverkauft

Für Generationen von Kindern war und ist Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ das erste unvergessliche Opernerlebnis. Für die Geschichte der beiden Besenbinderkinder, die – von der Mutter aus dem Haus gejagt – angstvoll durch den Wald irren, bis sie zu einem verlockenden Hexenhaus kommen, um dort erst recht in Gefahr zu geraten, hat Humperdinck, als Komponist stilistisch Wagner nahestehend, für die Märchenbilder berückende Musik erfunden. Vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit, in der romantische Gefühle großgeschrieben werden, steht die Oper immer wieder auf dem Spielplan von Theatern.

In Potsdam gibt es zwar eine Winteroper, das Staatstheater Cottbus reist mit zwei Inszenierungen in die Landeshauptstadt, doch die Erwartungen an ein Stadttheater erfüllen sie nicht. „Hänsel und Gretel“ fiel bisher aus den Angeboten für Potsdam raus. Nun ist das Sinfonieorchester Collegium musicum Potsdam unter der Leitung von Knut Andreas dabei, einmal im Jahr Musiktheater auf die Bühne zu bringen, Musiktheater für ein großes Publikum, mit allem Drum und Dran. In diesem Jahr gab es die Humperdinck-Oper in drei ausverkauften Aufführungen.

Gespielt wird in der Biosphäre. Kein deutscher Wald empfing die Besucher, sondern ein dichtes tropisches Waldgeflecht. Durch dieses wird man in die Orangerie geführt. Auf dem Podium stand dort eine ärmliche Hütte, die man schnell in ein appetitliches Knusperhäuschen verwandeln konnte. Wie aufgeklappte Seiten eines Märchenbilderbuches präsentierte sich die Inszenierung von Waltraud Prinz, einer Opernregisseurin, die zu DDR-Zeiten das Musiktheaterleben in Potsdam mitprägte. Das Schöne war, dass sie es zuließ, Märchen und Musik aus sich selbst heraus wirken zu lassen. Es wurde staubfrei erzählt. Selten griffen die Regisseurin und Knut Andreas ins Original ein und ließen hin und wieder heutige augenzwinkernde Dialoge von Dieter Braun einfließen. Die heiteren und feinen ironischen Momente haben Vorrang. Da jedoch die Biosphäre kein Theater ist, musste man auf Bühnentricks verzichten, ohne einen schaurig-schönen deutschen Märchenwald, ohne Nebel, ohne eine auf dem Besen fliegende Hexe.

Durch die natürliche Darstellung der beiden Protagonisten Birgit Wahren als Hänsel und Dana Hoffmann als Gretel war der Erfolg der Aufführung gesichert. Beide Sängerinnen haben mit gerade geführten und klangfarblich kontrastierenden Stimmen sehr für sich eingenommen. Oftmals fanden sie zu erstaunlich poetischer Einheit zusammen. Ilona Nymoen gab mit überzeugender szenischer und gesanglicher Bühnenpräsenz gleich zwei Partien: die verzweifelte Mutter und die skurril-böse Hexe.

Till Schulze war der besorgte Vater, der auch gern tief in die Flasche schaut und Gabriele Näther als ein auf dem Roller fahrendes Sandmännchen und königlich waltendes Taumännchen. Die Mädchenschola St. Antonius, deren Mitglieder als Engel und Lebkuchenkinder agierten, war darstellerisch liebenswert und gesanglich auf der Höhe. Wohl auch deswegen, weil das oratorisch gestaltete Finale dem Ganzen musikalisch Sicherheit gab. Ein Manko der Aufführung war die Tonübertragung. Sie dröhnte zu laut durch den Raum.

Für ein semi-professionelles Orchester wie das Collegium musicum Potsdam ist das Musizieren der Humperdinck-Oper eine Herausforderung. Doch Dirigent Knut Andreas wusste den großen Apparat – Orchester und Bühnenensemble – am Samstagnachmittag gut zusammenzuhalten. Sicherlich, es gab auch Schönheitsfehler, doch die ausgesprochen farbige Grundierung stimmte. Hier und da fühlte man sich atmosphärisch an Wagner erinnert. Doch im Einklang mit der feinsinnigen Inszenierung vermied Andreas das Pathos eines „Kinderstubenweihfestspiels“ – wie die Oper hin und wieder tituliert wird. Freudiger Applaus für eine staunenswerte Aufführung. Klaus Büstrin

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