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Christiane Niewald (links) und Daniela Zuklic.

© Andreas Klaer

Großes Kino in Babelsberg: „Sich anpassen konnte das Kino schon immer“

Christiane Niewald und Daniela Zuklic sind das neue Leitungsteam am Thalia-Kino. Ein Gespräch über Frauen als Chefinnen, Potsdam als Filmstadt und Kino im Krisenmodus.

Christiane Niewald, Daniela Zuklic, nachdem Thomas Bastian sich nach 25 Jahren aus der Leitung des Thalia zurückgezogen hat, leiten Sie beide jetzt das Kiezkino. Eine neue Konstellation, und doch kennen Sie sich schon sehr lange. Zäsur oder Fortführung?
Niewald: Ich würde sagen, sowohl als auch. Wir müssen den Übergang im laufenden Betrieb vollziehen. Ich für meinen Teil muss mich auch erstmal ein bisschen einarbeiten. Ich mache ausschließlich das Filmprogramm und versuche auch neue Dinge herauszuholen. Aber das wird alles noch etwas dauern. Wir arbeiten alle in schwierigen Zeiten.

Zuklic: Wir sind sicherlich noch dabei, den ziemlich spontanen Ausstieg von Thomas aufzufangen. Aber wir kennen uns lange, arbeiten seit über 20 Jahren am Haus, sind mit jeder Schraube im Betrieb vertraut. Wir haben schnell einen Arbeitsmodus gefunden. Wir haben grundsätzlich die gleiche Idee, wohin dieses Kino gehen soll.

Wie begann Ihre jeweilige Geschichte mit dem Thalia-Kino?
Niewald: Thomas und ich haben Anfang der 1980er Jahre schon gemeinsam Kino in Stuttgart gemacht, im Corso International in einem ehemaligen Brauereikeller. Das war ein Sex-and-Crime-Kino, also Pornos. Zunächst waren wir Angestellte, dann Chefs. Wir haben von Anfang an ein Programmkino gemacht, Originalfassungen gezeigt, das lief sehr erfolgreich. 1997 ging Thomas Bastian dann nach Potsdam, ich kam 1998 dazu. Zehn Jahre lang habe ich das Stuttgarter Corso noch parallel geleitet.

Zuklic: Jetzt wird es privat! (lacht) Ich war eine Weile mit Christianes Sohn zusammen und habe eine Zeit lang im Stuttgarter Corso hinter dem Tresen gearbeitet. Ich bin dann Christianes Sohn nach Berlin und Potsdam gefolgt. Im Jahr 2000 habe ich als Schwangerschaftsvertretung im Thalia angefangen, habe eine Ausbildung gemacht, und parallel immer hier gearbeitet. 2012 wurde ich dann die Stellvertreterin von Thomas.

Das Thalia befindet sich im doppelten Krisenmodus: Mitten in der Corona-Pandemie musste Bastian letztes Jahr aus gesundheitlichen Gründen den Posten räumen. Lässt sich das in der Bündelung als der größte Einschnitt in der Geschichte des Thalias beschreiben?
Zuklic: Das Kino hat ja eine über 100jährige Geschichte, wir sind erst seit etwas mehr als 20 Jahren dabei. Daher würde ich mir nicht zutrauen, zu sagen, dass es die größte Zäsur ist. Nichtsdestotrotz ist es schon krass: So lange war das Kino noch nie geschlossen. Das ist ein wirklich harter Einschnitt. Was für die ganze Welt gilt, gilt auch für uns: Es gibt eine Zeit vor März 2020 und eine Zeit danach. Da kam die Krankheit von Thomas noch dazu, aber das hat sich auf unsere zwei Paar Schultern gut verteilt.

Von Normalbetrieb kann wegen Corona keine Rede sein?
Zuklic: Nein. Obwohl wir tatsächlich versuchen, das Ganze so normal wie möglich zu gestalten. Das Einzige, was wir nach wie vor umsetzen, ist die Social-Distance-Regelung in den Sälen, sodass man immer noch etwas Abstand wahren kann. Wir sind auch im Haus gerade wieder von Corona-Fällen betroffen. Dazu kommt die schwierige Personalsituation, wie man es auch aus der Gastronomie kennt. Einige haben sich in der Coronazeit neu orientiert. Wir arbeiten ziemlich dünn. Daher sieht man uns derzeit wieder oft selbst im Einsatz.

Das Thalia in der Rudolf-Breitscheid-Straße wurde bereits 1918 eröffnet.
Das Thalia in der Rudolf-Breitscheid-Straße wurde bereits 1918 eröffnet.

© Andreas Klaer

Kürzlich ist das Thalia erneut mit dem Programmpreis des Medienboards ausgezeichnet worden. Seit 2003 haben Sie immer einen Preis erhalten. Wie groß ist da der Druck?
Niewald: Wir versuchen immer wieder, uns neu zu orientieren – was Filme angeht, die Zukunft generell. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel an jungem Publikum verloren und müssen versuchen, das wieder ranzuholen. Deswegen spielen wir auch ab und ab mal Blockbuster. Die Filmvielfalt soll aber beibehalten werden. Wir wollen auch wieder viel mit Gästen machen, Festivals organisieren – und uns im digitalen Bereich positionieren.

Was heißt das? Es wird einen digitalen Kinosaal geben?
Zuklic: So ähnlich. Wir denken mit Kolleg:innen darüber nach, etwas Ähnliches zu machen wie die Yorck-Kinos in Berlin. Ein Konzept für Menschen, die ihr Thalia mögen und Mitglied sein wollen, es aber nicht schaffen, ins Kino zu gehen. Filme, die man im Kino verpasst hat, sollen über einen digitalen Kinosaal für eine bestimmte Zeit zu sehen sein.

Eine Reaktion auf die Krise?
Niewald: Nicht nur. Wir hatten darüber zuvor schon nachgedacht. Wir müssen mit der Zeit gehen. Alles wird schneller, intensiver, ist auch schnell wieder weg.

Zuklic: Und der Druck auf die vier Leinwände ist groß. Insofern denken wir darüber nach, wie wir Filme länger auswerten können. Menschen sind viel digitaler, sind seit der Pandemie nicht mehr gern lange in geschlossenen Räumen – vor allem in unserer Zielgruppe, bei den etwas Älteren, ist man bedächtiger als früher. Was aber sehr schön ist: Es kamen vor den Ferien viele Schulen zu uns. Und die Buchungen innerhalb der Ferien sind enorm. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass Kinder lernen, zu sehen, dass sie die Magie des Kinos lieben lernen. Ein Kinofilm zwingt ja auch dazu, mal nicht weiter zu zappen, wegzuschalten, das Handy rauszunehmen. Davon bin ich ein großer Fan.

Sind Netflix und das veränderte Sehverhalten der Menschen die eigentliche Zäsur, mit der wir es im Kino gerade zu tun haben?
Zuklic: Sich zu bewegen und anzupassen, ist etwas, was Kino ja schon immer konnte. Stummfilm, Tonfilm, Fernsehfilm, DVD, Bluray – wie oft wurde das Kino schon totgesagt? Was wir letztes Jahr im September gesehen haben, als der „Bond“ startete: Die Leute haben Bock ins Kino zu gehen, nach wie vor. Insofern ist das, was wir gerade erleben, auch keine Zäsur. Wir machen, was wir schon immer machten: Wir entwickeln uns stetig weiter, passen uns an. An die Bedürfnisse der Potsdamer:innen, an das, was da ist und an das, worauf wir Lust haben. Das ist das Erfolgsrezept, das Thomas Bastian begonnen hat – und das wir nahtlos übernehmen. Wir setzen auch Trends. Was wir machen, hat Auswirkungen in der Branche.

Welche Trends waren das zum Beispiel?
Zuklic: Eines der großen Dinger war „3 plus 1“. Da haben wir drei Erwachsenenfilm gespielt und einen Kinderfilm und haben die Eltern alleine ins Kino gelassen, während die Kinder von Pädagog:innen beschäftigt wurden. Was wir schon sehr lange machen, nicht erst seit Fridays for Future: So nachhaltig wie möglich sein. Biopopcorn, Biorohrzucker, regionale Produkte, Ökostrom, keine Becher, nur Glasflaschen, wir haben einen Garten mit Bienen. „Film zum Sonntag“ war auch wegweisend, die Vorpremiere für die kommende Woche. Und wo wir auch früh dabei waren: Kinderkino.

Niewald: Wir planen auch ein Kinderfilmfestival. Nicht für dieses Jahr, aber vielleicht für nächstes.

Ein Kinderfestival, das dann regelmäßig stattfinden wird?
Niewald: So ist das angedacht. Um genau dieses Publikum dazu zu bewegen, hierherzukommen – und nicht ins UCI. Kinder müssen nicht nur Blockbuster sehen.

Zuklic: Natürlich nehmen wir auch die „Minions“ mit...

Niewald: …aber dafür kommt dann auch „Mein Freund, der Pirat“ oder der Klassiker „Pippi Langstrumpf“.

Ist Potsdam denn ein gutes Pflaster für Filmfestivals? Sie scheinen es relativ schwer zu haben.
Niewald: Das stimmt. Wir haben das nie verstanden, aber wenn ich an das Jüdische Filmfestival oder Moving History denke: Bei allen war es sehr problematisch.

Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?
Zuklic: Wenn nicht „Berlinale“ dransteht, gehen die Leute einfach nicht so gern auf Festivals in Potsdam. Das allerbeste Beispiel ist „Sehsüchte“. Seit ich denken kann, seit 20 Jahren, schaffen sie es nicht, die Potsdamer dafür zu begeistern, was die Filmuni zu bieten hat.

Tut die Stadt Potsdam genug für die Förderung und das Marketing ihrer Festivals? Oder schmückt sie sich vor allem mit dem Label Filmstadt?
Niewald: Das würde ich sofort unterschreiben.

Zuklic: Ich auch. Wir merken das selbst. Wir sind privatwirtschaftlich und passen in keinen Topf, weder bei Stadt noch beim Land. Wir werden selten als Kultur wahrgenommen. Schon in der Schule lernt man, was alles Kultur ist – Kino gehört nicht dazu. Jede Schule hat ein Theaterabo – aber fürs Kino? Nichtsdestotrotz sind wir Kultur. Und nicht jeder mag Oper oder Theater. Kino ist auch für einen vergleichsweise schmalen Taler zu haben. Dennoch: Man schmückt sich gern mit uns, aber eigentlich sind wir nicht interessant.

In welcher Form ist das Thalia-Kino bei Potsdams neuem, für 2023 geplanten Umwelt-Filmfestival dabei?
Niewald: Als Hauptspielstätte. Das Problematische daran aber ist: Das Umwelt-Filmfestival und das Jüdische Filmfestival werden zeitlich nahe beieinander sein. Wie das publikumstechnisch funktionieren wird, weiß ich noch nicht.

Ist es für Sie wichtig, dass jetzt zwei Frauen im Leitungsteam sind?
Zuklic: Für mich ist das sehr wichtig. Thomas ist immer ein guter Vorgesetzter gewesen, das steht gar nicht zur Diskussion. Trotzdem finde ich es sehr erfrischend, dass wir jetzt zwei Frauen sind. Ich finde schon, dass Frauen anders führen, und ich genieße es, das zu einhundert Prozent leben zu können.

Inwiefern führen Frauen denn anders?
Zuklic: Das fängt schon an bei Begriffen wie Macht – das ist ein Begriff, der im weiblichen Kontext nie stattfindet, es ist etwas zutiefst Männliches. Was wir versuchen zu leben, ist ein wertschätzender Umgang im Ton, in der Arbeit. Wir führen kooperativ. Und das hat Thomas auch schon vorgemacht: Wichtig ist eigenverantwortliches Arbeiten, Vertrauen.

Kuratieren Frauen auch anders?
Niewald: (lacht) Nein, eigentlich nicht. Bei mir spielt eine große Rolle, was das Publikum möchte oder was ich mir vorstelle, was das Publikum mag – und was mir ins Auge springt. Natürlich machen mir auch Reihen Spaß, wie etwa „Filme von Frauen für Frauen“. Es gibt immer noch zu viele Filme von Regisseuren, Frauen müssen noch weiter nach vorne kommen.

Was ist Thomas Bastians Vermächtnis?
Niewald: Vermächtnis würde ich es nicht nennen. Aber ich denke manchmal über bestimmte Dinge nach, die Thomas während der ganzen Jahre gesagt hat – und die ich dann versuche, in meiner Arbeit anzuwenden. Er hat zum Beispiel gerne Reihen mit neuen Namen entwickelt. Er hatte ein unglaublich umfangreiches Wissen, das er auch gern geteilt hat.

Zuklic: Thomas hat immer gesagt, dass man in die Zukunft gucken muss, dass man eine politische Haltung haben und die mutig nach außen tragen muss. Kino ist ein Ort des gesellschaftlichen Zusammenkommens, des Diskurses. Da war er unbequem. Das betrachte ich als sein Vermächtnis, denn ich selbst bin vorsichtiger. Thomas ist da einfach vorgeprescht – und hatte dann auch den langen Atem, das auszuhalten.

Das Interview führte Lena Schneider.

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