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Einen Namen hat die Band, in der auch Florian, Lucy und Natella (v.l.) spielen und singen, noch nicht. Aber der Text steht, die Siebtklässler haben ihn beim Projekt Jammboxx selbst geschrieben, und die Melodie dazu komponiert. Einmal pro Woche üben sie, am Ende des Halbjahrs wird eine CD aufgenommen.

© Sandra Calvez

Groove mit Kapuze: Potsdamer Nachwuchsmusiker

Bei Jammboxx nehmen Jugendliche Am Stern eigene Songs auf. Das trägt auch zur sozialen Integration in Potsdam bei.

Potsdam - Prüfend schaut Christoph Hillmann von einem Schüler zum anderen. „Bereit?“ Einige ziehen sich die Kapuzen ihrer Pullover auf den Kopf. „Mit Kapuze groovt es einfach besser, das haben wir in dieser Band schon gemerkt“, sagt Hillmann gut gelaunt zwinkernd. Tristan am Keyboard spielt eine eingängige Melodie, leise erst, dann lauter. Das Schlagzeug setzt ein, E-Gitarre und Bass, dann die beiden Mädchen am Mikrofon. „Das ist alles nur Müll in meinem Kopf“, singen Natella und Ronja. „In meinem Kopf ein Universum, das nennt man Gehirn. Denk ich nach wird es größer, und es wird explodieren.“

Noch hat die Band keinen Namen, aber das Lied bleibt im Ohr. Die Jugendlichen sind Teil des Projekts Jammboxx, einem Tonstudio an der Städtischen Musikschule „Johann Sebastian Bach“ Am Stern. Ein halbes Jahr arbeiten die Siebtklässler an ihrem Song, einmal wöchentlich, statt Musikunterricht. Sie haben den Text geschrieben, die Musik komponiert, am Ende nehmen sie eine CD auf. Für die Teilnehmer ist das Projekt kostenlos, finanziert aus Mitteln der Musikschule. Zum Schuljahr 2017/18 startete Jammboxx mit neun Bands. Nach den Winterferien sind nun 20 neue Gruppen mit insgesamt 130 Teilnehmern an den Start gegangen.

Die Musikschule kooperiert dazu mit dem Leibniz-Gymnasium und der Pappelhain-Grundschule. Jeweils ein Viertel einer Klasse kommt für eine Band zur Jammboxx, im nächsten Schuljahr das nächste Viertel, innerhalb von zwei Jahren haben so alle Schüler teilgenommen.

„Fast alle entstandenen Lieder sind echte Ohrwürmer“, sagt Hillmann. Der Schlagzeuger und Komponist ist einer von sechs Lehrern im Team. „Das Themenspektrum der Jammboxx-Bands ist sehr breit, von fantasievollem Quatsch bis zu sehr ernsten Fragen des Lebens“, erklärt er. Die Musik reiche von Pop, Rock über Indie bis Disco. Die meisten Teilnehmer hätten keine Vorkenntnisse am Instrument.

„Je mehr man es forciert, desto weniger kommt“, so beschreibt Tobias Christl den kreativen Prozess. Er ist selbst Sänger und Songwriter und auch einer der Dozenten. „Aber wenn man die Kids einfach machen lässt, sie nur ein wenig ermutigt, dann läuft das fast von alleine“, so Christl. Mit Musik- und Sprachspielen helfen die Kollegen nach. „Manchmal ist erstmal totales Chaos, manchmal Stimmung wie in einer Vorlesung. Aber was entsteht, ist immer zauberhaft“, sagt Hillmann.

Doch das Projekt geht über die Arbeit mit den Schülern noch hinaus. „Vor eineinhalb Jahren, als das Projekt startete, hatten wir massive Probleme mit Gangs“, sagt Heike Lupuleak, Direktorin der Musikschule. Jugendgruppen, die auf dem Gelände der Musikschule rumhingen, Wände beschmierten, pöbelten, Kinder einschüchterten. Einmal habe sogar eine Lehrerin eine Flasche an den Kopf bekommen. Die Polizei bestätigt den Vorfall. „Das war der Supergau“, so Lupuleak. Hillmann ging dann zu der Gruppe, sprach sie an, lud sie ein: „Wenn ihr euch traut, kommt rein in das Studio“, so erinnert er sich. Sie kamen. Da saßen sie dann, mit Texten „hochgradig Ü18“, so erzählt es Hillmann, sexistisch, voller Gewalt. „Aber es kam ein Prozess in Gang“, und tatsächlich entstand ein Song. „Das hat etwas geändert“, sagt Lupuleak, „sie waren noch da, aber ohne Pöbelei“. Mehr noch: Als eine andere Gang kam, habe die erste sie fern gehalten. „Wie eine Schutzzone um die Musikschule“, so Lupuleak.

Der soziale Aspekt ist für Lupuleak zentral. „Die Jugendlichen erfahren hier sehr viel Wertschätzung, da sind sie leider entwöhnt“, sagt sie. „Aus ihnen wird nicht unbedingt der nächste Mozart, aber die Jammboxx stärkt diese Jugendlichen.“ Gerade Am Stern, wo die Jugend nicht automatisch in die Musikschule komme. „Eine Mutter sagte mir einmal, sie dachte, das wäre nichts für ihr Kind“, erinnert sich Lupuleak, noch immer entrüstet. Die Band schaffe einen Zugang.

In der ersten Zeit der Musikschule vor Ort – die Zweigstelle Am Stern gibt es seit 2011 – habe sich gezeigt, dass das kein Selbstläufer sei. „Wir mussten uns selbst nach einiger Zeit eingestehen: Von alleine klappt das nicht“, sagt Lupuleak. Es kamen zwar Besucher, aber sie kamen aus Potsdam-West oder der Innenstadt, nicht aus dem Kiez. „Unser Ansatz mit der Jammboxx ist es, diesen Kindern, die nicht an sich glauben, zu beweisen, dass sie es können. Dass sie es wert sind.“ Bei einigen springt der Funke über, nach dem Jammboxx- Halbjahr nehmen sie Unterricht an der Musikschule, lernen ein Instrument, oder kommen in eine der weiterführenden Bands – dann allerdings kostenpflichtig. Das Projekt sei wie ein Eingang zur Musikschule.

Lupuleak würde die Jammboxx gerne erweitern, an das neue Schulzentrum Am Stern und auch in den Schlaatz. Im Bildungsausschuss warb sie deshalb kürzlich um zusätzliche Mittel. „Ohne Finanzierung können wir uns nicht vergrößern“, sagt sie. Das Feedback im Ausschuss sei positiv gewesen. „Ihr Projekt ist ein Segen für den Stadtteil“, sagt etwa Ingeborg Naundorf (Grüne) vor einem Treffen mit Lupuleak. Über die Musik bekomme man die Jugendlichen alle.

„Am Anfang saßen wir eine Stunde da und haben eine Geschichte geschrieben, eine richtig komische Geschichte“, erinnert sich Sängerin Natella aus der noch namenlosen Band mit den Kapuzen. Daraus sei ein Text darüber geworden, was in unseren Köpfen los ist. Lucy am E-Bass fügt hinzu: „Im Musikunterricht muss man oft etwas über gestorbene Künstler auswendig lernen. Hier machen wir die Musik selbst.“ Für Ronja, die zweite Sängerin, ist auch der Umgang miteinander anders. „Wenn im Musikunterricht einer falsch singt, machen sich andere lustig. Hier können wir zusammen darüber lachen“, sagt sie. „Wir wachsen zusammen“, findet die Zwölfjährige. „Ich finde es richtig cool, was wir hier machen“, sagt Florian am Schlagzeug. „Am Ende habe ich die CD in der Hand und kann sagen, guck mal, das habe ich gemacht.“

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