zum Hauptinhalt
Rarität. Die h-Moll-Messe ist seit 2015 Weltdokumentenerbe.

© Staatsbibliothek zu Berlin

Kultur: Griff nach den Sternen

Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe zum Abschluss der Osterfesttage in der Nikolaikirche

„Das Wesen der h-Moll-Messe ist ergreifende Erhabenheit“, schreibt der Arzt, Musiker und Bachbiograf Albert Schweitzer. „Gleich bei dem ersten Akkord des Kyrie wird man in die Welt der großen und tiefen Gefühle entrückt und verlässt sie nicht wieder bis zur Schlusskadenz des Dona nobis pacem.“

Dieses Werk stellt an Ausführende wie Hörer enorme Anforderungen. Ist doch in dieser bachschen Komposition alles zu höchster Meisterschaft vollendet, was ihm die Jahrhunderte zuvor an musikalischen Möglichkeiten überliefert haben. Will man Idee, Form und Inhalt, das Glanzvoll-Prächtige wie das Innige gleichermaßen überzeugend ausdrücken, muss man darum wissen. Kurzum: Wer sie aufführt, greift zu den Sternen. Björn O. Wiede, Nikolaikantor und Intendant der Bachtage Potsdam, stellte sich zum Abschluss seiner Osterfesttage 2017 am Samstag in der Nikolaikirche dieser Herausforderung.

Und bleibt sich und seinen Intentionen treu, keinen großbesetzten Chor einzusetzen, sondern stattdessen das Solistenensemble mit dieser Angelegenheit zu betrauen. Neben ihren anspruchsvollen Arien- und Duettaufgaben sind nunmehr je zwei Soprane, Altussänger, Tenöre und Bässe für die größtenteils mehrstimmigen Gruppengesänge zuständig. Was beispielsweise nicht nur dem achtstimmigen, als Doppelquartett besetzten „Osanna in excelsis“ zu überraschend homogener und voluminöser Wirkung verhilft. Auch in den anderen Chorpassagen vermeint man, da sei ein feiner Kammerchor dienend am Werke. So entsteht eine Intimität und Intensität, eine Transparenz des Klanges, den ein noch so perfekt kehlengeölter großer Chor kaum erreichen dürfte.

Ähnlich verhält es sich beim Begleitensemble „Exxential Bach“, in dem je zwei Traversflöten, Violinen, Oboen und Fagotte, drei Naturtrompeten sowie einfach besetztes Corno da caccia, Viola, Violoncello und Violone nebst Truhenorgel für den historisch informierten Sound sorgen. Der wiederum dafür bürgt, dass man deutlicher als sonst durch die kunstvollsten Verschlingungen der polyphonen Strukturen hörlustwandeln kann. Von all seinen Intentionen für eine möglichst authentische Wiedergabe der h-Moll-Messe berichtete Björn O. Wiede zuvor bei der sehr gut besuchten Konzerteinführung.

Als Hüterin des Autografenschatzes und weiterer „originaler, eigenhändiger und unikaler Musikhandschriften“ gab die Präsidentin der Brandenburgischen Bach-Gesellschaft und Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, sachdienliche Kunde. „Kaltes Licht, Hochsicherheitsstahltresore und eine Dauertemperatur von 18 Grad“ seien nicht gerade jene Assoziationen, die sich einem einstellten, wenn man an die eingelagerten Kompositionen von Bach über Beethoven und Mozart bis Weber denke. Doch nur durch optimale Archivierung ließen sich diese „herausragenden Zeugnisse der europäischen Musikgeschichte“ auch für die Zukunft bewahren. Seit 1992 würdigt die Unesco Zeugnisse von außergewöhnlichem Wert mit der Auszeichnung als „Weltdokumentenerbe“. Das h-Moll-Kronjuwel ist im Herbst 2015 entsprechend gewürdigt worden.

Und damit ein Werk, das der Lutheraner Johann Sebastian Bach nach vollständigem lateinischem Text der katholischen Messliturgie für einen Gottesdienst am katholischen Dresdener Hof geschrieben hat. Verwunderlich? Kaum, eher Mittel zum Zweck, denn er wollte mit der Missa unbedingt den Titel „Königlich polnischer und Churfürstlich sächsischer Hofcompositeur“ erhalten. 1736 hat es endlich geklappt. Ein meisterliches, in mehreren Etappen entstandenes Gesamtkunstwerk, das die bis dato bekannten Musik- und Kompositionsstile virtuos verbindet.

Mit geistiger Regsamkeit, stimmlicher Frische und instrumentalem Feinsinn wird es musiziert. Klasse statt Masse – Wiedes Konzept geht restlos auf. Die Sänger machen allesamt eine ausgezeichnete (Stimm-)Figur. Sie erweisen sich als eine Schar lyrischer Stimmen, die zueinander passen, sauber intonieren, sehr beweglich bis koloraturenrasant und präzise in Ein-Klang treten. Auch wenn sie weitgehend zu einer objektivierenden Vortragsweise angehalten sind, erreichen sie dennoch der Zuhörer Herz und Hirn gleichermaßen.

Mit dominantem Gesang führt Hanna Zumsande (Soprano I) nicht nur den „Kyrie“-Coro an, sondern auch ihre Arien aus. Innig trägt Heidi Maria Taubert das „Laudamus te“ vor, während Bert Mario Temme (Basso I) kraft- und ausdrucksvoll das „Quoniam tu solus“ anstimmt. Verinnerlicht und mit höhensicheren Spitzentönen meistert Moritz von Cube (Alto II) das „Qui sedes“. Doch auch die Ungenannten dürfen sich natürlich über den starken Beifall freuen. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false