zum Hauptinhalt

Kultur: Grenzenlos

„unterwegs“ mit Klaus D. Fahlbusch und Jacek Sztuka in der Galerie „M“

Das halbe Zugabteil packte mit an, um die Riesenpakete auf den Bahnsteig zu befördern. Die Mädchen aus Leipzig, der Boxmeister aus Usbekistan. Reisebekanntschaften, einmalig und vielleicht gerade deshalb so offen- und warmherzig. Im Nu waren jedenfalls alle Bilder für die zwei Potsdamer Ausstellungen, die in keinen Koffer passen, durch die Waggontür manövriert. Als der Potsdamer Fotograf Klaus D. Fahlbusch schließlich seinen polnischen Künstlerkollegen Jacek Sztuka aus Czestochowa auf dem Berliner Hauptbahnhof in Empfang nahm, lösten die beiden nicht nur aufgrund des bahnsteigfüllenden Reiseguts das Interesse der Sicherheitsbehörden aus. Mit ihren schwarzen langen Haaren, den Vollbärten und den dunklen stechenden Augen lag offensichtlich der Taliban-Verdacht nicht weit, was die observierten Weltenbummler nur köstlich amüsierte. „Es war wie eine Performance“, sagen sie heiter, die beiden, die sich offensichtlich gesucht und gefunden haben. Beide schwärmen ständig aus, betrachten ihr Leben als eine Reise und haben viel von „unterwegs“ zu erzählen. Dazu laden sie ab morgigen Donnerstag in ihrer gemeinsamen Ausstellung in der Produzentengalerie „M“ des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstler (BVBK) ein.

Genau in dieser Galerie begann vor gut einem Jahr ihr Interesse füreinander. Klaus D. Fahlbusch schenkte damals zur Kunst-Genuss-Tour Wein aus, als Jacek Sztuka sich zu ihm gesellte, selbst Mitglied des BVBK, obwohl er im südpolnischen Czestochowa und in Berlin-Pankow wohnt. Beim zweiten Glas Wein holte der Pole, mit der Sympathie fürs Brandenburgische, einen Kunstkatalog mit seinen Arbeiten aus der Tasche. „Und ich sehe Menschen in Verkehrsmitteln. Genau mein Thema“, erinnert sich Fahlbusch. Als der Wein geleert war, stand fest: „Wir stellen zusammen aus.“

In den Fotografien von Klaus Fahlbusch fühlt man sich, als wäre man selbst auf einem Bahnsteig. Man schaut hinter Busfensterscheiben in ein Meer von Gesichtern: in stolze, schöne, angespannte, gelangweilte, nervöse, ganz tief in ihrer Wirklichkeit abgetauchte. Ein kleiner Moment aus dem Leben herausgerissen. Vermeintlich unbeobachtet. Doch Klaus Fahlbusch, der wie nebenbei auf den Auslöser drückte, stellt niemanden bloß. „Die Fotografien sind wie Selbstporträts, weil du dich selber in den Leuten wiederfindest“, sagt Jacek Sztuka anerkennend zu den Arbeiten seines Künstlerfreundes. Der ist im vergangenen Jahr 8000 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Lima nach Buenos Aires gereist. „Alles ohne Zwischenfälle und mit den meisten Einladungen zum Tee in den ärmeren Ländern, dort wo die Gastfreundschaft und die Neugierde auf andere Menschen noch zu finden sind. Ab einer bestimmten Stufe des Tourismus kippt das weg und die Menschen gehen wieder auf Distanz“, so Klaus D. Fahlbusch.

Er interessierte sich schon fürs Reisen, da ging er noch nicht mal in die Schule. Als kleiner Junge las er Fahrpläne wie andere Märchenbücher. Das Eingemauertsein in der DDR tat später sein Übriges. „Was man nicht gleich haben kann, macht das Verlangen stärker“. Eine Erfahrung, die beide Künstler teilen, Fahlbusch, Jahrgang 1963, Sztuka, Jahrgang 1976.

Für den polnischen Maler, der sein Auto verschrotten ließ und nur noch, meist skizzierend, mit der Bahn reist, war es vor allem die Farbe, die ihn faszinierte, als er Grenzen überquerte und alles Grau seiner Heimat hinter sich ließ. Und so sind seine metaphorisch-erzählenden Bilder mitunter auch Farbgiganten, nuanciert das Sujet einbettend. Da ist das merkwürdige Stillleben mit dem ausgebreiteten Essen auf der Motorhaube. Ein Schlaraffenland, zu dem die Menschen ihre Hände ausstrecken. Doch der Arm ist eingeklemmt in der Wagentür, kommt nicht ran an den Wohlstand. Was wie ein fröhliches Picknick scheint, zeigt eher die fetten Fleischtöpfe, die vielen verwehrt bleiben. „Man kann reisen wie ein Insekt und gar nichts lernen. Oder aber wir schauen, woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“, sagt Jacek Sztuka, der auch reist, um sich selbst näher auf die Spur zu kommen. Wie in dem Bild von einer muslimischen Frau mit Kopftuch, die er in Belgien in der Bahn porträtierte: Ein ovales weiches Gesicht vor einem dunklen harten Eisengestänge. Ihr gegenüber sitzt ein junges Mädchen. „Es erinnert mich an meine Tochter. Doch ich malte ihre Züge ganz unbewusst in das Bild hinein.“ Nach der Scheidung sieht er das Kind nur selten und das belastet ihn, egal, an welchem Ende der Welt er gerade ist. Die Probleme reisen mit. „Doch wenn mich meine Tochter anruft, fühle ich mich gleich wie Zuhause.“

Jacek Sztuka, der ab morgen Abend auch gemeinsam mit Mikos Meininger im Künstlerhaus „sans titre“ ausstellt – „Fleisch und Schrott, nichts für zarte Gemüter“ – bezeichnet sich gern als Abstraktionist. Unter der realistischen Schicht projiziert er ganz eigene, vieldeutige Geschichten. Wie die von Susanna, die bei ihm nicht wie in der Bibel im Bade von geilen Männerblicken begafft, sondern im Bus wie eine Puppe „zerfleischt“ wird. Sztuka schaut gern auf die alten Meister Caravaggio oder Rembrandt und malt doch eine sehr gegenwärtige Welt mit messerscharfem Blick.

Ist Reisen für ihn auch Flucht? Jacek Sztuka verneint. „Es geht beim Wegfahren immer auch um das Zurückkommen. Es gibt einen festen Punkt, ein Zuhause.“ Auch Klaus D. Fahlbusch fühlt sich in Potsdam fest verwurzelt und würde nie auswandern. Er reist aus Neugierde und empfindet es immer noch als Kick, wenn er nur mit einem Stück Papier in der Hand über alle Grenzen gehen kann. „Reisen lehrt, Werte zu schätzen. Und den Wert der Freiheit schätzt man nur im Kontext mit der Isolierung, mit dem Gefühl des Begrenztwerdens.“ Als Kinder des Ostens wissen beide „Tramps“, was es heißt, Grenzen hinter sich zu lassen.

Vernissage „unterwegs“ am morgigen Donnerstag um 18 Uhr in der Produzentengalerie M, Luisenforum; um 20 Uhr Vernissage im „sans titre“, Französische Straße 18

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false