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Kultur: Gezähmte männliche Kraft

Deutschlandpremiere der Compagnie „Un Loup pour l homme“ aus Lille bei den Tanztagen

Mit einer Lockerung der besonderen Art begann am Montagabend bei den Tanztagen die Aufführung des kanadisch-französischen Akrobatenduos „Un Loup pour l homme“ (Der Mann ist ein Wolf für den Menschen). Der eine rote Trainingsjacke tragende Alexandre Fray legt sich bäuchlings auf den Boden. Der andere Mann, Frédéric Arsenault, besteigt seinen Körper und beginnt ihn mit gezielten Tritten zu bearbeiten. Er hüpft auf ihm herum, tritt ihm in die Seiten. Bremst im letzten Moment ab, um nicht die ganze Kraft auf den Körper des anderen einwirken zu lassen.

In einer anderen Situation könnte so etwas zwischen zwei Männern ganz anders ausgehen. Doch zwischen diesem besonderen Paar ist es der Beginn eines überaus artistischen Kräftemessens. Wie zwei Stämme scheinen beide aus einer gemeinsamen Wurzel zu wachsen. Jeder in seine Richtung strebend und doch untrennbar miteinander verbunden. Frédéric, der dunkelhaarige Kanadier, will hoch hinaus und Alexandre, der dunkelblonde Franzose, wirkt ziemlich bodenständig. Was dann in den nächsten 45 Minuten passiert, lässt sich kaum mit Worten wiedergeben.

Der „Flieger“ und der „Träger“ entdecken sich in der Konfrontation ihrer Körper. Immer wieder kommen sie in eine schwierige Balance – großartig die Szene mit den über kreuz verknoteten Trainingsjacken – versuchen die Loslösung, geraten in den Kampf bis zur Grenzüberschreitung. Und schaffen dann doch wieder die Annäherung, ja sogar die Verschmelzung. Höhepunkt war zweifellos die „blinde Verzweiflung“ des Fliegen Wollenden, die fürsorglich-hindernde „Begleitung“ durch den Erdgebundenen, die mit einem brutalen Knockout und beider berührender Erschöpfung endet. Ihre akrobatische Virtuosität, gepaart mit unglaublicher Sensibilität füreinander, lässt den Reichtum und die Vielfalt dieser zwischen-männlichen Beziehung wunderbar kräftig und leicht zugleich aufscheinen.

Die Akrobaten, die ihr Stück „Appris par Corps“ (etwa: körperlich gelernt und abgeleitet vom französischen Wortspiel „Appris par Coer“ - auswendig gelernt) genannt haben, nennen sich selbst „Beweger“, auch wenn sie von außen zumeist als Tänzer wahrgenommen werden. Beide besuchten renommierte Zirkusschulen, auf denen sie mit den unterschiedlichsten artistischen Disziplinen und auch mit Tanztheater in Berührung kamen. Sie selbst reizen die immensen Möglichkeiten der Handakrobatik aus. Zwei Jahre arbeiteten sie an ihrem außergewöhnlichen Stück, das nach der belgischen Uraufführung im November 2007 jetzt in Potsdam seine bejubelte Deutschlandpremiere erlebte.

Mehrere begeisterte Besucher bekundeten im stark frequentierten Zuschauergespräch, dass sie noch nie etwas Vergleichbares gesehen haben und die Grenze zwischen Tanz und Akrobatik wunderbar aufgelöst wurde. Ein Mann zeigte sich ungemein berührt vom Zusammenhang zwischen Gewalt und Sanftheit. Frédéric Arsenault und Alexandre Fray, die diese Inszenierung gemeinsam mit dem Regisseur Arnaud Anckaert entwickelten, berichteten vom gemeinsamen Probenprozess, dass sie an der Einheit extrem gearbeitet hätten. Denn die Konfrontation männlicher Energien löse nach ihren Erfahrungen sehr schnell Gewalt aus, der man beispielsweise mit Langsamkeit und nicht zuletzt nur durch Vertrauen und Disziplin begegnen könnte. Das sympathische junge Akrobatenduo wurde 2006 für seine herausragenden Darbietungen mit dem Preis „Jeunes Talents Cirque“ ausgezeichnet und die Potsdamer Zuschauer fragten direkt im Anschluss an die Vorstellung nach der Möglichkeit eines baldigen Wiedersehens. Astrid Priebs-Tröger

Heute wird getanzt! Um 20 Uhr gibt es einen „Swing Ball“, mit einem Swing-Crashkurs für Einsteiger.

Astrid Priebs-Tröger

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