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Kultur: Gespräche mit Gebäuden

Aus der Zeit gefallen: Manfred Hamms Fotografien im Landtag zeigen ein vergessenes Brandenburg

Von Sarah Kugler

Auf den ersten Blick wirkt das Bild wie die Aufnahme von einem Science- Fiction-Filmset: ein Raum voller rätselhaft anmutender Schalttafeln und stillgelegter Hebel. Über den Konsolen erstreckt sich eine ovale Fensterfläche. Ohne Weiteres könnte sich darüber der weite Weltraum befinden – doch es ist nur der Potsdamer Himmel. Die Fotografie von Manfred Hamm zeigt nämlich keine Raumschiffkulisse, sondern die Schaltzentrale des ehemaligen Kraftwerks Potsdam. Das Bild aus dem Jahr 1993 ist derzeit mit vielen weiteren Werken des Fotografen im Potsdamer Landtag zu sehen. Auf vier Etagen zeigt das Potsdam Museum, in dessen Sammlung sich die Bilder seit 2015 befinden, Aufnahmen aus ganz Brandenburg, alle in Schwarz-Weiß gehalten und Anfang der 1990er-Jahre entstanden.

Hamm, der neben Hilla und Bernd Becher als einer der Pioniere der Industriefotografie gilt, hat darauf entrückte Momente eingefangen, die aus der Zeit gefallen scheinen und immer eine Spur Einsamkeit in sich tragen. So auch die Aufnahmen aus der Schaltzentrale des ehemaligen Kraftwerks, auf dessen Arbeitsflächen noch die Schutzhelme liegen. So, als würde sie gleich jemand aufsetzen – und doch lassen sie spüren, dass sie für immer zurückgelassen wurden.

Zurückgelassen wurde auch das Mühlengebäude im Persiusspeicher. Hamm zeigt den Blick aus dem alten Kornmagazin in das Mühlengebäude, das ab 1843 die Königlich-Preußische Dampfmahlmühle beherbergte. Sie ersetzte durch ihre enorme Kraft insgesamt 30 Windmühlen in der Stadt. Anfang der 1990er- Jahre fängt der Fotograf das Gebäude ein. Ein Blick durch viele hintereinander liegende Türen, in scheinbar unendlicher Folge. Es ist eine Perspektive, die vielen Potsdamern gänzlich unbekannt sein dürfte. Denn die Räume im Persiusspeicher können heute nur noch im Rahmen von Führungen besichtigt werden.

Unbekannt scheint ebenfalls Hamms Blick auf die Caputher Kirche. Er fotografiert sie von der Rückseite aus. Eine laubüberzogene Wiese im Vordergrund, der Himmel hängt diesig darüber. Es entsteht der Eindruck, die Kirche stehe einsam inmitten einer Einöde. Wer das heutige Caputh kennt – gerade im Sommer von vielen Touristen besucht –, mag sich das nur schwer vorstellen. Die modern sanierten Häuser und Straßen der Gegenwart lassen sich auf Hamms Fotografie nicht einmal erahnen. Die Kirche steht für sich, nicht als Haus der Gemeinschaft, sondern als Relikt der Zeit vor 1989, in der Glaube keine große Rolle spielen durfte.

Ganz anders dagegen die Aufnahme einer Statue von Friedrich Wilhelm IV., die vor der Orangerie im Park Sanssouci steht. Von hinten hat der Fotograf sie eingefangen. Als hätte er sich angeschlichen an den König, der aufrecht und mit geradem Blick auf das von ihm erbaute Areal blickt. Er hat ihn majestätisch festgehalten: Eingerahmt von Orangeriebögen, der Körper hebt sich vom grauen Himmel ab. Hamm schafft es dabei, sein Foto aussehen zu lassen wie eine eingefrorene Bewegung. Zwar kann eine Statue natürlich nicht einfach von ihrem Sockel heruntersteigen und doch sieht es aus, als würde sie genau das Gleiche tun. Als hätte sie sich nur für den Fotografen dort oben positioniert, für einen Moment der Ruhe.

Menschen aus Fleisch und Blut finden sich in den im Landtag ausgestellten Fotografien von Manfred Hamm nicht. Sie scheinen ihn nicht zu interessieren. Bei ihm sind die Gebäude die Figuren, sie erzählen ihre Geschichte ganz ohne lebendiges Beiwerk. Gerade darin steckt die Stärke der Fotografien. Sie erlauben dem Betrachter, sich allein in den Bildern zu bewegen. Sozusagen unter vier Augen mit den steinernen oder stählernen Protagonisten in ein Gespräch zu kommen. Für einige Besucher wird dieses Gespräch eine Rückkehr sein. In die Vergangenheit Brandenburgs und in die eigene. Für viele können die Bilder aber auch eine Möglichkeit sein, in eine für sie unbekannte Zeit zu reisen. Und zu staunen. Über seltene Schlossansichten zum Beispiel, die Hamm etwa in einer Bilderreihe vom Schloss Königs Wusterhausen zeigt.

Da ist etwa ein Raum zu sehen, über dessen altem Kamin nostalgische Kugellampen, die nach den 70er-Jahren aussehen, hängen. Oder eine leere Vitrine, die an eine Kantine erinnert. Die Einrichtung stammt aus der Zeit, als die Kreisverwaltung des Kreises Königs Wusterhausen noch ihren Sitz in dem Schloss hatte. Kurz nachdem Hamms Foto entstand, wurden die Räume saniert. Heute ist das Schloss ein Museum. Andere Bilder erinnern wiederum daran, wie viel von Preußens Pracht in der DDR vernachlässigt wurde. Eine Fotografie von 1993 zeigt das halb zerfallene Atrium des Stibadiums im Botanischen Garten unterhalb der Potsdamer Orangerie. Von der Skulptur von Friedrich Leopold Bürde, die einen ein Reh zerfetzenden Adler zeigt, ist damals lediglich der Sockel zu sehen.

Bei aller Entdeckungslust, die Hamms Ausstellung weckt, ist es ratsam, sich im Vorhinein ein Konzept für den Besuch zu erstellen. In der dritten Etage steht man sonst eventuell vor verschlossenen Türen – denn diese können nur von der Innenseite geöffnet werden. Genauso wie auf der rechten Seite des Erdgeschosses. Die Mitarbeiter der Information im Foyer können hier zwar aushelfen, aber dennoch würden die Fotografien in zusammenhängenden Räumen – etwa im Potsdam Museum selbst – ihre Wirkung zweifellos noch besser entfalten.

Die Ausstellung ist bis zum 15. Dezember im Landtag zu sehen

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