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Der Enge ist nicht zu entkommen. Zora Klostermann und Holger Bülow suchen als Alfred und Marianne ihr Glück an einem unmöglichen Ort.

© HL Böhme

"Geschichten aus dem Wiener Wald" am Hans Otto Theater Potsdam: Hallo, Hölle Kleinfamilie

Ödön von Horváths Stück "Geschichten aus dem Wiener Wald" feiert am Freitag Premiere am Hans Otto Theater in Potsdam. Zora Klostermann und Holger Bülow spielen darin ein Paar, doch ihre Liebe bedeutet bald die Hölle.

Potsdam - Schon der Titel schnürt einem fast die Luft ab. „Geschichten aus dem Wiener Wald“, das klingt so kleinbürgerlich, miefig und süßlich, dass man sich winden möchte. Und genau so beginnt auch die erste Szene in Ödön von Horváths 1931 in Berlin uraufgeführtem Stück: Alfred, die Hauptfigur, sitzt draußen in der Wachau am mütterlichen Tisch, schlingt Butter, Brot und saure Milch herunter und rechtfertigt sich. Denn wie viele Mütter zu allen Zeiten, so drückt auch seine ihre Freude über seinen Besuch mit einem latenten Vorwurf aus. Wie schön, sagt sie, dass du mich nicht total vergessen hast. Und auch Alfred windet sich. „Ich war ja schon längst immer wieder herausgekommen, wenn ich nur dazu gekommen wär – aber heutzutag kommt doch schon keiner mehr dazu, vor lauter Krise und Wirbel!“ Was natürlich eine dreiste Ausrede ist – und doch wieder sehr wahr.

Denn natürlich ist da immer dieser Zwiespalt zwischen der Arbeit, die an einem zehrt, dem Vergnügen, das man sucht und den halb pflichtbewußt, halb gern erfüllten Familiendingen. Deshalb ist dieses Stück, das Horváth unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise und des dräuenden Nationalsozialismus geschrieben hat, auch heute noch eines, das „in unseren Tagen“ spielen könnte. Dieser ganze Beziehungs-Knäuel spinnt sich ja auch fort, wenn man beschließt, selbst eine Familie zu gründen. Dazu kommt es später, wenn Alfred die hübsche Marianne dem Fleischermeister Oskar ausspannt und sie schwängert.

Aus dem Traum wird ein Albtraum

Zora Klostermann und Holger Bülow spielen dieses Paar in der Inszenierung von Alexander Nerlich, die an diesem Freitag am Hans Otto Theater Premiere hat. Und natürlich passen die beiden perfekt auf diese Rollen zweier verlorener Seelen, zweier Menschen, die auf der berechtigten Suche nach dem Glück ganz grausam scheitern. Sie passen deshalb so ausgezeichnet, weil beide auf der Bühne so mühelos von unschuldig zu zutiefst komisch, von durchtrieben zu todtraurig schwingen können. Und das müssen sie hier auch, denn als das Kind, das zumindest Alfred nicht wollte, geboren und die wirtschaftliche Lage der beiden immer schlimmer wird, wird aus dem Traum aber schnell ein Albtraum. Überfordert von der Verantwortung, gehetzt von den eigenen Ansprüchen ans Eltern- und Partner-Sein und gequält von finanziellen Sorgen – so sehen noch heute viele Paare ihre Beziehung schneller zerbröckeln als sie „Ich liebe dich“ sagen könnten.

Während es für Marianne anfangs das ist, was sie sich wünscht, will Alfred mehr: Der ärmlichen Enge entfliehen, jemand sein, etwas gelten. Und so gibt er das Kind schließlich zu seiner Großmutter aufs Land, Marianne wird, um Geld heranzuschaffen, erotische Tänzerin in einem Varieté. „Alfred ist ja jemand, der aus einem wirklich ekelhaften Zuhause kommt, aus dem er mit aller Gewalt herauswill“, so beschreibt Holger Bülow seine Figur, die er eher als einen Glückssucher als einen Hallodri erlebt – „auch wenn er Marianne am Ende über die Klinge springen lässt.“ Er zieht seine Glückssuche durch. Aber das, findet Holger Bülow, ist ja in jeder Beziehung eine Gratwanderung: Ab wann wird es zu symbiotisch, bis wohin denkt man für den anderen mit. Wo hört man auf, wo fängt der andere an? „Gibt es überhaupt wirkliche Zweisamkeit, oder ist man immer alleine?“, fragt Bülow.

Die Frage bleibt natürlich trotzdem: Warum findet Alfred die Anerkennung, die er sucht, nicht bei Marianne? „Alfred erwartet etwas ganz anderes als das, was sie ihm bieten kann“, sagt Zora Klostermann. Und tatsächlich ist es ja auch so: Die Anerkennung eines Partners, nun ja, die hat man eben irgendwann, und in dem Moment beginnt sie meist schon, an Wert zu verlieren. Alfred sagt zwar zu Marianne: „Du erhöhst mich, ich werde ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht“ – schafft damit aber ja auch schon ein Ungleichgewicht, das keiner auf Dauer aushalten mag, das jede Liebe tötet.

Alles andere als ein behagliches Volksstück

Warum das so nicht für Marianne funktioniert? „Alfred spricht Dinge in ihr an, die ihr vorher nicht möglich schienen, deshalb vertraut sie wohl so ihrem Gefühl“, sagt Zora Klostermann. Genau das mache ihr die Figur auch sympathisch. Und sie wehrt sich dagegen, das als naiv zu bewerten – auch wenn das heute wohl schnell so funktioniert.

Abseits der Hölle, in die sich diese Liebe zwischen Alfred und Marianne entwickelt, ist Horváths Stück aber auch eine brillante Studie über Dummheit und die Bosheit, die oft aus Ersterem folgt. Denn natürlich ist es – trotz des Titels – alles andere als ein schwitzig-behagliches Volksstück. Erich Kästner nannte es sogar „ein Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück“. Und genau das ist Horváths Methode: Er bekämpft das System sozusagen mit seinen eigenen Waffen, was bei den echten Wiener Volksstücken einlullen sollte, setzt sich hier wie ein Stachel fest, es schmerzt und beginnt zu eitern.

Sprache als Mittel zur Entlarvung

Horváths Mittel ist vor allem die Sprache – er spielt nicht mit ihr, er nutzt sie radikal als Mittel zur Entlarvung. Dafür legt er seinen Figuren ganze Satzkaskaden in den Mund, er lässt sie reden und reden und dabei doch nichts sagen oder nur Böses. Durch diese ganzen Wiederholungen „quetscht er da etwas aus“, so nennt es Holger Bülow – und gibt schon mal eine Kostprobe: „Verzeih mir, Mariann, dass ich dich nämlich nicht hab haben wollen – dafür trägt aber nur mein Verantwortungsgefühl die Verantwortung.“

Indem Horváth das so überspitzt, wird einem ganz unwohl, weil man erkennt, wie typisch das ist – nicht nur für das anti-demokratische Milieu des Post-K&K und Pre-Faschismus. Dummheit, das war für Horváth ein Instrument des Bewusstseins, um es sich möglichst angenehm zu machen, Konflikten zu entgehen. Er erkannte: Wo der Unwille, das Hirn zu benutzen, auf eine desolate Umwelt trifft, entsteht schnell das richtige Klima für Bosheit und Rassismus. Kein Wunder, dass die Nazis das Stück verboten, auch nach dem Krieg wurde es lange nicht aufgeführt. Erst in den vergangenen 20 Jahren ist es immer wieder auf deutschen Bühnen zu sehen – Horváth, der 1938 im Alter von nur 37 Jahren starb, hat diese Aufmerksamkeit nicht mehr erlebt.

Heute, sagt Holger Bülow, geht es uns ja im Vergleich zu damals gut. Wir haben gerade eine Finanzkrise hinter uns, noch dazu eine, die zumindest Deutschland kaum getroffen hat. Abstiegsängste, Aufstiegsträume, das gibt es natürlich trotzdem, die größte Aktualität aber, die wird wohl in diesem Ringen um Identität der beiden glücklosen Glückssucher Marianne und Alfred liegen.

„Geschichten aus dem Wiener Wald“, Premiere am Freitag, 10. April, um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse.

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