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Gert Streidt.

© Gerd Rattei

Gert Streidt schreibt an Theodor Fontane: "Ihre Schilderungen der märkischen Landschaft wärmten mir das Herz"

Gert Streidt, Direktor der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz erinnert sich, wie er in der Fremde im "Stechlin" Trost fand.

Sehr geehrter Herr Fontane,

es kommt nicht oft vor, dass ich ein Buch mehrmals lese, aber Ihren Roman „Der Stechlin“ habe ich nun schon drei Mal gelesen. Vor allem die zweite Lektüre ist mir lebhaft in Erinnerung. Damals weilte ich in Panama, war gerade beim Paddeln von einem Unwetter überrascht auf einem Korallenriff gelandet und übel zugerichtet worden. Freundliche Panamaer kamen zur Hilfe und brachten mich in mein Quartier. Da lag ich nun am anderen Ende der Welt in einer Hängematte, las Ihren letzten Roman und sehnte mich nach Hause, nach Potsdam. Und, ich bekenne es, zwar schmerzten und brannten meine Schürf- und Schnittwunden, doch zugleich wärmten mir Ihre Schilderungen der märkischen Landschaft das Herz. Die von Ihnen entworfenen Bilder aus der Heimat gaben mir Trost. Zu gern ließ ich mich auf Ihren Text ein, kannte ja schon die Wirkung Ihrer schönen und poetischen Sprache auf mein Gemüt.

Mein drittes Stechlin-Lesen, es ist wohl erst zwei oder drei Jahre her, fiel dann etwas analytischer aus. Wieder beobachtete ich bei mir, wie gern man den von Ihnen gezeichneten Bildern der Mark Brandenburg und ihrer Bewohner folgt, sich ein gutes, fast wohliges Gefühl einstellt und man aufgefangen wird von Geschichten und Geschichtlichkeit, die sich im Vergleich zur eigenen Gegenwart gut anfühlen, gleichsam gemütlich sind. Kritiker haben Ihnen immer wieder vorgeworfen, dass Ihr Verhältnis zu Preußen und seiner Geschichte zu unkritisch sei. In der Tat, zu dieser Einschätzung kann man kommen und Ihr Werk bietet genügend Anhaltspunkte dafür. Andererseits neige ich eher zu der Auffassung, kein Mensch entkommt seiner Zeit, und Sie waren so stark verwoben mit der Ihrigen, dass einem schwindelig werden kann.

Mit dem Alter nüchterner

Sie haben sich zeitlebens an Preußen abgearbeitet, verbunden in einer Art Hassliebe mit diesem Staat, der Sie unablässig an- und aufregte. Ihre Äußerungen über Preußen, über den Staat, in dem Sie geboren und aufgewachsen sind, in dem Sie ganz überwiegend gelebt haben, davon die meiste Zeit in der Hauptstadt Berlin, und in dessen Grenzen die meisten Ihrer Werke spielen, sind ebenso zahlreich wie widersprüchlich. So ganz wird man dabei den Verdacht nicht los, dass auch der Umgang Preußens mit Ihnen, dem „reizbar-empfindlichen“ Autor, Ihr Bild von diesem Staat nicht unerheblich prägte. Schaut man genauer hin, fällt auf, dass Ihre Urteile über Preußen mit zunehmendem Lebensalter immer nüchterner und kritischer ausfallen.

Aber auch schon im Revolutionsjahr 1848 stellen Sie in einem Zeitungsaufsatz dem preußischen Staat ein, von einer gewissen Schwermut begleitetes, vernichtendes Urteil aus: „Die Auferstehung Deutschlands wird schwere Opfer kosten. Das schwerste unter allen bringt Preußen. Es stirbt … Preußen war eine Lüge, das Licht der Wahrheit bricht an und gibt der Wahrheit den Tod.“ Und kurz vor Ihrem Tode schreiben Sie in einem Brief rückblickend über die Verfasstheit in Preußen im Jahre 1806: „Wenn jemals eine wurmstichige Frucht reif zum Abfallen war, so war es das über sein schwaches natürliches Maß unnatürlich hinausgewachsene Preußen. … Ich bin für Alte-Fritz-Verherrlichung. Aber damit hört es auch auf. Alles andre – großes Fragezeichen!“ Allerdings, von der „Alte-Fritz-Verherrlichung“ wollen Sie nicht abrücken, genau wie Ihr Künstlerkollege Adolph Menzel (den Sie ob seiner Popularität immer auch ein wenig beneidet haben) mit seinen Illustrationen zur „Geschichte Friedrichs des Großen“ von Franz Kugler.

Eine Art konservative Utopie?

Oder könnte es sein, und bitte gestatten Sie diese Frage, dass Sie, indem Sie die friderizianische Zeit und ihren Adel so schönschreiben, der von Ihnen nicht selten als bedrückend empfundenen eigenen Gegenwart eine Art konservative Utopie entgegenstellen wollen? Auf diese Idee könnte man beim Lesen Ihrer „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, aber genauso auch beim „Stechlin“ kommen. Auf Ihre Antwort bin ich gespannt. Ich, für meinen Teil, lese Ihre „Wanderungen“ und auch den „Stechlin“ freilich anders. Zusammen mit Ihren Beschreibungen der Schlösser und Herrenhäuser, der Klöster und Kirchhöfe, Grüfte, Grabsteine, Denkmäler, Gutshöfe in der Mark Brandenburg erzählen Sie die Geschichten dieser Orte. Sie hauchen den Schauplätzen vergangener Lebenswelten gleichsam Leben ein. Die „Wanderungen“ sind ein „Bekenntnisbuch“. Mit Ihrer Fähigkeit zur „Poetisierung des Geschehenen“ wollen Sie beim Leser „Empfindungen“ erwecken und seine Liebe zur Heimat befördern. 

Keine schlechte Idee für uns Heutige in unserer vermeintlich immer fremder und unüberschaubarer werdenden Welt. Wer Ihre Beschreibungen allerdings als Reiseführer nimmt, wird rasch enttäuscht werden, denn viele der von Ihnen beschriebenen Orte existieren so nicht, vermitteln aber ein gleichsam verdichtetes Bild von Raum und Zeit.

„Malergenie ersten Ranges“

Sie wussten natürlich von den Gefahren, die mit der Nutzung der „Wanderungen“ als Reiseführer verbunden waren. Im Vorwort zur vierten Auflage des ersten Bandes schreiben Sie, Sie seien „seit 20 Jahren“ immer wieder „der freundlich und wohlgemeinten Versicherung begegnet …, dass man in Rheinsberg gewesen sei, natürlich mit meinem Buch in der Hand. Aber diese freundliche Versicherung erfolgte jedes Mal nur, um sofort … einem verlegenen Schweigen Platz zu machen, aus dem es für mich nur allzu leicht war, die Nachwirkung einer argen und geradezu grausamen Enttäuschung herauszulesen.“ Nicht anders muss es den Teilnehmern einer Exkursion des märkischen Geschichtsvereins ergangen sein, als sie Schloss Wuthenow nicht fanden.

Übrigens habe ich mich sehr gefreut, dass Sie bei Ihrer Entdeckung der Mark auch auf den in Cottbus geborenen großen Landschaftsmaler Carl Blechen stießen und in ihm ein „Malergenie ersten Ranges“ erkannten. Ihre Begeisterung für Blechens Bilder der märkischen Landschaft war so groß, dass Sie eine Biographie über den Künstler planten und Ihr eigenes Wohnzimmer als fiktive Blechen-Galerie entwarfen. Die Biographie haben Sie leider nicht fertiggestellt, aber Teile des Manuskripts blieben erhalten. Genauso wie der Hängeplan für Ihr Carl-Blechen-Wohnzimmer. Das alles wird eine Ausstellung erzählen, die in diesem Sommer im Besucherzentrum von Park und Schloss Branitz gezeigt wird.

Hochverehrter Herr Fontane, sicher werde ich den „Stechlin“ auch noch ein viertes Mal lesen. Man liest diesen wunderbaren Roman einfach nicht „aus“. Und jedes Jahr rudere ich mindestens einmal über den Stechlin. Korallenriffe brauche ich dort ja nicht zu fürchten.

Mit den besten Grüßen,

Gert Streidt

>>Nächste Woche schreibt die Potsdamer Regisseurin Francis Meletzky, bekannt durch ihre Filme "Vorwärts immer!", „Nachbarinnen“, „Frei nach Plan“ oder „Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau“.

>>Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich des 200. Geburtstages des Schriftstellers lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Gert Streidt

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