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Gerhard Richter im Barberini: Sturz vom Rot ins Blau ins Rot

Richters „A B, Still“: Eine Bildbetrachtung.

Das Rot legt sich wie Schorf über „A B, Still“. Schrundig, brüchig, eine alte Wunde oder ein mürbe gewordener Stoff. Ein signalroter Fetzen, durch den Blau schimmert, auch die Ahnung eines Gelb, eines Weiß. Das 1986 entstandene Bild, das Hasso Plattner 2016 für das Museum Barberini erwarb und den Ausgangspunkt für die morgen eröffnende Schau „Gerhard Richter. Abstraktion“ im Museum Barberini bildet, mag vieles sein – still ist es nicht. Dennoch trägt es die Stille im Namen. Warum?

Gerhard Richter selbst, der zu den teuersten, erfolgreichsten Künstlern der Gegenwart gehört, ist keiner, der große Lust hat, auf solche Fragen Antwort zu geben. Das machte der 86-jährige Maler auf gutgelaunte, geradezu füchsische Weise im Austausch mit Journalisten am Tag der Pressekonferenz im Barberini deutlich. „Abstrakt“, das lässt er gerade noch gelten – seit 1976 ist ein ganzer Werkstrang danach benannt. Auch „A B“ steht für „Abstraktes Bild“. Sonst verweigert Richter Zuschreibungen, lässt einen allein mit dem Werk, stürzt einen in die direkte Begegnung mit seinen Farben. Es sind Primärfarben. Links das sich aufdrängende, laut rufende Rot. Rechts ein helles, strahlendes Blau. In der Mitte, ein bröseliger Schaft, der zwischen die beiden Extreme hineinbröckelt, Funken von Gelb.

„Richter befreit sich von einem Teil seiner Verantwortung“

Richter bezieht sich damit deutlich auf ein 1921 geschaffenes Triptychon „Rot, Gelb und Blau“ von Alexander Rodtschenko, sagt Kuratorin Valerie Hortolani – und setzt dessen Feststellung, mit seinem Bild die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht zu haben, eine eigene, weiterführende Antwort entgegen. Richter nimmt die Grundfarben auf – aber, so Hortolani, „er löst sich von der idealistischen Komponente der Farben“. Die Farben sind hier nicht rein, sie sind voller Brüche – und darunter schimmert immer noch eine andere Farbe durch. Man könnte auch sagen: Jede Farbe scheint ein Vorher und ein Nachher zu haben. Eine Geschichte.

Wie gegen die absolute Reinheit sperrt sich Richter durch seine Arbeitsweise auch gegen die Idee des allmächtigen, gottgleichen Künstlers. „Richter befreit sich von einem Teil seiner Verantwortung“, beschreibt es Valerie Hortolani. Richters Gehilfin ist die Rakel – jenes stilprägende Werkzeug, das Richters Werke bekannt gemacht hat. Die Rakel ist ein Kratzinstrument mit Handgriff aus Plexiglas, je nach Leinwand bis zu zwei Meter groß. Damit trägt Richter die Farben auf, durch den Druck lassen sich die Spuren auf der Leinwand beeinflussen. Der Künstler ist sozusagen am Drücker – aber die Rakel hinterlässt ihre eigene Spur, hat, so könnte man sagen, ihren eigenen Willen.

So bringt Richter, den Hortolani dennoch einen „Kontrollfreak“ nennt, den Zufall zurück ins Spiel, begibt sich in die selbstgewählte Abhängigkeit von einem unhandlichen Instrument. „A B, Still“ zeigt diese Arbeitsweise auf geradezu repräsentative Weise: die scharfen Kanten, die brüchigen Farbschichten. So stürzt man durch das brüllende Rot in die Ruhe des Blaus und stößt hinter dem Blau wieder auf Glutspritzer des Rot. Um letztlich, natürlich, bei sich selbst zu landen, dort, wo es am stillsten ist. L. Schneider

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