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Georgien zu Gast im Potsdamer Nikolaisaal: Im Land des Goldenen Vlies’

Georgien, Gastland der diesjährigen Buchmesse, ist reich an Geschichte und Musik. Der Potsdamer Nikolaisaal widmet dem Land der Medea heute ein Konzert. Die PNN waren vorab zu Besuch in Tiflis, der musikalisch pulsierenden Metropole

Da strömt tiefdunkles Marineblau aus der G-Saite, in meergrün leuchtenden Wellen schwingen die Akkorde, helles Türkis blitzt aus der A-Saite bis hin zu himmlischem Hellblau. Wenn man Anna Tchania zuhört, kann man leicht vergessen, wo man sich gerade befindet, nämlich in einem fast leeren Zimmer in der Paliashvili Musikschule am oberen Stadtrand von Tiflis. An vielen Wänden bröckelt der Putz, das einst edle Parkett ist abgenutzt, Stühle und Tische wären woanders längst auf dem Sperrmüll gelandet. Ganz abgesehen von den Musikinstrumenten, die noch nicht alle wieder repariert sind. 

Dennoch funktioniert die Schule wieder fast so wie zu sowjetischen Zeiten, als dies eine musikalische Talentschmiede war. Zu ihren ehemaligen Schülern gehören so berühmte Virtuosen wie die Pianisten Elisabeth Leonskaja und Dmitri Bashkirov. Es ist nicht zuletzt dem Einsatz des Georgischen Streichqartetts – auch so ein legendärer Name in der musikalischen Welt – zu verdanken, dass hier wieder junge Talente in bester Tradition gefördert werden. So wie die fünfzehnjährige Anna Tchania, die auch schon zu den Arrivierten gehört und unter anderem bereits in Deutschland gespielt hat. Selbstverständlich spielt sie ihr waghalsiges Solostück (von Pablo Sarasate) auswendig. 

Pianistin, Kulturattaché, zu Gast in Potsdam: Dudana Mazmanishvili

Eine junge Frau mit wilden Locken und engelhaftem Antlitz betreut die angehende Künstlerin: Dudana Mazmanishvili, die nicht nur eine gefeierte Pianistin ist, sondern auch Kulturattaché in der Georgischen Botschaft in Berlin. Am heutigen Donnerstag spielt sie im Potsdamer Nikolaisaal das dritte Klavierkonzert von Beethoven. Besonders liebt sie die Stelle mit den Paukenschlägen im Pianissimo, denn „sie klingen wie Herzschläge“. Und den Beginn des zweiten Satzes – „wie ein Gebet klingt das“, sagt Dudana Mazmanishvili. Sie ist sicher, dass Beethoven mit dem Konzert etwas für die Ewigkeit gesagt hat. Sich selber stellt sie bescheiden zurück: „Wir Interpreten sind ja letztlich nur ein Medium zwischen dem Komponisten und dem Publikum. Daher ist der Austausch im Konzertsaal auch so wichtig. Sonst könnte die klassische Musik gar nicht mehr existieren.“ 

Derzeit gibt es für Dudana Mazmanishvili viel zu tun. Denn das deutsch-georgische Kulturjahr, das im Oktober mit der Frankfurter Buchmesse zu Ende geht, wartet mit 130 Veranstaltungen in ganz Deutschland auf. „Ich glaube, Georgien ist ein Juwel in Europa, das nur darauf wartet, richtig entdeckt zu werden“, sagt Dudana Mazmanishvili. „Oder gar eine Schatzkiste.“ Georgien ist nicht nur ein sehr altes, sondern auch ein sehr von Kultur geprägtes Land. Erst kürzlich fand man zwei Schädel von Urmenschen, deren Alter auf 1,8 Millionen Jahre datiert wurde. Und auch im griechischen Mythos spielt das Land schon eine Rolle: Als der aufrührerische Titan Prometheus den Menschen gegen den Götterwillen das Licht brachte, wurde er zur Strafe an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet. In der fruchtbaren Landschaft am Schwarzen Meer suchten Jason und die Argonauten nach dem Goldenen Vlies. Wenn ihnen die einheimische Königstochter Medea nicht geholfen hätte, wären sie vielleicht noch weiter gezogen. 

Begehrtes, friedliches Land: Perser, Araber, Türken, Mongolen fielen ein 

Es heißt, dass noch heute Hirten an geheimen Orten Schafsfelle in die reißenden Gebirgsbäche hängen, um Gold zu gewinnen. Viele Völker, Perser, Araber, Türken und Mongolen, begehrten das Durchgangsland zwischen Europa und Asien südlich des Kaukasus. Die Georgier sind eines der ältesten christlichen Völker. Hier leben seit jeher Anhänger der verschiedensten Religionen friedlich zusammen. Das von vielen Einflüssen geprägte Land wird nicht zuletzt durch seine uralte Sprache und Schrift zusammengehalten, die außerhalb des Landes kaum jemand lesen kann. 

Heute wacht in Tiflis am prachtvollen Freiheitsplatz eine goldene Statue von St. Georg, dem Drachentöter und Nationalheiligen, über die Menschen im brausenden Verkehr. Erstaunlicherweise geht es auch ohne Ampeln ziemlich reibungslos zu. In der Nähe liegt das von einem deutschen Architekten in einem orientalischen Art-Déco-Stil erbaute, frisch renovierte Opernhaus. Hier empfängt Badri Maisuradze, renommierter Tenor und Künstlerischer Leiter der Oper. Mit Goldketten um Hals und Handgelenk und dick geschminkten dunklen Augenbrauen wirkt er, als käme er direkt von der Bühne. Er sagt das, was man in Tiflis immer wieder erlebt: „Jeder singt in Georgien“. Und fügt hinzu: „Wir haben ein polyphones Gehirn!“ 

Orchesterleiter, Toastmaster, zu Gast in Potsdam: Vakhtang Kakhidze 

Inwieweit das wissenschaftlich haltbar ist, sei dahingestellt, doch gesichert ist, dass polyphoner Gesang in Georgien schon 300 Jahre früher als im restlichen Europa entstand. Eine klingende Kostprobe gibt der Rustavi-Chor bei einem bejubelten Konzert im Kakhidze Music Centre. Gekleidet in Uniformen des 19. Jahrhunderts mit langen Wollmänteln, Stiefeln, Patronenhülsen auf der Brust und Schwert am Gürtel bringt der rein männliche Chor archaische und moderne, geistliche und weltliche Gesänge mit beeindruckender Kehlenakrobatik hervor. 

Außen am Gebäude prangt das überlebensgroße Konterfei von Jansug Kakhidze, Dirigent und Gründer des Tbilisi Symphony Orchestras, auch der „georgische Karajan“ genannt. Sohn Vakhtang Kakhidze ist in seine Fußstapfen getreten und leitet seit dem Tod seines Vaters das Orchester. Kakhidzes ist kräftig, von untersetzter Statur, als großzügiger Gastgeber weiß er die legendäre georgische Gastfreundschaft nach allen Regeln der Kunst zu zelebrieren. Dabei bringt nur der „Tabada“, der Toastmaster, die Trinksprüche aus, erst nach Anmeldung dürfen auch andere etwas sagen. Manchmal stoßen gar nur die Männer an, während die Frauen sitzen bleiben sollen – Spuren einer hier durchaus noch wenig gebrochenen patriarchalischen Gesellschaft. 

In Potsdam wird Vakhtang Kakhidze die Symphonie aus der Neuen Welt von Anton Dvorák dirigieren, ein Werk, das, wie Kakhidze sagt, jeden in jedem Land und in jeder Generation zu jeder Zeit berühren kann. „Wenn man diese wunderbare Symphonie hört, mit den vielen unterschiedlichen Gefühlen darin, dann wird man einfach immer davon mitgerissen.“ Kakhidze, der auch als Komponist hervorgetreten ist, findet jede Art von Musik interessant, denn Musik, sagt er, ist sein ganzes Leben. Sogar wenn er schläft, ist manchmal die Musik in seinen Träumen – „wie eine Quelle, die unaufhörlich weitersprudelt“.

Das Tbilisi Symphony Orchestra spielt heute um 19.30 Uhr im Potsdamer Nikolaisaal unter der Leitung von Vakhtang Kakhidze symphonische Meisterwerke

Babette Kaiserkern

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