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Auf den Kopf gestellt: Seruset und Pfennig finden neue Blickwinkel

© Manfred Thomas

Kultur: Gemeinsamer Fischzug

Textillustrationen von Wolf Dieter Pfennig und Skulpturen von Lothar Seruset in der Galerie M

Am Anfang war der Text. Einer, der es in sich hat. Weil er provoziert, piekt und die Dinge gewissermaßen auf den Kopf stellt. Das fängt an mit Behauptungen, denen zufolge die Natur das Hässliche, die Kunst dagegen das Schöne sei und setzt sich fort in einer Stigmatisierung des Menschen als in seiner Natürlichkeit hässliche, gering zu schätzende Kreatur. „Und überhaupt, das Leben ist der Kunst abgelauscht, nicht umgekehrt, nicht umgekehrt“, lautet dann schließlich das Fazit.

Der kurze Text von Matthias Dix, in dem der Berliner Theaterautor und Regisseur in dialektischer Weise markige Statements über das Verhältnis von Leben und Kunst, Natürlichkeit und Künstlichkeit in den Raum stellt, liest sich wie ein Manifest. In der Produzentengalerie M hat man es, wie eine Wandzeitung, gleich an mehreren Stellen in die aktuelle Ausstellung hineingehängt. „Ein Reisender fährt von Wien nach Berlin und denkt“, ist das Ganze überschrieben.

Der Prolog liefert nicht nur den Einstieg für den Text, sondern auch für die Zeichnungen, mit denen ihn der Potsdamer Künstler Wolf Dieter Pfennig bebildert hat. Ursprünglich für ein Künstlerbuch gedacht, arrangierte Pfennig die insgesamt 17 querformatigen Doppelseiten für seine Ausstellung mit Lothar Seruset wie ein Fries an der Wand.

In einer Ecke der Galerie setzt sich der Zug in Bewegung und befördert nach und nach – wenn auch nicht ausschließlich – verschiedenerlei Begegnungen zwischen Männlein und Weiblein zu Tage. Die Zeichnungen in Mischtechnik (Buntstift, Acryl und Tempera) auf Papier kolorieren und kommentieren den intellektuell bissigen Text in seinem stark ironisierenden Ton. Weniger zugespitzt als Dix findet Pfennig in seiner Interpretation immer wieder zu witzigen Konstellationen und dabei auch zur Parodie. Wo der Text Ansatzpunkte für die Karikatur bietet, greift Pfennig diese gerne auf. In Linolschnitt gefertigte kleine, meist blaue Fische schwärmen in die Illustrationen aus und geben mit Blick auf deren Lesart die Richtung mit an. Keck mischen sie sich unter die tänzelnden Buchstaben, mit denen Pfennig den Text über die Buchseiten fließen lässt. Seine Illustrationen kitzeln den subversiven Humor, Wortwitz und Hintersinn aus dem stark polarisierenden Text einfallsreich hervor. Zwar droht manch eine der von Dix formulierten Paradoxien und Pointen, sich im Zuge der unterhaltsamen Bilder-Karawane Wolf Dieter Pfennigs stellenweise zu verflüchtigen. Doch haben die lockeren Zeichnungen ganz das Zeug, die nicht gerade leichte Kost des Textes schmackhafter und besser verdaulich aufzubereiten.

Die Widersprüchlichkeiten, teilweise auch Absurditäten von Text und Bilderfries werden von den Skulpturen Lothar Serusets geradezu kongenial beantwortet. Die Kopfstände, die seine Figuren mitunter vollführen, erscheinen seelenverwandt zu Matthias Dix, der die Dinge kraftvoll gegen den Strich bürstet. Zeigt sich doch so Manches, wenn man den gewohnten Blickwinkel einmal radikal umpolt, noch viel klarer. Auch Seruset stellt sich aus gutem Grunde selbst mal gerne auf den Kopf. In dieser Ausstellung zeigt der Bildhauer, von dem man eher großformatige Arbeiten kennt, vor allem kleinformatige Skulpturen: aus Holz gehauen, gesägt und geschnitzt, manchmal auch noch in Bronze gegossen und stets farbig gefasst.

In jeder Figur bildet der Künstler mit großer Selbstverständlichkeit überraschende Synthesen. Da balanciert einer seine Last als Fisch auf dem Kopf („Fischträger“), ein anderer – Krone auf dem Kopf, stoischer Blick – hat auf einem Fisch Stellung genommen („König auf Fisch“). Überhaupt dreht sich im Falle dieser Figuren vieles ganz offenkundig um die innere Balance. Der Künstler lässt seine Figuren schwere Gewichte stemmen, ganze Häuser werden da wohl auch zur inneren Last. In Arbeiten wie „La Strada“, die in sich beweglich ist, oder wenn Lothar Seruset eine Figur auf eine Kugel stellt statt auf festen Boden, wird die Kunst zum Balanceakt. Seine sparsam bekleideten Figuren sind meist Einzelgänger, in sich versunken und ganz auf sich gestellt. Mit Attributen wie dem Fisch oder der Krone öffnet der Künstler Assoziationsräume. Einer eindeutigen Zuordnung und Verortung jedoch verweigern sich seine Geschöpfe. Die Figuren von Lothar Seruset scheinen aus der Zeit gefallen. In ihnen verleiht er Haltungen gegenüber der Welt Gestalt – vielleicht als fortwährende Suche. Almut Andreae

Bis zum 30. Mai. Öffnungszeiten: Mi-Fr 11-17 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Hermann-Elflein-Str. 18 (Luisenforum).

Almut Andreae

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