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So wie man ist. In „Theater Stap“ tanzen Menschen mit Behinderung.

© Bart Grietens

Kultur: Gemeinsam auf den Mount Everest

Inklusion und Tanz: „To belong“ des belgischen Choreografen Koen de Preter

In der vernetzten Welt ist alles möglich: Am Dienstagvormittag ist der belgische Choreograf und Performer Koen de Preter per Skype aus Südkorea zugeschaltet, um über seine Inszenierung „To Belong“, die heute Abend bei den Potsdamer Tanztagen gezeigt wird, zu sprechen.

Der 37-jährige Belgier ist 2001 zum ersten Mal mit „Theater Stap“ in Berührung gekommen – einer professionellen Theatergruppe, die Performances entwickelt, in denen Menschen mit geistigen Behinderungen im Mittelpunkt stehen. Koen de Preter sah sich „Ook“ in der Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui gleich mehrmals an, vor allem, weil er von der Authentizität der Darsteller ungemein angetan war. „Als professioneller Schauspieler kann man nur neidisch sein“, sagt er.

Auch bei späteren Arbeiten mit Menschen mit sogenannten intellektuellen Beeinträchtigungen machte der Choreograf die Erfahrung, dass sie den stärksten Eindruck bei ihm hinterließen. Kurz darauf lud „Theater Stap“ aus Turnhout ihn dazu ein, mit etwa zehn Akteuren ihrer Theatergruppe ein neues Tanzstück zu entwickeln. Koen de Preter erzählt, dass er im Auswahlworkshop von einer Frau sofort besonders fasziniert war. Nancy Schellekens ist die Älteste der Gruppe und eigentlich Pianospielerin. Die Sonderpädagogen rieten ihm ab, mit ihr zu arbeiten – wegen ihrer ausgeprägten Langsamkeit. Doch de Preter wagte das Experiment und wurde reich belohnt. „Wenn wir springen, ist es für sie, als würde sie den Mount Everest besteigen.“ Doch Nancy trainiert hart und freut sich über jede Kleinigkeit. Und: Sie hat sich körperlich verändert in dem fünfeinhalb Monate währenden Probenprozess. Ihr einzigartiger Charakter, – „sie ist ein Film an sich“ –, sagt de Preter liebevoll, sei außergewöhnlich und das habe ihn von Anfang an fasziniert.

Während des Stückes entkleiden sich die Performer. In Unterwäsche und/oder mit freiem Oberkörper stehen sie für alle sichtbar da. Man wird dadurch nicht zum Voyeur, verspricht Koen de Preter, vielmehr wird an dieser Stelle daran erinnert, was man im Verlauf der Performance (fast) vergessen hat. Dass es Unterschiede, die zwar nur graduell und fließend seien, zwischen den Darstellern und uns gebe. Doch das sei eher eine Entlastung für den Zuschauer, denn die Tänzerkörper, die man sonst auf Bühnen zu sehen kriegt, entsprechen einem hohen Ideal und nicht der Wirklichkeit.

Neben der Körperlichkeit geht es in „To Belong“ auch um Intimität und Sexualität. Gefühle, die man Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen von Seiten der Gesellschaft noch nicht so lange zuzugestehen beginnt. Für die Gruppe selbst, der es bei „To Belong“ um Zugehörigkeit – inklusive von Gefühlen der Selbstaufgabe in der Gemeinschaft und dem Unglück des Ausschlusses geht – ist dies jedoch kein Tabu. Und, so erzählt de Preter von den Reaktionen der Zuschauer, es gebe Angehörige, die auf der Bühne zum ersten Mal sehen würden, dass sich ihre Kinder alleine an- und ausziehen können.

„Wir können eine Menge von ihnen lernen“, sagt der Choreograf immer wieder während des 45-minütigen Telefonats und er meint damit: Ohne Vorurteile zu sein, unmittelbar zu kommunizieren, ehrlich und klar, einfach freier – als wir selbst – zu sein. Was wie eine Utopie vom Menschsein klingt, erlebte de Preter im täglichen Probenprozess. Und der Choreograf weiß aus den Vorstellungen von „To Belong“ in Holland und Belgien sowie Anfang Mai in Freiburg, dass diese Begeisterung auch das Publikum ergreift.

„To Belong“ lädt mit überzeugenden Darstellern und einem einprägsamen Soundtrack zu einer allumfassenden Gemeinschaftlichkeit ein. Es ist an jedem selbst, diese Einladung anzunehmen oder auszuschlagen. Oder, wie es im Eingangssong von Nirvana „Come as you are“ heißt, einfach zu kommen, wie man ist. Koen de Preter wird allerdings nicht in Potsdam anreisen, da er gerade seinen vor dem Gastspiel geplanten Jahresurlaub in Seoul genießt.A. Priebs-Tröger

„To Belong“ wird heute um 19.30 Uhr und morgen um 20 Uhr in der fabrik zu sehen sein. Nach der morgigen Vorstellung findet ein Zuschauergespräch statt.

A. Priebs-Tröger

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