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Kultur: Geliebt und gehasst

Florence Hervé las aus Clara Zetkin-Biografie

In der DDR zierte ihr Porträt Münzen, Briefmarken und Geldscheine. Gedenkmedaillen und Straßen waren nach ihr benannt. Der Internationale Frauentag, den sie gemeinsam mit anderen sozialdemokratischen Frauen 1910 initiierte, wurde bis 1989 offiziell begangen. „Unbequeme“ Seiten wurden allerdings, wie bei vielen anderen auch, einfach ausgeblendet. In der westdeutschen Forschung und in Teilen der Frauenbewegung wurde Clara Zetkin hingegen als verantwortlich für deren Spaltung bezichtigt, oft verleumdet oder auch totgeschwiegen.

Vorwiegend Desinteresse bekam ebenfalls die renommierte Publizistin Florence Hervé zu spüren, als sie vor zwei Jahren nach Verlagen suchte, die anlässlich des 150. Geburtstages der international angesehenen Frauenrechtlerin und Pazifistin an der Herausgabe einer Zetkin-Biografie interessiert sein könnten. Der Berliner Dietz Verlag nahm schließlich das Angebot der seit den 60ern frauenpolitisch engagierten Herausgeberin an und veröffentlichte 2007 in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung den schmalen Band „Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist“. Nun war Florence Hervé in Potsdam zu Gast und stellte ihr Buch in den Räumen der Stiftung im Potsdamer Stadtzentrum vor.

Dabei geht es der Vertreterin eines marxistisch orientierten Feminismus nicht darum, die Vorkämpferin für Frauenrechte auf einen Sockel zu stellen, sondern „im Sinne einer Einordnung in historische Zusammenhänge und einer kritischen Auseinandersetzung“ ihr Leben und Werk zu würdigen. Die gebürtige Französin mit Lebensmittelpunkt in Deutschland hat sie 1967 für sich entdeckt. Und hatte als Mutter von zwei kleinen Kindern – selbst im Dilemma zwischen Studium und Familie – ein wirkliches Aha-Erlebnis. „Clara hat mich immer begleitet“, sagte sie am Dienstagabend enthusiastisch und stellte immer wieder Bezüge zwischen Zetkins Schriften und aktuellen Frauenrechtsfragen her. Überraschend modern sind Zetkins Äußerungen zur Schulbildung, die schon damals eine weltliche, unentgeltliche und für Kinder aller sozialen Schichten zugängliche Bildung forderte. Die ausgebildete Pädagogin räumte Kunst und Kultur einen hohen Stellenwert ein und entwickelte beispielsweise als langjährige Redakteurin der Zeitschrift „Gleichheit“ eine bemerkenswerte Kinderbeilage. Außerordentlich klarsichtig waren auch Zetkins Analysen von imperialistischen Kriegen und des heraufkommenden Faschismus, die aber in der eigenen Partei – ab 1920 gehörte sie zur KPD – wenig Anklang fanden.

„Zwischen allen Stühlen“ heißt dann auch das erste Kapitel des informativen und lesenswerten Bandes, der zudem einige bemerkenswerte Reden, Briefe und Artikel der streitbaren Persönlichkeit enthält. Er ist bei aller Knappheit der Darstellung und der Konzentration auf Zetkins Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung eine anregungsreiche Quelle für die heutige Zetkin-Rezeption. Es sind ihm in einer Zeit, in der in Deutschland Frauen immer noch 25 Prozent weniger Lohn als Männer für die gleiche Arbeit verdienen, viele Leserinnen und Leser zu wünschen.

Astrid Priebs-Tröger

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