zum Hauptinhalt

Gehörlos geflüchtet: Das ständige Gefühl, isoliert zu sein

Saad Al Haj Ali erzählt in „Orfeo17“ von sich selbst. Das Werk wird am Samstag von der Kammerakademie Potsdam, Solisten und gehörlosen Geflüchteten uraufgeführt.

Potsdam - Ich wurde vor 30 Jahren gehörlos geboren, als Sohn eines Bauern im Grenzgebiet zwischen Syrien und Jordanien. Meine zehn Geschwister konnten alle hören, außer eine Schwester. Auf der Familienseite meines Vaters gab es weitere Gehörlose, auf der meiner Mutter waren alle hörend. Zuhause haben wir uns in einfachsten Hausgebärden verständigt. Ich erinnere mich an das ständige Gefühl, isoliert zu sein als Gehörloser. Ich bin nicht zur Schule gegangen, bis ich 16 Jahre alt war. Dann wurde ich auf eine Gehörlosenschule geschickt, ein Internat, drei Autostunden von Zuhause entfernt. Dort habe ich arabische Gebärdensprache und Schrift erlernt, aber ich war nicht gern da. Es gab viele Strafen und oft Prügel, ich habe viel geweint. Nach drei Jahren bin ich von dort geflüchtet, erst zu Freunden, dann zu meinen Eltern.

Kurz vor Ausbruch des Krieges habe ich meine Frau Baara kennengelernt. Sie ist hörend. Baara ist immer am Friseurladen vorbeigegangen, wo ich gearbeitet habe, und hat gelächelt. Aber ihre Familie war strikt gegen eine Heirat, weil ich gehörlos bin. Nach Ausbruch des Krieges und der Beschlagnahmung unseres Hofes durch die syrischen Militärs bin ich mit meinen Eltern und Geschwistern nach Jordanien geflohen. 2014 bin ich für vier Monate mit einem Freund zum Arbeiten in den Libanon gegangen. Danach bin ich für kurze Zeit wieder in meine Heimat zurückgekehrt, zu meiner Schwester. Sie konnte mir genug Geld geben, um erneut um die Hand von Baara anzuhalten. Da haben ihre Eltern erlaubt, dass wir uns verloben. Eine Woche danach haben wir geheiratet. Angesichts der Zerstörung, der vielen Verhaftungen und Ermordungen, haben wir uns gemeinsam auf die Flucht begeben. Meine Frau war da schon hochschwanger. Wir sind von der Türkei mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer nach Griechenland und dann zu Fuß weiter.

Ein Grund, weshalb viele syrische Gehörlose nach Europa gehen

Mittlerweile wohnen wir in Jüterbog, hier wurde auch unser zweiter Sohn Mohammed geboren. Beide Kinder sind hörend. Mir selbst ist das egal. Aber meine syrische Familie wäre traurig, wenn die Kinder gehörlos wären. Sie denken, dass sich Gehörlose keine Zukunft aufbauen können. Dass taub sein dasselbe ist wie dumm sein. Hier in Deutschland ist dies zum Glück anders. Hier erhalten Gehörlose mehr Hilfe und Unterstützung. Sie können, anders als in vielen islamisch geprägten Staaten, zur Schule gehen, Berufe erlernen und selbständige Leben führen. Das ist auch ein Grund dafür, dass viele syrische Gehörlose nach Europa gehen. Trotzdem habe ich großes Heimweh nach meinen Eltern, die ich sehr liebe und von denen ich oft träume.

Ich hasse den Krieg und den IS und wünsche mir nichts als Frieden. Wenn der Krieg aus ist und Assad nicht mehr an der Macht, wird hoffentlich alles wieder gut in meiner Heimat. Und dann möchte ich dorthin zurückkehren mit meiner Familie. In Syrien war es nicht üblich in der Generation meiner Eltern, uns Kindern über unsere Herkunft, Geburt und Kindheit zu erzählen. Aber ich selbst werde meinen Kindern alles erzählen.

Der leicht gekürzte Text entstammt dem Programmheft von „Orfeo17“

Saad Al Haj Ali

Zur Startseite