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Gefangen in der Zeitschleife: Tatort mit Ulrich Tukur ist ein Leckerbissen für Cineasten

Der Tatort „Murot und das Murmeltier“ vom Potsdamer Filmuniversitäts-Absolventen Dietrich Brüggemann ist eine herausragende Hommage an die Zeitschleife.

Potsdam - Irgendwann reicht es Kommissar Murat. Er setzt sich ins Auto, fährt raus aufs Land und setzt sich in ein Café. „Ein Tee, einen Kaffee, nen Schnaps und ein Croissant.“ Während im Fernseher die Live-Schaltung zu einem misslungenen Banküberfall dudelt, wird er der Inhaberin eine Torte ins Gesicht werfen und danach Tretboot fahren gehen. Da ist der Tatort bereits mitten drin in der Dekonstruktion eines seiner komplexesten Helden. Immerhin, der hr-Tatort mit Felix Murat (Ulrich Tukur), der üblicherweise nur einmal im Jahr erscheint, hat sich nach Ausstrahlungen von Folgen wie „Im Schmerz geboren“ (2014) oder „Wer bin ich?!“ (2015) fest als experimentelle Spielwiese etabliert. Ein Schrecken für den herkömmlichen Krimifan, ein Leckerbissen für Cineasten. Was HFF-Absolvent Dietrich Brüggemann jedoch mit „Murot und das Murmeltier“ veranstaltet, wird noch lange besprochen werden. Wir sehen definitiv einen der besten Tatort-Filme, die je gedreht wurden. Aber auch einen der abgefahrenen.

Der im Grunde auch nur eine Hommage ist, wie der Titel unschwer vermuten lässt. Brüggemann, der auch das Drehbuch schrieb und für die Musik verantwortlich zeichnete, bedient sich einfach am Harold-Ramis-Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ von 1993, in dessen Setting er kurzerhand den Tatort verfrachtet.

"Kennste einen, kennste alle"

7:30 Uhr morgens, Murot liegt im Bett, das Telefon klingelt. „Hallo, Wächter hier, entschuldigen Sie die frühe Störung. Wir haben ne Geiselnahme in ner Bank.“ Keine große Sache, Murot steht auf, stolpert über einen Schuh, laute Musik aus der Nachbarwohnung setzt ein, er geht ins Bad, zieht sich an und verlässt das Haus. Im Hausflur begegnet er einer Nachbarin, die auf dem Weg zum Jogging über ihren offenen Schuh stolpert. Sämtliche alltäglichen Sequenzen, die ihm begegnen, werden im Laufe des Filmes zu Ritualen mutieren. Vor der Bank wartet Kollegin Wächter (Barbara Philip) bereits auf ihn, sowie Schutzpolizei, SEK, das ganze Programm. Was soll auch sein? Eine weitere Geiselnahme in einer Bank. Murot checkt die Lage, zieht sich eine kugelsichere Weste an und geht rein: „Geiselnehmer. Kennste einen, kannste alle.“ Dessen Komplizin labert er abgebrüht zur Aufgabe, nur an Geiselnehmer Stefan Gieseking (genial gespielt von Christian Ehrich) scheitert er: „Ich will da nich raus“, lamentiert der. „Da draußen ist jeder Tag derselbe.“ Murot schickt die Geiseln raus, schnappt sich Gieseking - und das Ding geht schief. Vor der Bank bekommt er eine Kugel in den Kopf.

Und wacht in seinem Bett auf, das Telefon klingelt: „Hallo, Wächter hier, entschuldigen Sie die frühe Störung. Wir haben ne Geiselnahme in ner Bank.“

Szenen offenbaren sich auf der Metaebene

Gefangen in einer Zeitschleife geht der Tag von vorn los, und diese überzogene Modifikation des Erwarteten lässt einen nur sprachlos zurück. Was Murot auch macht: Am Ende geht es schief, er stirbt und es geht von vorn los. Glaubt er anfangs noch an ein Déjà-vu, wird ihm die Zeitschleife irgendwann bewusst - in der er nicht allein steckt: Auch Geiselnehmer Gieseking hängt darin fest, lediglich ohne die Intention, da jemals wieder herauszukommen. Fatalismus in Reinform. Da nützt es nicht mal etwas, wenn Murot stinksauer nach dem Aufstehen im Pyjama an den Tatort rast, eine Maschinenpistole aus den Händen eines SEKlers reißt und sich den Weg freiballert. Oder aufwacht, sich die Pistole von Nachttisch schnappt, in den Kopf schießt und - aufwacht. Es sind groteske Szenen, die sich durch den Tatort ziehen und sich erst auf der Metaebene offenbaren.

Denn was man dem Film nicht vorwerfen kann, ist Slapstick zu wollen, Wiesbaden ist nicht Münster oder gar Weimar. Autor Brüggemann verpackt die Sehnsucht nach dem Ausbruch in einen doppelten Boden, die Befreiung muss sich erdacht und erarbeitet werden, sonst dreht sich das Hamsterrad unaufhörlich. Murot wird es schaffen, den Kreislauf zu durchbrechen, bis dahin ist genug Zeit für selbstreflexive Dialoge über die Sinnlosigkeit des Daseins. Einmal steht er mit erhobenen Armen vor den entsetzten Kollegen vor der Bank und ruft: „Ist es nicht Hoffnung, die uns am Leben hält?“ Mehr bleibt ihm auch nicht, wenn er nicht jeden Tag neu erleben will.

Die größten Momente hat der Tatort, dessen Kamera ständig eng am Hauptdarsteller klebt, durch seine geradezu melancholischen Momente. Wir sind doch alle in Routine gefangen.

Oliver Dietrich

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