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Kultur: Ganz normal anders

Simone Ahrend fotografierte Kinder und Jugendliche mit Behinderungen / Ausstellung im Landtag

„Kommst du wieder zu uns?“, fragte einer der Christophorusschüler in Hoppenrade schon nach kurzer Zeit die Fotografin Simone Ahrend. Für Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen ist so eine Frage nicht selbstverständlich. Schon gar nicht für Autisten. Fast anderthalb Jahre lang hat sich die Potsdamer Künstlerin mehrmals in der Woche in die Prignitz aufgemacht, um den Alltag von Thomas, Mario, Sabine und Taygun mitzuerleben und sie darin zu fotografieren. Am Dienstagvormittag wurde die Ausstellung „Ich bin ich“ im Potsdamer Landtag auf dem Brauhausberg von Landtagspräsident Gunter Fritsch eröffnet.

Auf ihren zwei Dutzend großformatigen Schwarz-Weiß- Fotos blicken die Kinder und Jugendlichen im Alter von acht bis 18 Jahren selbstbewusst in die Kamera. Da ist der bodenständige Ingo mit seinen selbst geschälten Kartoffeln vor der Brust oder die theaterbegeisterte Kerstin mit geschminkten Lippen und dem Riesenhut. Und der stille Michi, der sein Gesicht mit den tiefgründigen Augen in beide Hände stützt. Oder der fröhliche Max, der kaum spricht, dafür aber mit seinem ganzen Wesen seine Mitmenschen erwärmt.

Simone Ahrend hat sich sehr behutsam ihren Protagonisten genähert und ist dabei selbst fast ein Teil ihres Alltags und der Gemeinschaft geworden. Ihre Bilder sind weder mit voyeristischem Blick ausgelöst noch erheischen sie von den Betrachtern einen Mitleidsbonus. Sie zeigt starke und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die während der direkten Gegenüberstellung auf der Vernissage auch sagen: „Das bin ich nicht!“, wie beispielsweise der rotblonde Mario. Den hatte Simone Ahrend kurz nach seiner Arbeit im Pferdestall abgelichtet und nicht nur die Arbeitskleidung hatte aus dem jetzt locker und verschmitzt Daherkommenden einen ernsthaften jungen Erwachsenen gemacht.

„Die Porträts sind wie ein Buch“, sagte zur Ausstellungseröffnung Lutz Behrendt, Leiter des Christlichen Jugenddorfwerkes Prignitz e.V., zu dem die Christophorusschule gehört. Sie laden den Besucher ein zum Lesen und zum Verstehen. Und sie lassen denjenigen, der bereit ist, dabei sich selbst zu öffnen mit einiger Nachdenklichkeit zurück. Auch Simone Ahrend war, als sie den Kindern und Jugendlichen begegnete, oft überrascht. Nicht nur, als ihr Steven, nachdem er sie nach ihrem Geburtsdatum in den Sechzigern gefragt hatte, augenblicklich sagte: „Du bist ein Montagskind“. Seine mathematische Inselbegabung macht ihm dies möglich. Sondern sie war vor allem berührt von den Gefühlen, Träumen und Wünschen der Förderschüler. Ihre einfühlsamen Porträts ermöglichen dem Betrachter, eigenen Vorbehalten, Unsicherheiten und Berührungsängsten zu begegnen. Dabei können sie Brücken bauen für uns alle für einen vorurteilsfreien Umgang mit Menschen mit Behinderung.

„Ich bin ich“ ist ein starkes Plädoyer für sehr verschiedene Individualitäten und ganz normales Anderssein.

Astrid Priebs-Tröger

Bis 31. Mai im Landstag, Mo bis Fr von 7.30 bis 16 Uhr

Astrid Priebs-Tröger

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