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Galerie Sehmsdorf ehrt Strawalde: Ungebremst

Die zwei Karrieren des Widerspenstigen: Der Maler und Filmemacher Jürgen Böttcher, der als Maler unter seinem Namen Strawalde besser bekannt ist, wird 85.

Beschwingt gleitet der Stift übers Papier. „Zu zeichnen ist für mich wie tanzen“, sagt Jürgen Böttcher, als Maler besser bekannt unter dem Namen Strawalde. Braun gebrannt, muskulös, die behaarte Brust unterm Hemd gut sichtbar, steht der Maler in seinem Atelier. Die Galerie Sehmsdorf ehrt ihn derzeit mit einer Ausstellung – weil er nun 85 Jahre alt wird. Das Alter mag man ihm nicht glauben, so vital wie er wirkt. Die Freude am Leben, am Malen, sagt er, halte ihn so lebendig.

„Ich will aber auch die ärgern, die mich damals lieber ganz klein gemacht hätten“, fügt er hinzu und grinst schelmisch. Wäre es nach einigen Kulturfunktionären in der DDR gegangen, hätte Strawalde die vielen Auszeichnungen, die er bereits im Arbeiter- und Bauernstaat und dann in der Bundesrepublik erhalten hat, nie bekommen. „Ich war frech“, sagt Böttcher. Wenn ihm von den Kulturfunktionären der Vorwurf des Formalismus gemacht wurde, dann hielt er nicht den Mund, fügte sich und kehrte zurück auf den angepriesenen Pfad des sozialistischen Realismus. Sondern begeisterte sich weiter für eine Formsprache, die experimentiert, die den Eigenwert von Linie und Form und Farbe feiert und sich nicht den Inhalten fügt.

Das kam nicht so gut an, jedenfalls nicht bei denjenigen, die im Sozialismus für die Vergabe von Stellen und Aufträgen an Künstler zuständig waren. An der Qualität seiner Arbeiten allerdings gab es wenig Zweifel. „Mein Vater war lange ohne feste Anstellung, auch meine Mutter hatte keinen Job, also musste ich die Haushaltskasse mit dem Verkauf meiner Zeichnungen füllen“, so Strawalde. Als Jugendlicher hätte er ständig auf dem Weg zur Schule oder später zur Kunsthochschule gezeichnet: Portraits der Passanten, der Mitfahrenden im Zug. Die Zeichnungen hat er dann unmittelbar verkauft.

In seinem Atelier zeigt er eine Bleistiftzeichnung, die er bereits vor seinem Studium angefertigt hat, ein meisterliches, kubistisch geprägtes Selbstportrait. „Die konnten mir auf der Hochschule nicht mehr viel beibringen“, sagt er auch heute noch selbstbewusst. Nach dem Kunststudium gab er Kurse an der Volkshochschule – und unterrichtete dort junge Kunstinteressierte, die später recht bekannt werden sollten. Ralf Winkler, besser bekannt als A.R. Penck, überflügelte seinen Lehrer später an Ruhm, schrieb aber für einen Katalog von Strawalde eine lange und begeisterte Laudatio auf den von ihm verehrten Lehrer. Strawalde war ein enthusiastischer Lehrer, begeisterte immer mehr Schüler, hatte an der Volkshochschule eine kleine Fangemeinde. Was vom Staat natürlich eher kritisch beäugt wurde. Es war klar, dass Böttcher mit seinem eigenwilligen Stil und dem Unwillen gegen jede Art von Bevormundung keine Karriere als Maler in der DDR machen konnte.

Wie also sollte sich der junge, energiegetriebene Mann weiter entwickeln? „Es waren immer die Frauen, die mein Leben entscheidend geprägt haben“, gesteht Strawalde. Als eine Filmstudentin hörte, wie begeistert und lebhaft er von seinen Erlebnissen erzählte, riet sie ihm, sich doch unbedingt an der Filmhochschule zu bewerben. „Ich hätte nie geglaubt, dass die mich nehmen, also habe ich kein Blatt vor den Mund genommen“: Das sei ja alles überhaupt kein wirklicher Film, der hier – 1955 – in der DDR produziert worden sei, erzählt der vom Neorealismus begeisterte Künstler den Aufnahmeprüfern. Die aber lassen ihn wider Erwarten doch studieren.

Allerdings mit einem Ergebnis, das dann doch wieder nicht so gut ankommt. In seiner Abschlussarbeit sinniert Böttcher über Kunst, Film und die verbindende Form, was wieder für zu formalistisch gehalten wird. „Ich habe nie einen Abschluss als Filmer gemacht, aber geschadet hat mir das nicht.“ Er macht also Filme, doch der einzige Spielfilm von Böttcher verschwindet in der Schublade. „Jahrgang 1945“ zeigt das Leben in der DDR. Wirkliches Leben. Gefilmt in den privaten Wohnungen der Protagonisten. Mit Klo auf dem Flur, beengten Wohnungen, Ofenheizungen, maroden Wasserleitungen, zerschlissenen Alltagsklamotten.

Das war es nicht, was die Kulturfunktionäre gerne sahen. Der Sozialismus sollte schick sein, aufstrebend. Das aber sähe ja aus wie kapitalistisches Proletariat in Düsseldorf oder Mississippi, erklärten Funktionäre, die wahrscheinlich noch nie in den USA gewesen waren. Also ging Böttcher bei den nächsten Filmen auf Nummer sicher: Er drehte Dokumentarfilme. In den Fabriken, vor Gebäuden, die im aufstrebenden Sozialismus neu errichtet worden sind. So bekam er dann auch in der DDR zahlreiche Filmpreise, erhielt eine Anstellung bei den DEFA Studios. Die Filmkarriere war dann allerdings vorbei, als die DDR zusammenbrach.

Da wurde aus Böttcher der Maler Strawalde. Böttcher nannte sich nach dem Ort Strahwalde in der Oberlausitz, wo er aufwuchs. Große Leinwände, große Zeichnungen, Ausstellungen in prominenten Galerien. Eine Zeit lang war Böttcher ein regelrecht gehypter Malerstar und verdiente dementsprechend. Für sein filmisches Werk wurde er auch in der wiedervereinigten Bundesrepublik geehrt. „Aber ich bin nie aus der DDR geflohen und wollte auch nicht in den Westen. Das hat man mir übel genommen“, sagt Strawalde. Als Kind habe er den Krieg, die Zerstörung und die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten erlebt. Ein westdeutscher Staat, in dem die allermeisten Nazigrößen nie bestraft wurden und nach Kriegsende unmittelbar wieder in hohe Ämter und an die Schalthebel in Fabriken, Verwaltung und Justiz gelangten, sei seine Sache nicht gewesen.

Die Vorbehalte gegenüber einem Kunstbetrieb, der sich um Gesinnung und Haltung nicht schert, ließen Strawalde im wiedervereinigten Deutschland als einen eher sperrigen Künstler erscheinen. Andere vermieden gleich jede Haltung oder bekannten sich kopfüber vollmundig und lauthals zum globalisierten Preiskarussell des Kunstmarktes, um sich dort als deutsche Marke zu positionieren. Und machten globale Karrieren. Das blieb Böttcher verwehrt. Aber seine malerische Energie und die Anerkennung seines Werkes in einem Staat, der sich viel zu spät mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, die kann ihm niemand nehmen.

Richard Rabensaat

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