zum Hauptinhalt

Kultur: „Für jeden Potsdamer ein Muss“

Über Potsdamer Glaskunst ist recht wenig bekannt – zu Unrecht, sagen die Direktorin des Potsdam Museums, Jutta Götzmann, und Kuratorin Uta Kaiser. Eine Schau zum Thema eröffnet am Sonntag

Frau Götzmann, Frau Kaiser, beginnen wir am Anfang: Was versprach sich der Große Kurfürst davon, Glasmacher in und um Potsdam anzusiedeln?

GÖTZMANN: Der Große Kurfürst begann 1674 mit der Glashütte in Drewitz, in der Nähe von Potsdam. Die Überlegung war in erster Linie, eine Glashütte möglichst nah am Hof zu betreiben. Häufig sind Gläser natürlich aus dem Ausland, aus Böhmen und Schlesien nach Potsdam gelangt, aber mit der Machtfülle, die der Große Kurfürst nach Potsdam verlagerte, kam es zu einem rasanten Aufstieg der Stadt. Und dieser Machtzuwachs musste auch, gerade was das Zeremoniell anbelangt, repräsentiert werden. Daher der Wunsch, die Luxusglasproduktion, um die es hier zunächst ging, nach Potsdam zu holen.

Und wann trat der berühmte Glasmacher Johann Kunckel auf den Plan?

GÖTZMANN: 1678 wurde Kurfürst Friedrich Wilhelm auf den Alchimisten und Glashersteller Johann Kunckel aufmerksam und holte mit ihm hochqualifiziertes Fachpersonal nach Potsdam. Er überließ Kunckel die Pfaueninsel, um ihm seine Wertschätzung zu zeigen – aber auch, um ihn experimentieren zu lassen. Kunckel gelang es als Erstem in nachantiker Zeit, Goldrubinglas herzustellen. Wenn man überlegt, dass heute sogar die Rezeptur von klarem Glas kaum mehr nachzuvollziehen ist, kann man sich also vorstellen, was für eine ungeheure Leistung die Herstellung von farbigem Glas war, wie revolutionär seine Idee war, aus Gold rotes und später aus Kobalt blaues Glas zu entwickeln. Dafür erhielt Kunckel die Pfaueninsel, nachdem er auf dem Potsdamer Stadtgebiet Pächter der Glashütte am Hakendamm geworden war. Hier wurde vor allem für den Hof gearbeitet, wurde das Glas geschliffen und hier wurden mit hoher Präzision Motive geschnitten.

KAISER: Im heutigen Babelsberg gab es zudem einen dritten Ort für Glasmacher, ein Dorf, in dem sie gewohnt haben. Daher hat die heutige Glasmeisterstraße in Babelsberg ihren Namen.

Gibt es neben Kunckel andere bekannte Potsdamer Glasmacher aus der Zeit?

GÖTZMANN: Als Alchimist war Kunckel derjenige, der neue Rezepturen erfand und tatsächlich als einzige schillernde Persönlichkeit zu nennen ist. Man muss auch bedenken, wir sprechen über einen sehr begrenzten Zeitraum. 1736 wurde die Potsdamer Glashütte geschlossen und nach Zechlin verlagert. Gerade wenn wir uns auf Potsdam konzentrieren, ist der Zeitraum also wirklich begrenzt. Wichtiger als die Dauer sind die Namen der Künstler, die dann herangeholt wurden, um das Glas zu schneiden und ganze Bildwelten zu erschaffen. Zu nennen sind Gottfried Spiller, Martin Winter und später Elias Rosbach. Das ist im öffentlichen Bewusstsein noch nicht so verankert. Dabei gibt es in vielen Privatbeständen und Museen Gläser aus der Barockzeit, die wir zum ersten Mal in dieser Breite zurück nach Potsdam holen. Dies ist somit eine der hochkarätigsten und anspruchsvollsten Ausstellungen, die wir bisher gezeigt haben.

Anspruchsvoll, weil die Gläser so fragil sind?

GÖTZMANN: Ja. Besitzer von barockem Glas wollen die Gläser eigentlich am liebsten wegschließen. Andererseits steht das Glas natürlich für einen zeitgeschichtlichen Kontext. Es kann befragt werden. Und diese Zeitebene anhand der Glasmanufaktur hier wieder aufleben zu lassen, ist eine große Besonderheit. Wir haben immerhin Gläser von mehr als 20 Leihgebern vereint, 87 Gläser werden zu sehen sein.

Wie viele Gläser aus dem Bestand des Potsdam Museums sind dabei?

GÖTZMANN: Wir haben 30 barocke Gläser im Bestand des Potsdam Museums, teilweise allerdings glaskranke Gläser. Das bedeutet, sie trüben ein. Manchmal so sehr, dass sie nicht mehr ausgestellt werden können. Das hat damit zu tun, dass die Glasmacherei damals immer auch eine Suche nach neuen Rezepturen war, und das schlägt sich natürlich nieder. Im Potsdam Museum ist derzeit eine konzentrierte Auswahl von 20 Gläsern aus dem eigenen Bestand zu sehen.

Ist in Potsdam eigentlich nur Glas für den Hof hergestellt worden?

KAISER: Für den Hof, aber auch für den Handel in Berlin, Brandenburg und das übrige Preußen. Es ist auch Alltagsglas hergestellt worden, allerdings erst nach der Zeit des Großen Kurfürsten, ab dem 18. Jahrhundert. Das Alltagsglas ist allerdings viel schwerer zu lokalisieren, hat eher einheitliches Design. Anhand der Bodenfunde am Ort der ehemaligen Hütte auf dem Hakendamm kann man die Farbe des Glases rekonstruieren.

Warum währte die Blütezeit der Potsdamer Glashütte nur so kurz, bis 1736? Warum kennen alle Böhmisches Glas, aber nur wenige Potsdamer Glas?

GÖTZMANN: Wie es häufig der Fall ist, ist so etwas an konkrete Personen gebunden, an wirkliche Koryphäen ihres Fachs. Man braucht also die, die es vor Ort betreiben, die es weiterentwickeln. Auf der anderen Seite brauchen wir den Förderer, den Regenten, der es unterstützt. Der Sohn des Großen Kurfürsten hat die Glashütte noch erfolgreich weiterbetrieben, aber in der 3. Generation kommt es zur Verlegung nach Zechlin.

KAISER: Die Glasproduktion war auch sehr teuer, die Hütten wurden verpachtet. Hier in Potsdam hatte zuletzt der Soldatenkönig die Hoheit über die Hütte. Er war ein sehr wirtschaftlich denkender König und verlegte sie nach Zechlin. Das Glas war nicht seine große Liebe. Natürlich hat er es zur Repräsentation genutzt, ebenso wie Gemälde – aber sein Interesse lag bekanntlich beim Militär. Für die Herstellung von Glas war um Potsdam herum unglaublich viel Wald abgeholzt worden. Ein Grund könnte gewesen sein, dass Friedrich Wilhelm I., der auch leidenschaftlicher Jäger war, zur Erhaltung des Waldbestandes die Glashütte lieber ins Umland verlegte.

Warum ist Glaskunst für Sie dennoch ein dezidiert Potsdamer Thema?

GÖTZMANN: Weil wir einen bedeutenden Sammlungsbestand haben, trotz der Gläser, die im Zweiten Weltkrieg durch Zerstörung dezimiert worden sind. Es ist ein Thema der angewandten Kunst, das in direkter Verbindung zum Hof steht, zur Kulturgeschichte und zur Potsdamer Wirtschaftsgeschichte. Die erste Ausstellung zu Glas aus Potsdam gab es von Robert Schmidt 1913 im Berliner Kunstgewerbemuseum, die nächste von Susanne Netzer 2001 auch dort. In Potsdam wurde Glaskunst noch nie in dieser Größenordnung ausgestellt, die Ausstellung ist für jeden Potsdamer ein absolutes Muss.

Wurde das höfische Glas denn eigentlich auch benutzt – oder nur ausgestellt?

KAISER: Im Katalog gibt es einen Beitrag darüber, wie Gläser im Schloss Babelsberg präsentiert worden sind. Sie waren auf einer umlaufenden Konsole in das tägliche Schlossleben eingebunden. Im Rahmen von Festveranstaltungen wurden Gläser zur Schau gestellt. Es gibt von Johann Friedrich Wentzel ein Bild von Friedrich I., auf dem seine Frau gerade einen Pokal in der Hand hält. Das war fester Teil der offiziellen Zeremonie, jeder Akt und jedes Ritual waren bei der Tafel genau definiert.

Glas war etwas, was vor allem der Statusdarstellung des Adels diente. Wie geht die Ausstellung mit dem elitären Nimbus von Glaskunst um?

KAISER: Es gibt einen Abschnitt zu Alltagsglas, aber tatsächlich geht es vor allem um die Gläser, die der Repräsentation dienten. Aber auch dabei macht man interessante Entdeckungen. Wir hatten zum Beispiel einen Becher aus der Zeit des Großen Kurfürsten, in dem wir mehrere Wasserringe fanden. Offenbar war er mal als Vase benutzt worden.

GÖTZMANN: Wir zeigen auch eine gläserne Milchpumpe des beginnenden 19. Jahrhunderts – diese zählt aber eher zu den Kuriosa. Man muss bedenken, dass es in der Barockzeit noch nicht das Alltagsglas für jedermann gab – wie auch die Porträtkunst nicht jedem zur Verfügung stand. Es handelt sich durchaus um eine Kunst für gewisse gesellschaftliche Schichten. Gläser wurden erst im 19. Jahrhundert tatsächlich zu Gebrauchsgegenständen des Bürgertums.

Das Gespräch führte Lena Schneider

Die Sonderausstellung „Gläserne Welten“ ist ab Sonntag im Potsdam Museum zu sehen. Sie läuft bis zum 11. November

Die Kunsthistorikerin Uta Kaiser, 37, ist seit 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Potsdam Museum in den Bereichen Bildende Kunst bis 1850 und Angewandte Kunst tätig.

Jutta Götzmann, 52, ist Kunsthistorikerin und leitet seit dem Gründungsjahr 2008 das Potsdam Museum. Gemeinsam mit Uta Kaiser hat sie die Schau „Gläserne Welten“ kuratiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false