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Frühlingsvernissage: Die Thiede Werkstätten öffnen ihre Türen

Horrorszenarien, Müll und Landschaften: 14 Künstler zeigen in den Thiede Werkstätten ihre Werke. Eine Arbeit entsteht während der Ausstellung.

Von Helena Davenport

Potsdam - Es geht hoch hinaus, höher als es jemals möglich war. In Robert Weilands Videoprojektion wird die in den Thiede Werkstätten physisch erfahrbare Treppe weitergeführt. Stufe für Stufe darf der Betrachter sie mit seiner Imaginationskraft erklimmen, so denkt er sich über das Irdische hinaus. Doch Vorsicht! Die Treppe ändert nämlich alle zehn Minuten ihre Richtung und so könnte es sein, dass die Stufen plötzlich hinunterführen. Ein Aufstieg, der zur Pleite wird? Rückständige Entwicklung? Anlässlich der Frühlingsvernissage am Samstag, 30. März 2019, hat sich Weiland mit Ängsten auseinandergesetzt und wahre Horrorszenarien entworfen.

Das Fremde ist bedrohlich nah

Unterhalb der Treppe bespielt der Potsdamer Künstler mit einer weiteren Videoinstallation einen kleinen abgeschlossenen Raum in den sonst so offenen ehemaligen Werksräumen. Es ist dunkel hier, ein Alarmsignal ertönt, dazu ein pulsierendes Herz, während die letzten Aufnahmen einer abstürzenden Drohne auf die Wand projiziert werden – eine Animation. Dann bricht der Herzschlag ab, der Körper eines unbekannten Wesens tritt in Erscheinung. Es hat die Bruchlandung zwischen den Bäumen und Sträuchern des Waldes wohl nicht überlebt. Das Fremde ist also bedrohlich nah, oder ist der Mensch selbst, der hier zum blinden Passagier wird, der Fremdkörper inmitten der Natur?

Nachdem ein Labor und eine Tischlerei Anfang des Jahres ausgezogen sind, können die Künstler der Thiede Werkstätten nun fünf großzügige Räume im ehemaligen Werk des Lokomotivbau-Unternehmens Orenstein & Koppel für eine Ausstellung nutzen, daneben einige kleinere. Deswegen hätten sie die Gelegenheit ergriffen und zum ersten Mal eine größere Zahl befreundeter Gastkünstler eingeladen, erzählt Weiland. Insgesamt 14 Künstler stellen aktuell aus. Acht von ihnen haben ihre Ateliers in dem historischen Gebäude, sechs sind für die Schau dazugekommen. Weiland hatte die Immobilie im Industriegebiet nahe des Filmparks 2014 entdeckt, als er gerade auf der Suche nach Raum für seine Malerei war. Die Künstler, die er sich ins Boot geholt hat, decken mit ihren Arbeiten ein weites Spektrum ab. Collagen, Großformatiges, Kleinformatiges, Silberobjekte, Skulpturen aus Stein, Beton und Metall sind nun bis zum 10. Mai auch einem Publikum zugänglich. Drei Atelierräume in der Ahornstraße sind derzeit noch frei.

Trügerisch wirkende Harmonie

Die Künstlerin Micky Focke geht mit dem Thema Selbstauslöschung plakativer als Weiland um. In ihrer Malerei taucht immer wieder Müll auf, etwa in Form von Dosen, die mit ihren Spuren das Umfeld prägen, oder die sich vor zarten Kindergesichtern auftürmen. Die Message ist allzu deutlich, und doch wird sie in der so trügerisch wirkenden Harmonie von Form und Farbe entschärft. „Wir verbrauchen uns selbst“, sagt Focke. Einige der etwas vordergründig wirkenden Arbeiten, die sie während der Ausstellung präsentiert, hat sie aus älteren, zerrissenen Werken zusammengesetzt. Ein Fünkchen Hoffnung ist also doch dabei, Recycling lässt Neues entstehen.

Einige der Künstler haben sich von Landschaften inspirieren lassen. Martin Mehlitz etwa hat Eindrücke während einer Fahrradtour von Potsdam an die Ostsee gesammelt. Das Geordnete innerhalb dieser Landschaften, die ihm auf seiner Reise begegnet sind, hat er auf Leinwänden in Acryl festgehalten. Sattes Blau, fast schon grelles Grün – die krassen Farben seien für ihn ganz neu, kommentiert Mehlitz lachend. Er hat das im geraden Winkel einfallende Licht zwischen Bäumen dargestellt, Spiegelungen des Himmels auf einer Wasseroberfläche, und Wellen, die sich parallel zu den Turbulenzen von Luftmassen aufbäumen. Bei Mehlitz haben Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns Landschaften teils scharfe Kanten.

Stadtbewohner werden vom urbanen Dschungel verschluckt

Christian Hannoschöcks großformatige Malereien strahlen vor dem alten Gemäuer um die Wette. Der Künstler beschäftigt sich mit dem Kulissenhaften von Städten, die Grenzen von ländlichem und urbanem Raum sind bei ihm fließend. Die Stadtbewohner scheinen vom urbanen Dschungel nahezu verschluckt zu werden, sie verschmelzen mit ihrem Hintergrund, sind lediglich Silhouetten, lauern einander als Schatten auf oder verwischen mit den eigenen Bewegungen.

Zuletzt konnte man den Künstlern der Thiede Werkstätten während des Tags der offenen Ateliers im vergangenen Mai näherkommen. Und nicht nur die historischen Gemäuer sind beeindruckend, auch viele Werke, die vieldimensional und mit Ausdrucksstärke den Zeitgeist widerspiegeln. Jeweils auf ganz unterschiedliche Weise. Einige Arbeiten kommen zaghafter daher, haben weniger Tiefe, eröffnen kaum Spielraum. Sie treten neben den anderen in den Hintergrund. Die Unterschiede innerhalb der Schau sind riesig.

Eine bunte Mischung

Eines der Kunstwerke entsteht erst während der Ausstellung. Wie Weiland thematisiert auch Benjamin Kuran eine Angst. Er hat fünf Rinnen über- und untereinander aufgehängt. In diese tropfen verschiedene Ölfarben, sodass sich nach und nach ein buntes Muster ergibt.

Kuran hat die Installation zum ersten Mal Anfang 2015 aufgebaut, als Reaktion auf Pegida. „Eine gemischte Gesellschaft ist doch viel schöner als eine einfarbige“, sagt er.

Vernissage am Samstag, 30. März 2019, ab 14 Uhr, Thiede Werkstätten, Ahornstrasse 28-32, Ausstellung bis 10. Mai. Besichtigung nach tel. Vereinbarung unter 0151-22951037

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