zum Hauptinhalt

Kultur: Frischer Wind im Labyrinth der Musik Sergio Azzolini mit

der Kammerakademie

Er war ihnen ein Seelenöffner. Und ein Türöffner für bislang weitgehend unerschlossenes Repertoire. Fünf Jahre, von 2002 bis 2007, hat der in Bozen geborene Sergio Azzolini als Fagottist und künstlerischer Leiter der Kammerakademie Potsdam den Musikern die schillernden Welten und schier unendlichen Weiten des Alte-Musik-Universums erschlossen. Inzwischen ist der Professor für Fagott und Kammermusik an der Hochschule für Musik in Basel als Solist und Leiter diverser Ensembles international stark gefragt. Dabei liebt er es, die Werke so mancher mittlerweile in der Versenkung verschwundener Hofkomponisten des 18. Jahrhunderts den Weg aus dem Labyrinth der Vergessenheit zu bahnen. Und so führte er am Samstag in der knapp 16 Grad kühltemperierten Friedenskirche die Musiker und das zahlreich erschienene Publikum durch entdeckungsreiche „Musikalische Labyrinthe“.

Zuerst gibt es die Begegnung mit Johann Wilhelm Hertel, der als „Hof- und Capellcompositeur“ dem Herzog zu Mecklenburg-Schwerin zu Diensten ist. Seine im „empfindsamen Stil“ stehende Sinfonia à 6 in B-Dur überrumpelt die Sinne durch ihren ungewöhnlichen Reichtum an überraschenden Harmonien und Rhythmen, vor allem aber durch die Vielfalt ihrer Klangfarben. Besonders zwei Fagotte sind es, die wirkungsvoll hervortreten und von Sergio Azzolini und Christoph Knitt im perfekten, körperagilen Zusammenspiel zu faszinierender Wirkung gelangen. Gemeinsam mit den anderen Kammerakademisten wird in historisch informierter Weise wie auf dem Sprung musiziert: zügig im Tempo, rhythmisch präzise, herrlich lebendig und voller kammermusikalischer Raffinesse.

In der nächsten Wegnische grüßt der kurfürstlich-sächsische Johann Christian Bach, der als „Londoner“ Bach zu seiner Zeit berühmter ist als sein Vater Johann Sebastian. Er offeriert seine Sinfonia concertante Es-Dur, in der Flöte (Bettina Lange), Oboe (Jan Böttcher) und Fagott (Sergio Azzolini) solistisch hervortreten, um den „galanten Stil“ der vergnüglich anzuhörenden Unterhaltungsmusik mit wettstreitenden Klangfarbenspielen zum Ausdruck zu bringen. Bei dieser reizvollen Konversation klingt manches so, als würde man familiären Disputen zwischen altväterlichem Opa (Fagott), keck replizierendem und stimmdurchdringendem Vater (Oboe) und charmelieblicher Tochter (Flöte) zum Zwecke eines vergnüglichen Zeitvertreibs beiwohnen.

Das nächste Labyrinth hält eine Überraschung bereit, denn Joseph Haydn hätte man hier eigentlich nicht erwartet. Doch das Orgelkonzert Nr. 1 C-Dur seines erst 24-jährigen Schöpfers gehört nicht gerade zu den Rennern aus Haydns umfänglichen uvre und so freut man sich an diesem Rendezvous besonders. Umso mehr, als mit Friedenskirchenkantor Johannes Lang ein Solist am Werk ist, der auf einer klangintimen Truhenorgel – und nicht der Woehl-Orgel – den intimen Charakter des Stückes betont. Es sind durchweg Diskantstimmen, die ein intensives und konzentriertes, extrem dynamisiertes Konzertieren ermöglichen.

Sergio Azzolini hält es bei seinem sitzenden Spardirigat – mit Fußhebeaktionen und zielstrebigen Gesten – kaum auf dem Stuhl. Zwischen den Musikern und dem Organisten entsteht eine transparente, ausdruckintensive Rhetorik, die zwischen temperamentvoller, inniger, kapriziöser und tänzerischer Freude pendelt. Und erneut bläst frischer Wind durch das musikalische Labyrinth, um der 34. Sinfonie Es-Dur von Haydns weithin vergessenem Bruder Michael im akzentuierten und kontrastbetonten Zugriff zu draufgängerischer Wirkung zu verhelfen.

Von dieser Vorgehensweise profitiert auch die Sinfonia concertante Es-Dur von Johann Christian Cannabich, einem der wichtigsten Vertreter der Mannheimer Schule. Sie wächst aus dem Nichts heraus, findet über lyrische Abschnitte zu pompösem Finale, gibt dem Bläsertrio erneut viel virtuosen Spielraum. Danach ist das Labyrinth erfolgreich und beifallsumjubelt durchschritten. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false