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Das Auseinanderklaffen der Lebenssphären. Der Fotograf Marwan Tahtah zeigt Fotos von den Veränderungen seiner Stadt.

© ae-Galerie

Kultur: Freiheit, durchsiebt von Gewehrkugeln

Die ae-Galerie zeigt Fotografie aus Beirut

Beirut ist noch immer eine zerstörte Stadt. Die 15 Jahre des Bürgerkriegs, der 1990 endete, haben tiefe Spuren im Bild der Metropole hinterlassen. Auch nach jahrelanger Bautätigkeit sind die Verwüstungen noch lange nicht beseitigt. Wie sich die Metropole im Nahen Osten, die früher als das Paris der Region galt, heute darstellt, zeigen bis zum 9. März Fotografien in der ae-Galerie.

Mit den Bildern der wieder erwachenden Großstadt setzt die Galeristin Angelika Euchner ihre Reihe von Ausstellungen fort, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigt. Wie bei den vorherigen Städteportraits, unter anderem aus Istanbul, hat die Galeristin auch Beirut besucht. Zweimal im vergangenen Jahr, zuletzt im Winter für eine Woche. Dort lebt auch der Fotograf Marwan Tahtah, der zunächst Architektur studiert hat, nun als freier Fotograf für verschiedene Zeitungen arbeitet und zur Ausstellungseröffnung nach Potsdam gekommen ist. Seine Fotos zeigen die Veränderungen der Stadt und das gegenwärtige Auseinanderklaffen der Lebenssphären.

Immer noch gibt es zahlreiche Flüchtlingscamps und Slums. Viele leben in Notbehelfen und Zelten, die von Flüchtlingsorganisationen gestellt werden. Aber die Not macht erfinderisch, auch hier: Verstärkt werden die Zelte mit den Planen von abgebauten Werbewänden. So prangen in den Elendsquartieren die Werbungen von Boss, Gucci und Ermenegildo Zegna. Waren werden angepriesen, die sich die Bewohner der Zelte nicht so bald werden leisten können. Der Wiederaufbau der schwer vom Krieg gezeichneten Stadt lässt die Kontroversen innerhalb der Bevölkerung zutage treten.

„Solidere“ ist der Name des Aufbauprogramm und Immobilienkonzerns, der derzeit alte Stadtstrukturen umgekrempelt. „Da gibt es viel Prostest, denn die internationalen Architekten, die da eingeladen werden, nehmen häufig keine Rücksicht auf die gewachsenen Strukturen der Quartiere“, hat Angelika Euchner erfahren. Die historische Struktur Beiruts, die auf einigen der gezeigten Fotografien zu sehen ist, verschwindet zugunsten von gesichtslosen Neubauten. Dagegen wehren sich Bürgerinitiativen, die aber nicht am Bauprozess beteiligt werden. Nicht alles, was neu gebaut wird, sei schlecht, aber die Rücksichtslosigkeit der Stadtverwaltung provoziere viel Widerspruch, so Euchner.

Von Taxifahrern hat die Kunstwissenschaftlerin sich in die Außenbezirke der Stadt fahren lassen, die ein Tourist in der Regel nicht sieht. Hier hat sie selber fotografiert: Hochspannungskabel, die zu Hunderten lose und offen in der Luft und an den Gebäuden hängen, Märkte, Straßenszenen. Auch Lkw, die über und über mit Blechfässern vollgeladen sind und lebensgefährlich bepackt durch die Stadt kutschieren.

Auch die Potsdamer Fotografin K. T. Blumberg hat unmittelbar in der Stadt für ihre Fotos recherchiert. Eindrucksvolle Bilder gelingen ihr einerseits dadurch, dass sie ein sehr waches Auge hat, andererseits durch die geschickte Wahl des Ausschnitts und der Zusammenstellung der Bilder. Eines ihrer Fotos zeigt ein monumentales Figurenpaar, das mutmaßlich die Freiheit signalisieren soll. Die Bronzefiguren sind durchsiebt von zahlreichen Gewehrkugeln. Dann wiederum ist zu erkennen, dass auch heute noch Barrikaden mit Sandsäcken notwendig sind, um die Bevölkerung vor der wohl anhaltenden virulenten Gewalt zu schützen.

Eine andere Art der Fotografie betreibt das Künstlerkollektiv „Jungleys“. Es hat nach Beirut geflüchtete Syrer aus den Slums bei einem Workshop aufgefordert, den eigenen Alltag mit der Kamera zu dokumentieren. „Das hat den Bewohnern geholfen, eine Distanz zu der eigenen Situation herzustellen“, bemerkt Euchner. So werde der Blick auf neue Perspektiven zum Stadtaufbau gelenkt. Bis aus Beirut wieder eine normale Stadt geworden ist, werde es noch dauern. Richard Rabensaat

„Beirut“, bis 9. März in der ae-Galerie, Charlottenstraße 13, mittwochs bis freitags 15 bis 19 Uhr, samstags 12 bis 16 Uhr

Richard Rabensaat

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