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Der eine lacht aus Freude, die anderen aus Schadensfreude. Rob Wyn Jones (M.) als Hans im Glück mit zwei Kaufleuten und dem Karussellweib (Margarete Biereye).

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Kultur: Fragen nach dem Glück

Das Wandertheater Ton und Kirschen bringt Brechts „Hans im Glück“ auf die Bühne der „fabrik“

Auf die Frage nach dem Glück schließt Margarete Biereye die Augen und überlegt. Es dauert eine Weile, bis die künstlerische Leiterin des Freien Theaters Ton und Kirschen antwortet. Glück bedeutet für sie, in der Gruppe, mit der sie seit 21 Jahren lebt und arbeitet, immer wieder einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und so ist es auch Glück, dass sie in diesem Sommer „Hans im Glück“ zur Aufführung brachten. Diese Inszenierung mit Live-Musik und Marionetten, die auf einer Brecht-Adaption des Grimmschen Märchenstoffes beruht, wird nun in der „fabrik“ zu sehen sein.

Dort auf der Bühne, auf der sonst moderner Tanz zur Aufführung kommt, proben die Ensemblemitglieder seit Tagen. Ein dunkelbrauner Caravan-Wohnwagen ist neben einem breiten verwitterten Tor aufgebaut. Der kleine Wohnwagen ist das mobile Heim des Haupthelden (Rob Wyn Jones), der in der Geschichte Haus und Hof verlässt, um seiner Sehnsucht zu folgen. Das graue Tor, das durch drehbare Wellblechteile immer wieder den Blick auf das Dahinter, auf Details und Symbole freigeben wird, bleibt während er neunzigminütigen Aufführung an seinem Ort.

Margarete Biereye hat die Frage nach dem Glück noch längst nicht losgelassen und sie findet immer weitere Beispiele dafür. „Dass sie als freie Theatergruppe unterstützt werden“, empfindet sie als großes Glück. Und der 1945 auf Fehmarn geborenen Schauspielerin und Regisseurin fällt bei ihrer sehr persönlichen Reflexion auf, dass sie eigentlich immer Förderung auf ihrem künstlerischen Weg erfahren hat. Die facettenreiche Vielfalt, mit der sie selbst das Karussellweib und die Magd im aktuellen Stück verkörpert, speist sich also aus vielen Quellen. Biereye, die mit ihren fast sieben Jahrzehnten Lebenserfahrung so erfahren und mädchenhaft zugleich wirkt, beschreibt mit leuchtenden Augen, wie produktiv das Leben der Drei-Generationen-Wandertheatergruppe für alle ist.

Und als sie im vergangenen Jahr in Frankreich waren, fiel ihnen der Brecht-Text wie ein Geschenk in den Schoß. Auf die Frage, was sie denn als Nächstes machen wollen, gab ihnen der Dramaturg einer befreundeten Company den entscheidenden Tipp. In Frankreich war das Brecht-Fragment sogar im Buchladen zu haben. Seitdem hat die Regisseurin Brecht für sich neu entdeckt. Besonders die Gedichte und eben „Hans im Glück“ haben es ihr angetan. Die Szenenfolge, die Brecht mit 21 Jahren schrieb und selbst als misslungen empfand, entstand zur gleichen Zeit wie der „Baal“. Und während Letzterer seitdem Erfolge feierte, ist dem „Hans“ die Schublade vorbehalten gewesen. Sehr zu Unrecht, wie Margarete Biereye findet, die von der poetischen Vieldeutigkeit der Vorlage angetan ist.

Die Brechtsche Szenenfolge erzählt eine ähnliche Geschichte wie die Urfassung. Doch der Dichter hat neben der Figur des Hans nur die Gans beibehalten und die Geschichte um Geben und Nehmen, Gewinn und Verlust, Sein oder Haben seiner Zeit gemäß interpretiert. Zu Beginn wird der Hans in einer Zweckehe mit Hanne verheiratet. Das geht nicht lange gut und die Frau verlässt mit einem anderen Haus und Hof und Hans. Dem schwatzen bald reisende Kaufleute Haus und Hof ab und ihren Caravan auf. Mit diesem zieht Hans, der auch noch von seinem besten Freund betrogen wurde, in die weite Welt. Hier verguckt er sich in ein Karussell und muss die Frau, der es gehört, dazu mit in Kauf nehmen. Doch auf dem Jahrmarkt trifft er bald Hanne, seine nun schwangere Frau wieder.

Wie dieser Reigen endet und was diesem „Hans im Glück“ am Ende bleibt, wird am Freitagabend zum ersten Mal in diesem Jahr nicht unter freiem Himmel zu erleben sein. Man darf sich überraschen lassen, wie die Theatergruppe diesen poetisch-melancholischen Reigen, der wie gemacht für Freiluftaufführungen ist, in einem festen Haus spielen wird.

Bei den Vorbereitungen in der „fabrik“ packt auch der Darsteller des Hans mit an und nach seiner Lieblingsszene befragt, zitiert Rob Wyn Jones: „Es ist eine schöne Sonne hier und darum spüre ich nicht, dass ich Hunger habe. Auch das Tier macht mir Freude. Besonders, wenn man es mit den goldenen Blättern hier zusammennimmt. Ich habe immer Gänse gehabt früher. Aber so schön waren sie niemals. Die Federn sind ganz weich und sie so dick und fidel. Ich gebe sie nie her. Wenn ich nur auch so Gras fressen könnte wie sie.“ Genau an dieser Stelle, so Margarete Biereye, wird sehr deutlich, wie nahe Gewinn und Verlust für Hans – und uns alle – beieinanderliegen.

„Hans im Glück“ ist am 18. und 19. Oktober sowie am 25. und 26. Oktober jeweils um 20 Uhr, am 20. und 27. Oktober, jeweils um 16 Uhr in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse zu sehen

Astrid Priebs-Tröger

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