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Franziska Melzer als Smilla Jaspersen.

© Thomas M. Jauk

"Fräulein Smillas Gespür für Schnee" am Hans Otto Theater Potsdam: Die atemlose Eisbärin im Käfig

Atemlos und distanziert: „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ feierte in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere und brachte viel Schwere mit.

Potsdam - Statt Schnee gibt es kaltes Neonlicht. Im dicken Pelzmantel und auf hohen Hacken betritt Smilla die karg ausgestattete Bühne mit den weißen Möbeln im Hintergrund. Erschöpft ringt sie nach Luft, die Worte fallen wie Eiskristalle aus ihrem Mund. Frostig, kantig. Sie schmelzen, noch ehe sie den Verstand der Zuschauer erreichen. Atemlosigkeit durchzieht den Premierenabend von "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" am Freitag, 22. Februar in der Reithalle des Hans Otto Theaters. Wie ein Schneesturm fegt Franziska Melzer als Smilla durch den Text. Kaum ein Innehalten. Das Erspüren der Dinge unter dem verharschten Schnee bleibt äußerlich.

Wer den Roman von Peter Hoeg nicht kennt und auch den Film von 1997 nicht gesehen hat, wird in dieser Inszenierung von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ schnell selbst atemlos. Franziska Melzers vorgelegtes Tempo hält den Zuschauer über weite Strecken auf Distanz, macht aus dem schwergewichtigen Stoff eine bleierne Masse. In den wenigen leisen Momenten schmilzt zaghaft das Eis. Von diesen Augenblicken wünscht man sich während des 70-minütigen Gedankenkarussells durchaus mehr. 

Smilla und Jesaja finden sich im Schnee.
Smilla und Jesaja finden sich im Schnee.

© Thomas M. Jauk

Eine ungewöhnliche Freundschaft

Es berührt, wenn sich Smilla in die mit weißer Kreide aufgemalte Hülle des toten Jungen Jesaja legt. Wie eine Schnecke rollt sie sich ein, verschmilzt mit dem Umriss der entsorgten Kinderleiche. Vom Dach des Hauses soll er gestürzt sein, ihr Nachbarjunge, der so gern zu ihr auf die Couch kam, dem sie vorlas, aus „Euklids Elemente“. Sie hätte ihm ebenso gut aus dem Telefonbuch vorlesen können. Er hörte ihr zu, war froh, der Schnapsfahne seiner Mutter zu entkommen. Und Smilla freute sich, wenn sie mit ihm Hopse spielen konnte, das Spiel ihrer Kindheit. Smilla gehört wie Jesaja zur Minderheit der Inuit, lebt fern von der grönländischen Heimat. In Kopenhagen sind sie gestrandet: fremd, ausgegrenzt, wie Eisbären im Käfig. Nun liegt Jesaja im Leichenhaus. 

Smilla zweifelt an einem Unfall. Jesaja hatte Höhenangst, nie wäre er freiwillig auf das Hochhaus gestiegen. Sie beginnt zu fragen, zu hinterfragen: immer mehr auch ihr eigenes Leben. Wie ist sie zu dieser Einzelgängerin geworden, die jede Nähe, jede Zärtlichkeit abwehrt, die nur in Zahlen, Schnee und Eis glücklich ist. Wie die Schneekönigin – nur ohne Reich.

Smilla ist klug, aber distanziert

Smilla verbrachte ihre Kindheit in der Weite und Kälte Grönlands: bei der Mutter, einer Robbenfängerin. „Meine Mutter küsst mich nie und fasst mich nur selten an. Doch in Augenblicken großer Vertrautheit lässt sie mich die Milch trinken, die immer noch da ist“, erinnert sich Smilla und schafft es, zu lächeln. Als die Mutter bei einem Unfall stirbt, kommt das Mädchen zum Vater nach Kopenhagen. 

Ein kurzer Augenblick der Leidenschaft zwischen Smilla und ihrem Nachbarn.
Ein kurzer Augenblick der Leidenschaft zwischen Smilla und ihrem Nachbarn.

© Thomas M. Jauk

Klug ist sie, könnte Karriere machen. Schließlich ist ihr Vater Däne, sie nur eine Halb-Inuit. Doch Smilla fühlt sich entwurzelt, eckt an, beklagt die Verhältnisse, in denen Grönländer Menschen zweiter Klasse sind. Sie wird von Männern wie Freiwild begrabscht. Anderen stößt sie vor den Kopf. Für Smilla ist Verliebtheit eine Art Irrsinn. Eng verwandt mit Hass, mit Kälte und Rausch. Und doch kommt es zu einer Annäherung, ja zu leidenschaftlichem Sex mit dem Mechaniker, dem Typ von nebenan. Für einen Augenblick. Ein kurzes Fallenlassen. 

Jan Hallmann überzeugt in seinen Rollen

Dieser leicht stotternde, jungenhafte Mann ist eine von sieben Rollen, in die Jan Hallmann schlüpft. Im schnellen Wechsel. Es gelingt ihm auch in kurzer Zeit, Charaktere anzudeuten. Schlichte Accessoires reichen aus, um die Figuren zu unterscheiden. Sein zugkräftiges Spiel mäandert zwischen dem skrupellosen Karrieristen Professor Loyen, der das Institut für Arktische Medizin leitet, dem oberflächlichen Kommissar, der den Fall Jesaja zu den Akten legt, oder dem hilflosen Vater von Smilla, der vergebens auf eine Nähe zu seiner Tochter hofft. Enttäuscht stopft er den mit Puderzucker bestreuten Napfkuchen in sich hinein, den Smilla ihm zum Geburtstag mitgebracht hat. Doch sie kam nur, weil sie ihn als Arzt für ihre Ermittlungen benötigt. 

Jan Hallmann als schmieriger Kommissar.
Jan Hallmann als schmieriger Kommissar.

© Thomas M. Jauk

Auch in die Frauenrolle von Else Lübing, der ehemaligen Buchhalterin der Kryolithgesellschaft Dänemarks, die in zweifelhafte Forschungen verstrickt ist, weiß sich Jan Hallmann flugs einzufühlen: im hellblauen Morgenmantel, ohne aufgesetzte Attitüden. Und immer wieder kommt auch Jesaja mit ins Spiel, sehr lebendig verbindet er Gestern und Heute, ist das Licht im undurchdringlichen Gestrüpp der Gefühlsverkrustungen. Felipe Bustamente Villacis hopst auflockernd durch die Textfülle, ist mit seinen pausbäckig-kindlichen Einwürfen erfrischend wie der erste Schnee. „Smilla, fahren wir zusammen nach Grönland?“, fragt er immer wieder. Und weiß doch schon die Antwort. 

Eine klug konstruierte Bühne

Die Bühnenfassung von Armin Petras und Juliane Koepp verdichtet, konzentriert sich auf Themen wie Fremdenhass, Ausgrenzung, verlorene Identität, Machtmissbrauch, sozialer Abstieg. Der jungen Regisseurin Caro Thum gelingt es ansatzweise, ihn szenisch aufzubrechen, bildkräftig werden zu lassen. So wenn der Golf spielende Vater von Smilla einsam seine Bälle schlägt, die wie Schnee auseinander stieben. 

Die Bühne von Daina Kasperowitsch.
Die Bühne von Daina Kasperowitsch.

© Thomas M. Jauk

Die Bühne von Daina Kasperowitsch versucht klugerweise erst gar nicht, die weite Schneelandschaft des Buches zu adaptieren. Sie setzt eine Kapsel auf die Bühne, wie eine Forschungsstation. Sie ist Leichenhalle, Wohnzimmer, Kinderzimmer, Schlafsaal für den letzten kalten Schlaf. Am Ende fällt das Neonlicht herab wie dunkle Schatten. 

Und Smilla steht barfuß in ihrem Pelzmantel - auf zerpflückten roten Blütenblättern, auf einem Scherbenhaufen: „Es heißt, dass man verstehen muss, um abschließen zu können. Das ist ein Irrtum. Nur, was man nicht versteht, kann man abschließen. Verstehen wollen heißt, dass wir etwas zurück zu erobern versuchen, was wir verloren haben.“ Schwere Gedanken bis zum eisigen Ende.

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