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Ausgetrickst. Pablo Picasso war zu lebhaft für das Bild, da versuchte es Vaccaro mit einem Kunstgriff.

© Tony Vaccaro, 1958

Fotograf Tony Vaccaro in der Villa Schöningen: Ein New Yorker in Potsdam

Foto-Legende Tony Vaccaro hat am Wochenende seine Ausstellung in der Villa Schöningen besucht. Dabei hatte auch ein Dokumentarfilm über Leben und Werk des heute 95-Jährigen Premiere.

Von Helena Davenport

Wenn Tony Vaccaro spricht, blickt er sein Gegenüber mit seinen lebhaften braunen Augen direkt an. Er spricht langsam, wählt seine Worte mit Sorgfalt. Lässt man den Blickkontakt auch nur für einen kurzen Moment abreißen, wartet er geduldig, spricht erst weiter, wenn die ungeteilte Zweisamkeit wiederhergestellt ist. Ein kurzes Gespräch mit dem 95-jährigen Fotografen genügt, um zu verstehen, wie er so vielen so unterschiedlichen Persönlichkeiten, ob nun Frank Lloyd Wright, Marcel Marceau, John F. Kennedy oder Maria Callas, so nah kommen konnte. Er lässt sich auf sein Gegenüber ein – und zwar voll und ganz. Und so schafft er es, dass man als Betrachter seiner Bilder das Gefühl hat, selbst den Großen und Berühmten auf vertrauter Ebene zu begegnen.

Am Wochenende war der New Yorker in Potsdam, um der derzeit laufenden Ausstellung seiner Werke in der Villa Schöningen einen Besuch abzustatten, und um bei der Premiere des Films „Ein Leben für den Augenblick – Die Bilder des Fotografen Tony Vaccaro“ dabei zu sein. Die Dokumentation über die verschiedenen Werkphasen Vaccaros von dem Berliner Produzenten- und Regie-Duo Daniel und Jürgen Ast lief am Sonntag im Rahmen eines Sommerfests in der Villa Schöningen und später am Abend im rbb Fernsehen.

Das Kriegsgrauen so genau wie möglich abbilden

„Ich bin so froh, dass ich Fotograf geworden bin“, sagt Vaccaro zu Beginn des Films. Seine Karriere begann während des Zweiten Weltkriegs: Er wurde von der US-Army eingezogen, seine Kamera durfte er aber mitnehmen. Auf seinen Schwarzweißbildern hält er den Krieg fest – so exakt wie möglich wollte er das Grauen abbilden, kommentiert er im Film. Zu der Zeit ist er 21 Jahre alt. Später dokumentiert er für „The Stars and Stripes“, die Zeitung der US-Army, die Umbrüche im Nachkriegsdeutschland. Bevor er in den 1950er Jahren in die Staaten zurückkehrt, um dort als Fashion- und Porträtfotograf für Zeitschriften wie „Flair“, „Look“ oder „Life“ zu arbeiten. „Ich wollte die Menschheit erfahren und diesen Ball abbilden, der um die Sonne kreist und sich Erde nennt“, sagte er am Samstag. Er habe sehen wollen, wie Kultur wächst und sich weiterentwickelt – und genau deswegen habe er mit dem Fotografieren begonnen.

Im Film sieht man Vaccaro zunächst in seinem New Yorker Atelier. In einer Hand hält er eine Lupe, mit der er sich Negative anschaut. Von einem noch nicht entwickelten Film, den er aus seiner Kamera nimmt, zieht er eine Parallele zum Universum. Auf dem Film könne man zwar noch nichts sehen, aber dieser enthalte ein latentes Bild. Und so glaube er auch an eine latente Erkenntnis, nach der die Menschen noch greifen müssen.

„Es war für mich die traumatisierendste Erfahrung meines Lebens, als ich mit meinem Gewehr nicht auf eine Zielscheibe wie in meiner Ausbildung zielte, sondern auf den Kopf eines Menschen“, sagt Vaccaro in dem Film. Einmal findet er eine deutsche Frau. Sie liegt auf dem Rücken, ihre Unterwäsche ist zerrissen und in ihrem Unterleib steckt ein Messer. Vaccaro zieht das Messer heraus, deckt sie zu und lichtet sie ab. Da sieht er einen GI hinter sich stehen, der ihn fragt: Was ist denn los? Grausamkeit ist hier Normalität.

Eine neue Bildsprache für Jackson Pollock, Grace Kelly oder den Schah

Ein anderes Mal geht ein Deutscher vor seinen Augen in Flammen auf. Er habe seine Kamera gezückt, aber dann gezögert, erzählte er am Samstag. Warum sollte ich einen deutschen Soldaten fotografieren, habe er sich gefragt. „Doch dann dachte ich: Du bist nichts, wenn du nicht diesen Mann fotografierst.“ Fragt man Vaccaro nach dem Foto, das für ihn am schwersten zu bekommen war, nennt er nicht etwa eine Fotografie von einem Star oder einem Politiker, sondern ebendiese: „Ich hatte Tränen in den Augen und habe sie noch immer, wenn ich daran denke.“

Tony Vaccaro besucht Jackson Pollock, Peggy Guggenheim, Grace Kelly, Georgia O’ Keeffe oder den persischen Schah. Und immer wieder erfindet er eine neue Bildsprache für seine Protagonisten. Sobald er einen Auftrag bekam, habe er angefangen, darüber nachzudenken, was er schon alles gemacht hat, erklärt er seine Arbeitsweise im Film. Was kann ich noch anders machen, habe er sich immer wieder gefragt – „Wenn du dich fragst, gibt dir der Verstand auch die Antwort.“

Frank Lloyd Wright etwa, der bekannte Architekt, sei beim Fototermin zunächst steif gewesen. Dann habe er mit ihm ein Gespräch über seine Häuser angefangen, erzählt Vaccaro. Und als Wright schließlich die Arme ausbreitete, um ein Dach zu beschreiben, habe er abgedrückt. Pablo Picasso hingegen sei zu lebhaft gewesen. Dieser habe so wild posiert, dass der Fotograf ihm irgendwann sagte: Stop, die Kamera ist kaputt. Da endlich habe sich der Maler entspannt und Vaccaro konnte abdrücken. „Ich habe die Menschen ausgetrickst, auch die, die sonst keine Miene verzogen haben", sagt Vaccaro im Film.

"Mussolini, Hitler – sie alle sind beschämend für die Menschheit"

Auch Sophia Loren hat der Amerikaner, der italienische Wurzeln hat, porträtiert. Beide hatten einen Termin bei Vaccaro zuhause und die Schauspielerin kam zu früh. Er habe noch unter der Dusche gestanden, als sie klingelte, erzählt er im Film. Er wickelte schnell ein Handtuch um sich und als er die Tür aufmachte, habe Loren gesagt: Tony Vaccaro, immer bereit!

Ein Foto, dass ihm besonders gefällt, ist der „Kuss der Befreiung“, entstanden 1944 in Frankreich, sagte Vaccaro am Samstag. Ein Soldat küsst ein kleines Mädchen, der Krieg ist hier vorbei. „Menschen sollten frei sein“, findet er, „Mussolini, Hitler – sie alle sind beschämend für die Menschheit.“ Er habe das Gefühl, dass Deutschland seine Ordnung und Schönheit zurückgewinnen konnte. Deutschland sei eines der größten Länder: „Es gibt natürlich größere, aber die hätten nicht so viel zu verbessern gehabt.“ Wen er jetzt gern fotografieren würde? Diejenigen, die er fotografieren musste, habe er bereits fotografiert, Picasso etwa, sagte Vaccaro: „Ich habe die besten Menschen fotografiert.“

„A Life for Moments“, Tony Vaccaro, Villa Schöningen, bis 9. September

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