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Herzlich Willkommen, Schätzchen! Rock’n’Roll-Legende Lemmy Kilmister als freundlicher Gastgeber.

©  Christoph Voy

FOTOAUSSTELLUNG: Mit gewissem Faustschlagcharakter

Christoph Voys Porträtfotografien sind ab Donnerstag in der Ausstellungsreihe „Red Wall“ zu sehen.

Diese Bilder springen einen an, packen und ziehen mitten hinein in das, was da gerade passiert. Abstand ist hier nicht möglich. Wer sich auf die Fotografien von Christoph Voy einlässt, wird zum Komplizen, zum Teilhaber. Da ist das Bild von Beth Ditto, Sängerin der Band The Gossip. Sie sitzt da in ihrem verschwitzten Kleid, ist vielleicht gerade von der Bühne gekommen. Zwischen ihren Schenkeln hält sie ein schwarzes Smartphone, auf dessen Display ein voller, leicht geöffneter, kirschroter Mund zu sehen ist. Typische Porno-Pose. Beth Dittos Gesichtsausdruck verrät nichts. Aber wer dieses selbstbewusste Energiebündel einmal auf der Bühne erleben durfte, kann sich sicher sein, dass sie hier einen tiefgründigen, doppelbödigen und entlarvenden Scherz treibt. Einen derben Scherz mit Geschlechterrollen und sexuellen Klischees. Äußerst provokant und äußerst grandios. Und Christoph Voy ist ganz dicht dran. Man spürt förmlich die Hitze, hört das Treiben hinter der Bühne. Und fast, ja fast kann man auch den Schweiß von Beth Ditto riechen.

„My Life With The Thrill Kill Kult“ ist der Titel der Ausstellung mit Fotografien von Christoph Voy, darunter auch das Bild von Beth Ditto, die am morgigen Donnerstag in der Reihe „Red Wall“ eröffnet wird. Es ist ein Querschnitt durch das reiche Spektrum von Musik-, Reportage- und Modefotografien, das Christoph Voys Arbeit als freier Fotograf seit 2003 umfasst. Ob für das Vice Magazin, ob für den Rolling Stone, Spex oder Monopol, die Bilder von Voy sind mittlerweile zu einer Art Markenzeichen nicht nur für Zeitschriften geworden. Es ist ihr Ausdruck von Spontanität und Direktheit, der sie so besonders macht. Momentaufnahmen mit diesem gewissen Faustschlagcharakter.

Für viele Auftraggeber sei diese Spontanität gerade der Grund, warum sie ihn buchen, sagt Christoph Voy. Er lacht dabei ein wenig. Nicht überheblich, eher ein wenig amüsiert, weil dieses Spontane im Grunde auch Teil seiner Arbeitsweise ist. Hinkommen, fünf Minuten Zeit, Bilder machen und weg. Das ist im Grunde das ideale Setting für den 40-Jährigen. Und er begreift sich immer auch als Teil des Bildes. Nicht der nur beobachtende Reporter, dessen Anwesenheit auf keinen Fall Einfluss auf das Geschehen haben soll. Ganz im Gegenteil. Christoph Voy taucht mit ein, wird Teil des Ganzen und provoziert, auf ganz freundliche und altmodische Art, seine Motive, in denen dann trotz der scheinbaren Oberflächlichkeit so viel mitschwingt. Wie bei seinem Porträt von Lemmy Kilmister.

Auf einem Festival in Berlin begegnete er dem Sänger und Bassisten der Kultband Motörhead. „Ich habe ihn gefragt, ob ich ein Foto machen kann. Und ich habe ihn nicht darum gebeten, dass er mir den Mittelfinger zeigen soll. Dafür habe ich viel zu viel Respekt vor dem Mann“, erzählt Voy. Lemmy Kilmister war einfach spontan. Seine linke Hand macht die Bad-Boy-Rock’n’Roll-Geste. Sein Gesicht aber hat was freundlich Kumpelhaftes. Und es ist das Scherzhafte in dieser Gegensätzlichkeit, was dem alten Haudegen Kilmister in diesem Foto so viel Wärme verleiht.

Ob nun das provokante Bild mit Beth Ditto oder dieses Porträt von Lemmy Kilmister, ob Rapper Caspar mit Bier in der Hand auf einem schaurigen Jugendherbergsbett, Altplayboy Rolf Eden in dem für ihn so typisch weißen Anzug und mit Pokal in der Hand oder die genussvoll rauchende Schauspielerin Sophie Rois, von Voys Fotografien geht eine Vertrautheit aus, die irritiert. Eine Vertrautheit, die als etwas Bewusstes gar nicht existieren kann. „Mir geht es nicht darum herauszufinden, wie mein Gegenüber tickt“, sagt Voy. Er hat nie den Anspruch, dass zwischen Fotograf und dem Porträtierten eine Vertrautheit entsteht. „Ob nun nur fünf Minuten, eine Stunde oder ein ganzer Tag, das ist einfach nicht möglich.“ Christoph Voy bleibt bewusst an der Oberfläche, er sucht nicht nach einer tiefen Geschichte. Er lässt sich treiben, mitnehmen und macht die Bilder, die ihn interessieren. Aber gerade durch diese bewusste Oberflächlichkeit bekommen seine Bilder eine Tiefe und Bedeutung.

Vielleicht lässt sich das mit Gespür für den richtigen Moment umschreiben, vielleicht auch etwas hochtrabend mit Gabe. Doch solche Einordnungen spielen für Christoph Voy keine Rolle. Er geht da raus und macht seine Bilder. So lange bis er merkt, dass sein Gegenüber sich verstellt. So einfach ist das. Und schaut man seine Bilder ganz genau an, dann ist das wirklich so einfach. Einfach und direkt.

Er sei einfach nur offen, sagt Voy. „Durch die eigenen Ansichten ist man schon so stark begrenzt.“ Was da draußen in der Welt vor sich geht, schlage das alles um Längen. Man müsse sich nur darauf einlassen. Hinzu kommt bei Christoph Voy, dass er als Kind oft umziehen musste. „Neue Orte, neue Menschen, ich musste mich immer schnell zurechtfinden.“ Das hat er mit den Jahren gelernt. Und vielleicht hilft ihm auch das, wenn er heute seine Porträts macht.

Was für ihn genau den Ausschlag gab, sich so der Fotografie hinzugeben, kann Christoph Voy nicht mehr sagen. Sein Vater habe viel fotografiert. Und als Kind haben ihn die Dunkelkammer und das Entwickeln von Bildern stark fasziniert. Selbst hat er damals viel gezeichnet, vor allem Comics. Voy hat dann Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie in Berlin studiert und nach seinem Abschluss in einer Werbeagentur gearbeitet. Ein halbes Jahr lang 14-Stunden-Tage in der Agentur, danach zog es ihn nur noch raus in die Stadt. Dorthin, wo die Menschen feiern und den Alltag vergessen.

„Hab mich die letzten zehn Jahre durch sehr viel Party und Rock’n’Roll fotografiert, bis ich merkte, das Fotografieren mir das Wichtige dran war. Jetzt pack ich das alles auf Film, Speicherkarten oder Polaroids“, schreibt Christoph Voy über seine Arbeit. An dieser Stelle bleibt da nur noch zu sagen: Mach bloß weiter so!

Die Ausstellung „My Life With The Thrill Kill Kult“ mit Bildern von Christoph Voy in der Reihe „Red Wall“ wird am morgigen Donnerstag, 19 Uhr, im Waschhaus, Schiffbauergasse, eröffnet. Der Eintritt ist frei

Dirk Becker

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