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Der Fotograf Michael Lüder zeigt Potsdamer Männer, etwa den Kanuten Sebastian Brendel, Ulf Schüler zeigt Plastiken.

© Andreas Klaer

Foto-Ausstellung im Kunsthaus sans titre: Atlas und sein inneres Kind

Gibt es ihn, den Potsdamer Mann? Wenn ja, wie sieht er aus? Der Potsdamer Fotograf Michael Lüder und der Bildhauer Ulf Schüler begeben sich in der Ausstellung „sans femmes“ im Kunsthaus sans titre auf die Suche. 

Wer unter dem Titel „sans femmes“ (ohne Frauen) eine Schau von testosteronüberbordender Männlichkeit befürchtet, der wird beim Betreten der aktuellen Ausstellung im sans titre erst einmal schlucken müssen: Ja, genau so geht das hier los. Direkt dem Eingang gegenüber macht sich ein vor Kraft nur so strotzender Herkules breit, im Wortsinn: Auf einem Querformat von über zwei Metern streckt hier der Potsdamer Kanute Sebastian Brendel die Pranken aus. Dreifacher Gewinner von Olympiagold. Sein Paddel hat er geschultert, die Bizeps wölben sich beachtlich, die Medaillen hängen ihm um den Hals. Alle drei auf einmal.

Hier ist er, der Urtyp des Jägers und Sammlers, nebst Trophäen. Vor der Wildnis hat so einer keine Angst, davon erzählt der direkte Blick in die Kamera. Wenn ihn überhaupt etwas plagt, dann vielleicht das viele Gold, das scheint ein bisschen schwer zu wiegen. Auf einem zweiten Bild ist Brendel zu sehen, wie er die Medaillen am Band packt, den Blick nachdenklich nach unten gerichtet, auf seine Bürde. Die Welt trägt dieser Atlas nicht auf den Schultern, er trägt sie um den Hals. Nehmen wir einen Augenblick an, es gäbe ihn, „den Potsdamer Mann“. Sähe er so aus?

Die Schau soll keine „Straße der Besten“ sein

Sebastian Brendel ist nur einer von gut 50 Männern, die der Potsdamer Fotograf Michael Lüder für die Ausstellung, die im Untertitel „potsdammaenner“ heißt, porträtiert hat. Er hängt hier neben Kunsthistorikern, Malern, Schauspielern, Buchhändlern und Musikern. Dass er und das Mannesbild, das er verkörpert, es dennoch zum Coverboy von „sans femmes“ geschafft hat, ist daher doch erstaunlich. Umso mehr, als dies hier ausdrücklich keine „Straße der Besten“ sein soll, wie Susanne K. Fienhold Sheen betont. Die Stadtführerin hat die Ausstellung des Fördervereins vom Potsdam Museum kuratiert. Die Idee für die Schau kam von dort, initiiert hat sie der Fördervereinsvorsitzende Markus Wicke. „Sport und Kultur gehören in Potsdam zusammen“, sagt er in Hinblick auf den großen Brendel und den Ort, an dem er jetzt zu sehen ist.

Tatsächlich hängen hier Bekannte neben Unbekannten, ungeordnet und unbetitelt. Wer wissen will, wer auf den Fotos zu sehen ist, kann sich eine Namensliste geben lassen. Der stadtbekannte Schauspieler René Schwittay sucht den direkten Augenkontakt. Weiterhin sind da der Buchhändler Carsten Wist mit forschem Schulterblick im Halbprofil, der ehemalige Inselgärtner Jörg Näthe, von Blumen geradezu verschluckt. Tobias Wellemeyer, fotografiert kurz vor dem Ende seiner Intendanz am Hans Otto Theater, steht etwas verloren im Raum, als sei er schon nicht mehr richtig da. Aber auch Marcel Pilz ist dabei, ein Sozialarbeiter im ärmellosen Shirt. Auch ein Obdachloser, ein Landwirt, ein Steinmetz, ein Sportstudent.

Die Ausstellung lebt vom Dialog zwischen Fotos und Plastiken

Die Bilder stammen aus der Zeit von 2006 bis 2018, viele von den kunstferneren Protagonisten wurden in jüngster Zeit fotografiert. Als sich Kuratorin Susanne K. Fienhold Sheen in Vorbereitung auf die Schau durch Lüders Archiv blätterte, waren ihr da „zu viele Intellektuelle“, sie bat Lüder darum, sein Spektrum zu erweitern. Und in der Tat lebt die Ausstellung von diesem Nebeneinander verschiedener Berufe, verschiedener Lebensalter. Gerade die greisen Gesichter berühren.

Und die Ausstellung lebt vom Dialog zwischen den Fotografien Lüders und den Skulpturen von Ulf Schüler. Lüders Fotos dokumentieren, Schülers Holzskulpturen kommentieren. Lüders Fotos scheinen, siehe Brendel, teilweise an der ansehnlichen Oberfläche ihrer Objekte abzuperlen. Die Erschöpfung, die noch in jedem Herkules, jedem Atlas steckt, wenn man nur genau genug hinsieht, scheint Lüder nicht wirklich zu interessieren. Der Geltower Bildhauer Ulf Schüler hingegen kriecht den Männern, die er darstellt – oder dem Mann schlechthin? – unter die Schädeldecke. Er zeigt keine Porträts, sondern Zustände. Bei Lüder haben Männer viele Gesichter. Bei Schüler ist die Männlichkeit selbst das Vielgesichtige.

Ulf Schüler bringt Ambivalenz und Abgründigkeit mit ein 

Neben dem großen Brendel zum Beispiel steht die kleine Skulptur „Der Flieger“, mit Acryl bemaltes Erlenholz: ein Junge, der die Arme zum Flug ausstreckt, die Augen geschlossen. Vielleicht träumt er davon, zu werden wie der Kraftprotz neben ihm; vielleicht ist er auch der kindliche Kern des ausgewachsenen Sportlers. Oder die Holzskulptur „Diva“, ein androgyn wirkender Kopf, selbstvergessen, halb in den Nacken gelegt, der Mund wie zum Gesang, oder zur Klage, weit offen. Oder, gleich im Eingangsbereich, die Skulptur „Der geglückte Versuch einer Selbstübersteigerung“: ein Mann in Hemd und Krawatte, in seltsam tänzerischer Bewegung auf einem Bein stehend, hält sich selbst das rechte Auge zu. Im Gesicht hat er ein beseeltes Lächeln.

Diese Spielarten von Ambivalenz, eine Abgründigkeit, die immer auch halb lachen macht, fehlen vielen von Lüders Bildern. Wie auch diese gewisse Weichheit, Verletzlichkeit, die durchscheint, wenn man – oder auch frau – aufhört, zu posen. Männer können das besser, einfach nur „sein“, nicht ins Posen verfallen, hatte Michael Lüder auf die Frage gesagt, warum er sich in der Ausstellung eigentlich nur Männern gewidmet hat. Nun ja, einige Porträts erzählen eine ganz andere Geschichte. Und die mit dem Titel „sans hommes“ wäre dann freilich als nächste dran.

„sans femmes“, bis 28.10. im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 18

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