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Kultur: Flieg, Vogel

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske“ im Museum Barberini mit einem Rundgang durch ihre Themen. Teil 8: Hans-Hendrik Grimmling in „Störbilder“

Kunst, sagt der Maler Hans-Hendrik Grimmling, ist immer „ein Wegfahren in eine Distanz zur Gegenwart“. Sein großformatiges Triptychon von 1977, das in der Ausstellung „Hinter der Maske“ den Raum „Störbilder“ dominiert, zeigt auf bestürzende Weise, was das heißen kann. Mythische Gestalten sind hier versammelt, ein großer schwarzer Vogel und eine Gruppe Vogelmänner. Gestalten, die einer größeren, älteren Welt angehören als die, in der das Bild entstand. Diese kleinere Welt hieß DDR und verlangte von ihren Künstlern Realismus, sozialistischen: Motive aus Alltag und Arbeitsleben, und nicht zu finster bitteschön.

Grimmling interessierte sich nicht für ungebrochen oder gar idealisiert dargestellten DDR-Alltag. Er schuf metaphorisch überhöhte, finstere Bildwelten. Wie in „Die Umerziehung der Vögel“, so heißt sein Triptychon im Museum Barberini. Die Flügel des schwarzen Vogels, der das Mittelbild beherrscht, werden von drei Männern brutal festgehalten. Der Vogel hat die Augen geschlossen. Sein Schnabel ist offen, wie um Atem zu holen. Oder um einen Hilferuf auszustoßen? Man hört den Ton förmlich, mühsam hervorgepresst: ein trockenes Krächzen.

Dabei ist die Brutalität der Vogelmänner, die widernatürlich verkrümmten Flügel des gefangenen Vogels nicht einmal das Verstörendste an Grimmlings Bild. Das Verstörendste ist die Freundlichkeit im Gesicht der Peiniger. Grimmling hat sie als Drillinge gemalt, glatzköpfig, austauschbar, aber mit deutlich erkennbarem Gesichtsausdruck: höchste Konzentration, beflissene Geduld. Diese Peiniger sind Vollstrecker, die an der Richtigkeit ihres Auftrags keinen Zweifel hegen. Im Blick mischt sich in die Strenge auch eine perfide Portion Güte. Ihre Arme brechen dem Vogel die Flügel, aber ihre Mienen sagen: Du wirst sehen, das ist gut für dich.

So ähnlich dürfte auch der Staat argumentiert haben, mit dessen Institutionen Grimmling rang, so lange er dort lebte. 1947 im sächsischen Zwenkau geboren, studierte an den Kunsthochschulen in Dresden und Leipzig. „Die Umerziehung der Vögel“ entsteht zu einem Zeitpunkt, als Grimmling seinen Hochschulabschluss nach Androhung von Exmatrikulation (Vorwurf: „Einflüsse imperialistischer Dekadenz“) doch gemacht und begonnen hat, als freischaffender Künstler zu arbeiten. Ein Hauptmotiv ist seit 1972 der Vogel: Symbol für Freiheit, Ungebundenheit, Grenzüberschreitung. Nach dem Abschluss ist Grimmling drei Jahre Meisterschüler bei Gerhard Kettner, dem Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Dort erfährt er, wie Doris Liebermann schreibt, „Lob und Strafe, Zuckerbrot und Peitsche“.

„Die Umerziehung der Vögel“ scheint Grimmlings Weg durch die pädagogischen Einrichtungen zu verarbeiten – nicht nur die der „Kunsterziehung“. Grimmlings Mutter hatte ihn als Alleinerziehende erzogen, hatte ihn zeitweise auch zur Betreuung in ein Heim gegeben, wie Michael Philipp berichtet, der „Hinter der Maske“ kuratiert hat. „Umerziehung“, sagt Philipp, „meinte das Normieren und Einnorden in gesellschaftliche Notwendigkeiten.“ Der Kurator betont aber auch, wie so oft im Kontext der Schau: „Wir wollen nicht ideologisieren.“ Die „sanfte“, erbarmungslose Gewalt autoritärer Peiniger kann Philipp zufolge jeder mit seinem eigenen Erleben verbinden – egal, wo. Das ist das Mantra der Ausstellungsmacher: Die hier gezeigten Werke sind allgemeingültig, eben dadurch haben sie sich ihren Platz in der Kunstgeschichte verdient. „Wenn Grimmling hätte sagen wollen: Diese fiese DDR – dann hätte er die Leute mit Parteiabzeichen gemalt, oder NVA-Uniform“, sagt Philipp.

Grimmling selbst sieht sein Bild gern in der Ausstellung – aber mit Bauchschmerzen. Eben wegen des Ansatzes der Macher, Kunst losgelöst von ihrem Kontext zu zeigen. „Über die Verführbarkeit von Macht muss man in einer solchen Ausstellung auch sprechen.“ Maler wie Bernhard Heisig oder Willi Sitte erlagen ihr, sagt Grimmling. Und dafür, dass er es zuließ, dass sein Bild im gleichen Gebäude wie die als „Staatskunst“ verschrieenen Bilder der Palast-Galerie hängen, wird er von Freunden scharf kritisiert.

Grimmlings Bild konnte zweimal in der DDR ausgestellt werden. Das Bild provozierte eine hitzige Diskussion im Künstlerverband. Der Kunsthistoriker Günter Blutke warf ihm eine „Flucht ins Allgemeine“ vor, das Bild sei „wirklichkeitsfern“ – in anderen, so nicht gesagten Worten: Hochverrat am Sozialistischen Realismus. Grimmling aber, erzählt Kurator Philipp, hielt dagegen: Doch, das sei Realität. Seine eigene.

Grimmling stört mit seiner an dem Expressionisten Max Beckmann angelehnten Kunst nicht nur das ästhetische Selbstbild der DDR. Er weigert sich auch, klein beizugeben. Gegen eine Realismus-Behauptung stellt er seine eigene, und er sucht nach Möglichkeiten, im Käfig zu fliegen. 1984 ist er Teil der Initiative des heute legendären „1. Leipziger Herbstsalons“, eine halblegale Ausstellung im Messehaus am Leipziger Markt. Eine Ausstellung jenseits staatlicher Doktrin und Zensur, eine Errungenschaft, die nur mithilfe eines Tricks möglich war, mit Chuzpe und ohne Angst vor Gängeleien: Die Künstler hatten mit dem Messeamt auf eigene Faust einen Vertrag für die Ausstellungsräume abgeschlossen. Danach gab es kein Zurück, die Schau fand statt. Es war die erste und die letzte ihrer Art. Im gleichen Jahr stellt er seinen Ausreiseantrag.

Bevor Grimmling 1986 nach Westberlin übersiedelt, ist er im November 1985 in Potsdam beim legendären Friedensfest in der Nikolaikirche dabei. Auf einer 17 Meter langen Leinwand zeigt er die Gestalt eines Gestürzten. Ein geschundener Körper, der gegen die Umklammerung eines Stacheldrahtes zu kämpfen scheint. Ein Jahr drauf ist Grimmling in Westberlin, wo er heute noch ein Atelier hat.

Kunst, sagt Grimmling auch, „lebt von der Hoffnung, dieses Sich-Wegbewegen bekäme den Sinn eines klareren Blicks auf den Ort des Bleibens“. Die Bildmitte der „Umerziehung der Vögel“ zeigt diesen Ort des Bleibens als untragbar. Die linke Seite zeigt den schwarzen Vogel noch im Ringen mit zwei Peinigern, die rechte dann die Konsequenz davon: Man sieht die Peiniger fallen. Der Vogel aber ist im rechten Bild des Triptychons verschwunden. Wohin, man weiß es nicht. Vielleicht in den Abgrund. Vielleicht in ein Atelier in Westberlin. Er hat sich nicht halten lassen, so viel ist gewiss.

„Hinter der Maske“, bis 4.2. im Museum Barberini. Am 24.12. von 10 bis 15 Uhr, am 25. und 26.12. von 10 bis 19 Uhr geöffnet

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