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Die kleine Elsa salutiert in "Kleine Germanen".

© dpa

Filmgespräch zu "Kleine Germanen": Nazi-Propaganda als Gute-Nacht-Geschichte

Das Thalia-Kino Potsdam zeigt die Dokumentation „Kleine Germanen“ und lädt zum Publikumsgespräch mit den Regisseuren

Elsa liebt ihren Großvater: Er ist für sie da, er liest ihr vor, er macht mit ihr Ausflüge, und er spielt mit ihr Soldat. Warum sie von ihm mit einem SS-Abzeichen belohnt wird, weil sie sich so tapfer gegen die „Bolschewiken“ geschlagen hat, versteht sie zwar nicht ganz, stolz ist sie dennoch. „Als Kind mussten wir immer stark sein, wir durften nicht weinen“, erinnert sich die heute erwachsene Elsa im Dokumentarfilm „Kleine Germanen“ an ihre Jugend, die von Gehorsam, Disziplin und Abhärtung geprägt war – wie die so vieler anderer Kinder, die teilweise unbemerkt von der Gesellschaft mit rechter Ideologie erzogen werden.

„Kleine Germanen“, der schon auf der Berlinale lief und in die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises gewählt wurde, wirft erstmals einen Blick auf diese Kinder, ihre Eltern und die Erziehung prominenter Vertreter der Neuen Rechten. Am Freitag, dem 9. Mai, wird der Film im Potsdamer Thalia-Kino gezeigt, es folgt ein Publikumsgespräch mit den Regisseuren Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh.  

Eine Familiengeschichte lieferte den Anlass

Anlass für das Projekt war der Gerichtsfall um ein rechtes Elternpaar, das als Anhänger der „Neuen Germanischen Medizin“ ihrer an Diabetes erkrankten Tochter das lebenswichtige Insulin vorenthielt – woraufhin das Mädchen verstarb. „Bei unseren ersten Recherchen haben wir dann festgestellt, dass es noch nichts zu diesem Thema gibt, weder ein Buch noch eine wissenschaftliche Untersuchung. Und so entstand bei uns der Wunsch, daraus einen Film zu machen“, sagt Farokhmanesh.

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Der besagte Gerichtsfall spielt dabei keine Rolle im Film, vielmehr wird exemplarisch der Lebensweg der rechten Aussteigerin Elsa geschildert, die von früh an durch ihren Großvater indoktriniert wird, der ihr alte Propaganda-Bücher vorliest, ihre Angst vor Juden schürt und ihr verbietet, amerikanische Trickfilme zu schauen. „Ich wurde von meinem Opa abgerichtet wie ein Hund“, sagt Elsa. „Interessant ist, dass sich junge rechte Frauen ganz stark auf die männlichen Großväter beziehen, aber die Traditionslinie über die Frauen weitervermittelt wird“, sagt die Rechtsextremismus-Expertin Michaela Köttig im Film. „Ideologie wurde mit Emotion verknüpft. Und die Mädchen waren darin auch ein Stück weit gefangen.“

Interviews lassen hinter die Fassade blicken

Welchen Stellenwert Kinder und Erziehung für Rechtsextreme haben, zeigen auch die Interviews mit einigen Vertretern der Neuen Rechten, etwa mit dem Verleger Götz Kubitschek, der sich an seine eigene Kindheit erinnert: „Ich hatte eine behütete, gerahmte Kindheit.“ Auch die anderen Interviewpartner wie Martin Sellner von den Identitären oder die Ex-NPD-Funktionärin Sigrid Schüßler schildern übereinstimmend nostalgische, sonnige Erinnerungen an eine Kindheit draußen in der Natur, sicher, idyllisch – aber auch streng. „Wie sitzt jemand, wie isst jemand seinen Teller leer –  all diese Fragen waren sehr wichtig“, sagt Kubitschek.

Werte, die Elsa später auch ihren eigenen Kindern einbläut: Nachdem sie in rechten Ferienlagern weiter gedrillt wurde, lernt sie in einer rechten Partei den Wortführer Thorsten kennen und gründet mit ihm eine Familie. Alles läuft gut, bis ihr Sohn Hermann geboren wird, der eine Behinderung hat. „Für viele war er ein nutzloser Esser, auch für seinen Vater“, sagt Elsa. Thorsten entfremdet sich immer mehr von seinen Kindern und seiner Frau, schlägt sie, sperrt sie nachts in kalte Ställe. Elsa selbst schafft es nicht, auszubrechen: „Meine Kinder haben die Entscheidung getroffen“, sagt sie.

Eindringliche Momentaufnahmen

Elsa ist nicht der richtige Name der Aussteigerin, die nach dem Bruch mit der rechten Szene mehrmals umgezogen ist und ihren Namen ändern musste. „Bei unserer Recherche sind wir auf verschiedene Schicksale von Kindern, die in solchen Kreisen aufgewachsen sind, gestoßen. Die Schwierigkeit war aber stets, dass keiner vor die Kamera wollte“, sagt Frank Geiger. Gelöst haben die Regisseure das Problem durch Animation: Elsas Lebensweg wird komplett in Motion Capturing-Sequenzen erzählt, wodurch zum einen zwar sehr präzise und eindringliche Momentaufnahmen gelingen, zum anderen aber auch etwas von der Authentizität und Unmittelbarkeit ihrer Geschichte verloren geht.

Durch das sorgfältige Zusammenfügen von Animation und Interviews mit Experten, Rechten und Aussteigern ergibt sich dennoch ein gelungener Film, der einen gespenstischen Einblick in rechte Parallelgesellschaften gewährt, an die nur schwer heranzukommen ist, in der Kinder zur Wahrung völkischer Kontinuität instrumentalisiert werden. „Der Nachwuchs, das ist die Zukunft. Und davon soll es möglichst viele geben“, sagt Frank Geiger.

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