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Ein guter Jahrgang. Goldene-Palme-Gewinner Ruben Östlund zeigt seine Zunge, Diane Kruger kann ihr Glück noch nicht fassen.

© Eric Gaillard/Reuters

Filmfestival in Cannes: Das Kino und seine Wunden

Das Filmfestival endete nach behäbigem Beginn mit positiven Überraschungen. Diane Kruger gewinnt den Preis als beste Darstellerin, die Goldene Palme geht an die schwedische Satire „The Square“.

Von Andreas Busche

Maren Ade ist es im vergangenen Jahr nicht geglückt, dafür hat es Diane Kruger zum siebzigjährigen Cannes-Jubiläum geschafft. Die deutsche Schauspielerin wurde für ihre Hauptrolle in Fatih Akins „Aus dem Nichts“ als beste Darstellerin ausgezeichnet. Eine späte Genugtuung für Kruger, deren Hollywoodkarriere vor über zehn Jahren unter viel Häme begann. Ihr Leinwanddebüt gab das ehemalige Model 2004 in Wolfgang Petersens desaströsem Sandalenfilm „Troja“, Kruger spielte darin die schönste Frau der Antike – und die Kritik ließ ihre schlechte Stimmung vor allem an der Hauptdarstellerin aus. New-York-Times-Kritikerin Manohla Dargis zeigte sich damals besonders ungnädig: „Zu schön für irgendeine gehaltvolle Rolle“, lautete ihr Pauschalurteil.

Für viele Darstellerinnen hätte so ein Verriss womöglich das vorzeitige Karriereende bedeutet. Nicht aber für Diane Kruger, die in den letzten Jahren zwischen französischem Kino und Hollywood wechselte (unter anderem in Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“) und sich ein erstaunliches Portfolio zulegte. Katja Sekerci in „Aus dem Nichts“ ist ihre erste deutschsprachige Rolle überhaupt und man hat die Intensität, mit der sie eine Frau spielt, die den Mord an ihrem Mann, einem vorbestraften Kurden, und ihrem sechsjährigen Sohn rächen will – erst auf juristischem Weg, dann dann als Selbstjustiz –, im deutschen Kino lange nicht mehr gesehen.

Kruger ist das Kraftzentrum des Films, dessen dramaturgische Schwächen viele Kritiker in Cannes enttäuschte. Kruger aber trägt die Geschichte fast ganz allein: verteidigt ihren toten Mann gegenüber der ressentimentverhafteten Mutter und wehrt sich gegen die Behörden, die das Opfer zum Täter stempeln wollen. Akin orientiert sich mit seinem Film zwischen Rächergeschichte und Gerichtsdrama am NSU-Fall, ohne die gesellschaftlichen Implikationen des Skandals – den strukturellen Rassismus der Behörden, die im Fall der „Döner-Morde“ jahrelang im türkischen Milieu ermittelten, die Vertuschungen, das Versagen des Rechtsstaats – in den Blick zu nehmen. Er konzentriert sich auf das persönliche Drama einer Frau, die durch den Verlust der Familie aus dem Leben gerissen wird, und nun die gesellschaftlichen Ressentiments am eigenen Leib verspürt. Es bleibt natürlich eine tendenziöse Verdrehung der Tatsachen, die Akins Film in politischer Hinsicht problematisch macht.

Krugers enorm physische Performance – leicht prollig, tätowiert, zielstrebig – schmälert das nicht. Sie konnte sich in diesem Jahr gegen eine starke Konkurrenz durchsetzen, etwa Vasilina Makovtseva in Sergei Loznitsas „Krotkaya“, Nicole Kidman, bravourös in gleich zwei Wettbewerbsfilmen (Sofia Coppolas "The Beguiled", „The Killing of a Sacred Deer“ von Giorgos Lanthimos), wofür sie mit dem Spezialpreis ausgezeichnet wurde, oder Maryana Spivak in Andrei Swjaginzews Drama „Nelyubov“, das den Preis der Jury erhielt. Aber in Krugers Spiel kam eine moralische Ambivalenz zum Vorschein, die Akins Film trotz aller Schwächen aus dem Teilnehmerfeld im Wettbewerb heraushob. Viele Filme begnügten sich mit gut gemachter Unterhaltung (zum Beispiel die beiden Netflix-Produktionen „Okja“ und „The Meyerowitz Stories“) oder waren sich ihrer gesellschaftlichen Positionen in der filmischen Umsetzung zu selbstgewiss – allen voran Michael Hanekes Familiensatire „Happy End“, die leer ausging.

Umso erfreulicher, dass die Jury um Pedro Almodóvar in diesem Jahr Filme auszeichnete, die über eine gewisse moralische Fallhöhe verfügten. Der Preis für das beste Drehbuch ging an Efthymis Filippou und Giorgos Lanthimos für „The Killing of a Sacred Deer“ sowie Lynne Ramsay für „You Were Never Really Here“, was insofern erstaunt, als dass die schottische Regisseurin mit ihrem Film über einen Kriegsveteranen, der die entführte Tochter eines US-Senatoren befreien muss, in ästhetischer Hinsicht vielleicht der herausfordernste Film im Wettbewerb war und den Preis für die beste Regie verdient gehabt hätte.

„You Were Never Really Here“ ist ein formal und erzählerisch faszinierend brüchiges Stück Actionkino mit einem Joaquin Phoenix in der Hauptrolle, der die schon rein physiognomisch gewaltige Figur des kriegsversehrten Ausputzers mit aggressiv-stoischer Verletzlichkeit spielt – gewissermaßen das Gegenstück zu Krugers elektrifizierender Performance. Phoenix geht auf der wendungsreichen Suche nach dem Teenager, die ihn auf die Spur einer politischen Verschwörung bringt, an die Grenzen des körperlich Machbaren, bis hin zur Selbstauflösung. Dafür zeichnete die Jury ihn zu Recht mit dem Preis für den besten Darsteller aus. Wie konsequent sich Ramsay in „You Were Never Really Here“ bewährte Genrekonventionen aneignet und gleichzeitig unterläuft, besitzt eine verstörende visuelle Kraft, der man sich nur schwer entziehen kann.

Ein polarisierender Jahrgang

So darf man sich angesichts eines durchwachsenen Cannes–Jahrgangs am Ende doch über ein versöhnliches Ende freuen. Denn auch die beiden wichtigsten Preise gingen mit Ruben Östlunds Kuratoren-Farce „The Square“ (Goldene Palme) und Robin Campillos AIDS-Drama „120 battements par minute“ über die französische Act-up-Bewegung in den frühen neunziger Jahren (Großer Preis der Jury) an Filme, die von Festivalbeginn an zu den Kritikerfavoriten gezählt hatten. Dass Campillo in Almodóvar einen Fürsprecher finden würde, überrascht nicht, doch „120 battements“ überzeugt über sein Thema hinaus durch eine stimmige, mitunter impressionistische Inszenierung, die das ganze Gefühlsspektrum zwischen Lebenslust, Schmerz und Trauer ohne Sentimentalitäten abdeckt – und gleichzeitig einen genauen Blick für die Kämpfe und unterschiedlichen Positionen innerhalb der Act-up-Gruppe beweist. Campillo war selbst ein Teil dieser Bewegung, sein Film ist auch eine Hommage an all die Aktivisten, die den Versäumnissen der Regierung und der Pharmakonzerne zum Opfer fielen.

Da polarisierte der Siegerfilm „The Square“ von Ruben Östlund die Kritik deutlich mehr. Die Geschichte um einen so eitlen wie dämlichen Kurator in einem Museum für Moderne Kunst, nimmt sehr kalkuliert den Wahnsinn des Kunstmarktes ins Visier, der am Fließband kritische Werke produziert, die die Kapitalzirkulation am Laufen halten, ohne gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Es sind einfache Ziele, die Östlund mit seinem sardonischen Pessimismus jedoch sehr exakt umkreist.

Das Kunstwerk zum Film

In gewisser Weise kommentiert Östlund mit seinem Film genau die Art von Blockbuster-Kunst, die der Regisseur Alejandro G. Iñarritu („Revenant“) und sein Kameramann Emmanuel Lubezki im Auftrag des Cannes-Festivals realisiert haben. „Carne y Arena“ ist eine siebenminütige Virtual-Reality-Installation, die die Zuschauer unmittelbar in die Grenzerfahrung einer Gruppe mexikanischer Flüchtiger versetzt. Die Simulation ist ein körperlich aufrüttelndes Spektakel, aber ähnlich wie der titelgebende „Square“ in seinem Gestus anmaßend – und dabei ohne tieferen Erkenntnisgewinn. Die Ironie, dass Östlunds Film ausgerechnet in diesem Jahr gewinnt, ist kaum zu übersehen.

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