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Als das Holländische Viertel noch "Chaotenwohnzimmer" war: Hausbesetzer in der Kurfürstenstraße 5.

© Simone Thomas

Film über Potsdams Hausbesetzerszene: Freiheit vom Markt

Potsdam war in den 1990ern Hausbesetzerhochburg. Was ist heute noch davon übrig? Das fragt ein Filmprojekt der Fachhochschule: „Sub.texte – Kampf um Freiräume“.

Potsdam - Ohne die Hausbesetzungen der 1990er Jahre würde es das Potsdam von heute nicht geben. So klar sagte das eine, die es wissen muss: Helen Thein-Peitsch ist Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. In einer Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im vergangenen Jahr wurde sie zur Hausbesetzerszene befragt. 

Konkret sprach Thein-Peitsch über das Holländische Viertel. Sie war damals selbst bei den Besetzungen dabei gewesen. Heute sagt sie: Die Besetzer:innen sorgten dafür, dass die historische Bausubstanz in Potsdams Mitte, die zu DDR-Zeiten verfallen war, belebt wurde. Und am Leben blieb. 

Hier Disneyland, da Spuren der Besetzerszene

Das Holländische Viertel ist heute ein touristisches Vorzeige-Quartier. Was nach1989 leer stand, wurde verkauft, saniert, vielleicht weiterkauft. Nebenan am Alten Markt wächst die alte historische Innenstadt derweil in neuem Aufguss. „Disneyland“, so bezeichnen die ehemaligen Hüter des Holländischen Viertels dieses neue Alte. Dennoch gibt es nach wie vor Spuren der Besetzerszene im Stadtgebiet. Man muss nur genauer hinschauen. 

Ein Projekt der Fachhochschule Potsdam hat sich die Mühe gemacht. Acht Studierende haben Orte aufgesucht, wo sich im boomenden Potsdam alternative Lebensentwürfe in der geistigen Tradition der Besetzer:innen aus den 1990er Jahren gehalten haben. Entstanden ist ein knapp einstündiger Film, ein Crowd-Funding-Projekt: „Sub.Texte – Kampf um Freiräume“. 

Ein Film, der während er Pandemie gedreht wurde

Gedreht wurde zwischen Oktober 2020 und März 2021, mitten in der Pandemie. Nicht nur deshalb sind einige der Interviewten maskiert. Einige wollen nicht erkannt werden, manche Orte sind bestenfalls geduldet. „Die Szene“ ist heute vielfältig, das wird schnell klar. 

Da gibt es zum Beispiel die, deren Projekte längst selbst städtische Subventionen bekommen: Achim Trautvetter etwa, der Leiter des Kulturzentrums Freiland. Er berichtet, wie den kurz zuvor heimatlos gewordenen Leuten des alternativen Treffs Spartacus vor zehn Jahren vom Chef der Stadtwerke ein riesiges Areal gegenüber vom Hauptbahnhof angeboten wurde: 10 000 Quadratmeter, fünf Gebäude. Man sagte zu, heute wird Jugendarbeit angeboten, auch Kulturveranstaltungen und Platz für Sprayer. 

„Saufen für die Revolution“

Da gibt es auch die beiden Frauen von der „Charlotte28“ in der Charlottenstraße, das nie besetztes Haus war, sondern von Anfang an Ausweichprojekt. Seit 2002 gibt es dort den Buchladen „Sputnik“, für die geistige Nahrung an linker Literatur, den Umsonstladen „Umverteiler“ – und es gibt „Olga“. Die Kneipe, mit der das Projekt Geld verdient. Moderate Preise, aber weil alle unentgeltlich arbeiten, dennoch eine Einnahmequelle. 

„Saufen für die Revolution“, das ist das Motto, aber sonst ist hier alles schon ziemlich etabliert. Eine der Bewohnerinnen hat in dem Haus ihre zwei Kinder bekommen. Auch in der „Zeppi25“ in der Brandenburger Vorstadt, ein weiteres Ausweichprojekt, ist inzwischen alles ganz legal über Erbbauverträge geregelt. Das bedeutet: kostengünstige Pachtverträge, im Gegenzug die Verpflichtung der Bewohner:innen, die Häuser instand zu halten. Die Interviewten der „Zeppi25“ wollen trotzdem lieber nicht erkannt werden.

Jeder willkommen, „der nicht ein ausgewiesenes Arschloch ist“

Auch die, die im Archiv, Leipziger Straße 60, zu Wort kommen, sind fantasievoll verhüllt. Das Haus wurde 1994 offiziell besetzt, man verschickte sogar eine Pressemitteilung. Heute will es Ort der Subkultur sein – offen für alle, die offen für sie sind. „Hier ist jeder willkommen, der nicht ein ausgewiesenes Arschloch ist“, so sagt es einer der Interviewten. Zur Besichtigung des Baufortschritts vor Ort kam 2020 auch Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos).

Auch wenn die Nähe zwischen alternativer Szene und Stadtverwaltung heute groß ist wie nie: Ein Misstrauen bleibt offenbar. Vielleicht ein Überbleibsel jener Zeit der Räumungen nach 1993, die fabrik Leiterin Sabine Chwalisz mal als traumatisch bezeichnet hat. 

Räumung eines Hauses in der Zeppelinstraße.
Räumung eines Hauses in der Zeppelinstraße.

© Manfred Thomas

Ohne die damaligen Besetzungen heute keine fabrik, kein Waschhaus

Es war die Zeit, als der Spiegel schrieb: „Die Stadt Potsdam entwickelt sich zur Hausbesetzer-Hochburg.“ Die Zeit, als nach der Räumung der fabrik das Gebäude der Gutenbergstraße 105 in Flammen stand. „Wir haben gelitten wie die Hunde“, sagt Chwalisz – obwohl die fabrik sich damals schon in Richtung Schiffbauergasse orientiert hatte. Dennoch, das Waschhaus, die fabrik: Auch diese wichtigsten Orte der freien Szene würde es ohne die Hausbesetzungen nicht geben. 

Damals, in den 1990er Jahren, waren die Besetzer:innen dem bürgerlichen Ordnungsempfinden nach jedoch eine „Anfechtung“, sagt Ex-Oberbürgermeister Jann Jakobs in „Sub.Texte“. Auch der SPD-Politiker kommt in dem Film zu Wort, neben Kultur-Fachbereichsleiterin Birgit-Katherine Seemann: Eine starke Setzung, die nicht polarisiert, sondern vermittelt. Seemann sagt Sätze wie: Wenn Potsdam sich nur auf das Preußen-Erbe konzentriere, laufe die Stadt Gefahr, sich selbst zu historisieren. 

Wie die Stadt auf die „Chaotenwohnzimmer“ reagierte

Jakobs berichtet über das Damals. Wie die besetzten Straßen als „Chaotenwohnzimmer“ wahrgenommen worden seien. Dennoch habe er sich immer gegen militante Räumungen stark gemacht und stattdessen auf „Beratungskompetenzen“ der Stadt gesetzt. Und er zitiert Detlef Graf von Schwerin, von 1991 bis 2005 Potsdamer Polizeipräsident, der gesagt haben soll: Die Hausbesetzer schaffen in Potsdam, was die Briten im Krieg nicht geschafft haben. 

Einziges heute noch besetztes Haus in Potsdam ist „la Datscha“. Im September 2008 wurde das Haus Am Babelsberger Park 15 als Villa Wildwuchs besetzt, und ist es bis heute. Es liegt pikanterweise mitten im Welterbepark. Die Unesco habe mehrfach Druck ausgeübt, das Haus endlich räumen zu lassen, berichtet Jakobs. Bisher sei das von der Stadt ganz bewusst ignoriert worden. Die stimmlich verzerrte, optisch unkenntlich gemachte Person in „la Datscha“ sagt indessen: „Weiter Nein zum Mietvertrag.“

Anspruch auf Raum

Tja, und was hat die Stadt von Projekten wie diesen? Auch das fragt der Film. Antworten gibt er viele. Geleistete Sozialarbeit. Freiräume zum Sich-Ausprobieren. Kultur. Vielfalt. Sinnvoll genutzte Bauwerke. Inseln der Freiheit vom Markt. Aber letztlich ist es ganz einfach, sagt ein bunt maskierter Mann im Archiv. „Die Menschen hier gehören zu dieser Stadt. Und als Teil dieser Stadt haben sie auch Anspruch auf Raum in ihr.“

— „Sub.texte – Kampf um Freiräume“ ist auf  YouTube abrufbar und wird am 6.8. um 21 Uhr open air im Sommerkino am Schlaatz gezeigt.

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