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Kultur: Fiebervisionen eines listigen Helden

Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ als hinreißendes Handpuppenspektakel im Nikolaisaal

Es war ein operaler Paukenschlag gleich nach der Eröffnung der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci mit Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ (Die Rückkehr des Odysseus) am Samstag im Nikolaisaal. Und zwar in einer neu instrumentierten, um die Hälfte gekürzten und für ein Spiel mit Puppen eingerichteten Fassung. Puppentheater – da wird man doch glatt wieder zum Kind. Und wer als solches die „Sagen des klassischen Altertums“ von Gustav Schwab nächtens unter der Bettdecke verschlungen hat, weiß worum es im Mythos von Odysseus und seiner Heimkehr nach Ithaka geht. Monteverdi und sein Librettist Giacomo Badoaro halten sich dabei weitgehend an Homers literarische Überlieferung. Allerdings fügen sie einen Prolog hinzu, in dem sich Personifizierungen von Schwäche, Zeit, Glück und Liebe darüber streiten, was mit Odysseus geschehen soll.

Der mit geistvollen und überraschenden Einfällen nicht sparende Regisseur William Kentridge deutet das episodenhafte Geschehen mit der südafrikanischen Handspring Puppet Company aus Kapstadt und dem belgischen Ricercar Consort originell: Er beamt seinen Helden ins Heute. In einem Krankenhausbett in Johannesburg ringt Odysseus mit dem Tod. Als halb lebensgroße Puppe, von Operationen sichtlich gekennzeichnet. Sechs Damen und Herren, sicher das Ärzteteam, umstehen den Tisch, auf dem er liegt. Sie entpuppen sich als Götter in Schwarz, die darüber disputieren, wie mit dem operierten Spätheimkehrer weiter zu verfahren sei. Assistenzarzt Neptun, der Odysseus mit seinem Zorn verfolgt, und Chefarzt Jupiter sind sich über das weitere Prozedere nicht einig. Soll man den Aufmüpfigen gnadenlos strafen oder ihm göttliches Erbarmen und Vergebung zuteilwerden lassen? Währenddessen flimmern auf einer rückwärtigen Videoleinwand Ultraschallbilder diverser innerer Organe, hält eine fiktive Herz-Lungen-Maschine den Patienten am Leben. Um in das Innerste des Menschen zu blicken, werden – sehr symbolträchtig – später auch Röntgenaufnahmen, CTs und MRTs gezeigt.

Nachdem Odysseus aus dem Koma erwacht und von Fiebervisionen heimgesucht wird, ist Puppen-Odysseus II zur Stelle, dem ein Puppenspieler (Jon Riddleberger) und Strahletenor Jeffrey Thompson zu Hilfe eilen, um vereint und handgeführt ihm zu einer Wiedergeburt zu verhelfen. Er nun ist für die (visionäre) Heimkehr zuständig. Auch die anderen Figuren erfreuen sich solch zweifacher Betreuung. Frappierend, wenn dabei der Eindruck entsteht, die Puppen seien lebendig, würden atmen, könnten singen. Eine fantastische Synchronarbeit, die von den sieben Sängern und fünf Puppenspielern mit Präzision und Charakterisierungskunst – sowohl spielerisch als auch sängerisch – geleistet wird. Herrlich, wenn Telemachos tatsächlich durch die Lüfte herbeifliegt, um seinen Vater zu begrüßen. Sehr komisch und überaus witzig, wenn die drei dümmlich-eitlen Freier zum Wettschießen antreten, den Bogen nicht spannen können und ihnen dabei wahrlich die Luft ausgeht. Weiteres optisches Highlight sind Videos mit Kamerafahrten durch gezeichnete Natur und Architektur, vor denen die Figuren zu laufen scheinen.

Vom Allerfeinsten ist die Wiedergabe der Monteverdischen Musik mit ihrer Spezialität des „singenden Rezitativs“ (recitar cantando). Es ermöglicht eine vor Emotionen berstende Redeform, die mitunter in Ariosi mit koloraturgespickten Zutaten mündet. Oft dagegen schüttet sie in großen Monologen ihren melodischen Charme gleich einem unerschöpflichen Füllhorn aus. Gutturale Glut hält Mezzosopranistin Romina Basso für ihre Penelope bereit. Sopranquecksilbrig und strahlend singt Yetzabel Arias die Minerva und den Amor. Lyrische Mezzowärme strahlt Anna Zander als Fortuna, Zofe Melanto und Freier Anfinomo aus, während Jean-François Novelli als tenorforscher Telemachos und Freier Pisandro alle Register wandlungsreicher Kehlenkunst zieht. Stimmkollege Reinoud Van Mechelen gestaltet anrührend den Schweinehirten Eumete, den Freier Eurimaco und Jupiter. Mit kernigem Bass singt Stephan MacLeod den Neptun, die Zeit und den Freier Antinoo. Unterstützt wird das Stimmenaufgebot durch das fantastische Ricercar Consort, das mit Gamben, Harfe, Theorbe und Gitarre für exorbitanten Farbenreichtum, raffinierte Schattierungskünste sorgt und dennoch nicht den Tod Odysseus verhindern kann. Ein phänomenales, kurzweiliges und beifallsumjubeltes Monteverdi-Erlebnis. Peter Buske

Wiederholung heute, 19.30 Uhr, Nikolaisaal, Tickets ab 15 Euro

Peter Buske

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