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Festival "Zwischen Utopie und Exil": Fabian Hinrichs im Nikolaisaal

Schauspieler Fabian Hinrichs und Musiker der Kammerakademie Potsdam setzten am Sonntag im Nikolaisaal den Schlussakkord beim Festival „Zwischen Utopie und Exil“. Hinrichs las unter anderem aus Kästners "Fabian". 

Potsdam - Er kommt mit Krücken auf die Bühne. Nein, das sei keine Metapher auf den Abend, sagt Fabian Hinrichs. Er habe sich im Berliner Friedrichstadt-Palast verletzt. Dort legt er derzeit in „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ ein Schauspiel-Solo hin: auf riesiger Bühne, umtanzt von 27 Mitgliedern des Hauses. Bei der Generalprobe schoss ihn eine Maschine statt der geplanten 1,50 Meter drei Meter in die Höhe. „Die Folge ist nun ein Knochenödem an der Ferse. Auf Tanzeinlagen müssen Sie also verzichten“, sagt der sofort Sympathie einheimsende Schauspieler am Sonntagabend im gut besuchten Foyer des Nikolaisaals und legt sein verletztes Bein auf dem Stuhl ab. Fortan widmet er sich nun lesend den seelischen Verletzungen seines literarischen Helden „Fabian“ von Erich Kästner. Die Namensgleichheit sei wahrscheinlich der einzige Grund gewesen, warum er vom Nikolaisaal angesprochen wurde, hier aufzutreten, kokettiert Fabian Hinrichs unterhaltsam weiter. Die Texte der musikalischen Lesung hatte der Programmdirektor des Nikolaisaals, Michael Dühn, ausgesucht. Erstaunlich, dass sich Allrounder Hinrichs das aus der Hand nehmen ließ.

Intime Atmosphäre lässt über Stolperer hinwegsehen

Mit einfühlsamer, samtweicher Stimme gestaltet er nun die Kästner-Worte, schafft eine intime, zugreifende Atmosphäre, die über einige Vorlese-Stolperer gern hinwegsehen lassen.

Dieser Abend ist den „Moralisten, Rebellen und Verführer“ der 30-er Jahre gewidmet und Schlussakkord des kleinen Festivals „Zwischen Utopie und Exil“. Es zeigt, wie die Stimmung am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme hochkocht, überall gibt es Aufläufe, Heil-Hitler-Rufe, Gewalt. „In allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang“, liest Hinrichs. Sein Fabian wartet dennoch auf ein Wunder: auf den Sieg der Anständigkeit. Und in der Begegnung mit Cornelia findet er dann auch das Beinahe-Glück. Doch in dieser Zeit der Massenarbeitslosigkeit hat es auch die Liebe schwer, wird verschlungen vom Labyrinth der Hoffnungslosigkeit. Cornelia schreibt ihm zum Abschied: „Man kommt nur aus dem Dreck heraus, wenn man sich dreckig macht.“

Klaus Mann braucht es nicht

Auch aus dem Tagebuch von Harry Graf Kessler liest Hinrichs, was der persönlichen Geschichte von Kästners Fabian eine gesamtgesellschaftliche Einordnung gibt.  Der dritte Autor des Abends ist Klaus Mann, der dem Gesamtbild der Lesung nicht unbedingt eine weitere Facette dazu gibt. Gern wäre man stattdessen weiter an den Fersen von Fabian geblieben: bei dem Zeitgemälde, dessen Farben wieder grellfrisch leuchten.

Raffiniert weitergesponnen wird der literarische Teppich von der Musik Kurt Weills, Hanns Eislers, den Comedian Harmonists und Paul Hindemiths. Die vier Streicher Yuki Kasai, Renate Loock, Jennifer Anschel und Jan-Peter Kuschel nehmen sich dieser Komponisten präzise, couragiert und sehr virtuos an, harmonieren meisterlich in all‘ den Disharmonien. Wie ein grau-düsteres Hinterhofgeflüster, das die große Verlorenheit, aber auch das Gegeneinander in der Gesellschaft spiegelt, setzt ihre Musik Widerhaken: Anspannung statt süßlicher Genuss. Am Ende präsentieren die vier Musiker pointiert und mit mimischem Pfiff die „Ouvertüre zum ,Fliegenden Holländer‘, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt“: ein von Hindemith komponierter harmonischer Trümmerhaufen. Die Krücken von Fabian Hinrichs erscheinen am Ende doch fast wie eine Metapher auf dieses Stolpern, bei dem jeder das Gleichgewicht verliert.

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