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"Beethovens Geist" von Javier Garavaglia und Claudia Robles-Angel ist bei den Intersonanzen 2021 zu Gast. 

© Promo

Festival für neue Musik in Potsdam: Stille in drei Sätzen

Für Musik braucht man Instrumente, für das Gehör ausschließlich die Ohren? Irrtum, sagt Thomas Gerwin, der Leiter der Intersonanzen. Das Festival erklärt Hören zum Ganzkörperlebnis.

Potsdam - Das Sinnesorgan, das dem Hören dient, ist das Ohr. Lernten wir das nicht mal irgendwann, und fanden es auch ab und an bestätigt? Bei den Intersonanzen 2021, die am Donnerstag (19.8.) ihren Auftakt feiern, gilt es, Annahmen wie diese zu überdenken. Schon Beethoven soll, als die Schwerhörigkeit voranschritt, den Kopf ans Klavier gehalten und sogar hineingebissen haben. Um die Musik zu fühlen. 

Musik zum Anfassen

Thomas Gerwin, Komponist und Leiter des Potsdamer Festivals Intersonanzen, hat selbst vor ein paar Jahren ein „Fühlklavier“ entwickelt. 2021 steuert er, als Werktitel verleidet, ein eigenes Genre bei: „Taktile Musik.“ Musik zum Anfassen. Dafür wird Gerwin, der sich in der Vergangenheit viel mit Musik für Gehörlose beschäftigt hat, Stoffbänder aus verschiedenen Materialien auf einem Tisch im Kunsthaus Sanstitre ausbreiten. Im Vorbeigehen soll man diese berühren, zum Rascheln, Rauschen bringen – und den Klang über die Fingerspitzen auf sich wirken lassen.

Noch ferner vom konventionellen Hören und dabei näher an Musik ist „Beethovens Geist“ von Javier Garavaglia und Claudia Robles-Angel. In Anknüpfung an Beethovens Versuche, Musik trotz Taubheit zu spüren, haben die beiden eine interdisziplinäre Installation gebaut. Eine elektroakustische Komposition, mittels spezieller Kopfhörer auf den Zuhörer übertragen über sogenannten Knochenschall. Durch den Schädelknochen werden hierbei Vibrationen weitergeleitet. Parallel dazu zeigt sie: farbige Videoprojektionen, die sich an der Farbenlehre Goethes orientieren. Hören als Ganzkörpererlebnis.

Neue Musik ist kein festgelegter Stil, auch wenn manche das glauben

„experiment:.:hören“, so heißt die diesjährige Ausgabe der Intersonanzen, Potsdams Festival für neue Musik. Moment, hat sich neue Musik nicht per se dem Experimentieren verschrieben? „Das stimmt schon“, sagt Thomas Gerwin – und verweist auf den Schwerpunkt des Hörens im Titel. In der 21. Ausgabe wird es nicht allgemein um experimentelle Kompositionen gehen, sondern darum, das Hören an sich zu thematisieren. „Darum, dass man nicht nur mit den Ohren hören kann.“

Wie in vergangenen Jahren geht es auch diesmal darum, den Bogen in die Vergangenheit zu spannen, zu Karlheinz Stockhausen und John Cage. Deren Werke sind auf einer Hörstation im Sanstitre zu erleben. Und das Festival will nach wie vor zeigen: Neue Musik, das ist kein festgelegter Stil – „auch wenn es immer noch Leute gibt, die das glauben“, sagt Gerwin. 

Musik, die die Orgel revolutionierte

Das Auftaktkonzert, in dem traditionell dem Instrument des Jahres gehuldigt wird, findet erstmals in der Nikolaikirche statt. Das Instrument des Jahres ist in diesem Jahr die Orgel. Thomas Noll an der Orgel sowie der Potsdamer Stimmakrobat Alex Nowitz und der schwedische Pianist Sten Sandell werden der Königin der Instrumente neue, sicher ungewohnte Töne entlocken. Zu hören ist unter anderem „Volumina“ von György Ligeti, eine Komposition von 1962, die die Orgelmusik revolutionierte.

Auch das Potsdam Museum ist als Austragungsort in diesem Jahr wieder fest eingebunden – wie in den Anfangsjahren der Intersonanzen. Am 20. August begleitet das Ensemble die dortige Eröffnung der Bernhard-Heisig-Ausstellung, am 21. August um 19.30 Uhr werden dort vom Duo Bence neue Werke für Trompete und Schlagzeug gegeben – auch eine des Potsdamer Komponisten Gisbert Näther ist dabei. 

Ausstellung mit „Beethovens Geist“

Im Kunsthaus Sanstitre findet zudem erneut eine Ausstellung statt, mit den Partituren aufgeführter Werke, der Hörstation, „Beethovens Geist“, Gerwins „Taktiler Musik“ – und einer Klanginstallation von der Potsdamer Performerin Sabine Vogel, die in die Stille ehemaliger Militäranlagen in Brandenburg lauschte. Von dort ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu Altmeister John Cage. Auch eine Aufnahme seines legendären Stücks „4.33“ wird hier zu hören sein, schillernd besetzt mit den Berliner Philharmonikern. Gegeben wird: vier Minuten und 33 Sekunden konzentrierte Stille, in drei Sätzen. 

19. bis 23.8. im Kunsthaus Sanstitre, Potsdam Museum und in der Nikolaikirche Potsdam. Karten gibt es unter info@neue-musik-brandenburg.de, das Programm unter www.neue-musik-brandenburg.de

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